Die Grafschaft Kent hat eine Eins-a-Wasserlage im Süden Englands, eingebettet zwischen Themse, Nordsee und Ärmelkanal. Alan Botting zog nicht nur wegen der Schönheit der Landschaft dorthin. Er macht in Kent Karriere auf der Schmalspur, als Lokführer bei der Romney, Hythe and Dymchurch Railway. Deren betagte Dampfloks fahren seit nunmehr fast 90 Jahren an der Küste von Kent Passagiere hin und her. Zuverlässig sind die betagten Dampffahrzeuge, wenn sie denn angemessen gepflegt werden. Alan und seine Kollegen führen regelmäßig nach Feierabend Wartungsarbeiten mit einer Hingabe durch, die fast schon an Besessenheit grenzt. Der Küstenort Dungeness ist Endstation der Dampfeisenbahnlinie. So mancher Passagier wähnte sich hier schon am Ende der Welt. Am Rande kilometerlanger Kiesstrände stehen abbruchreife, aber malerische Fischerhütten, zwei Leuchttürme und ein Atomkraftwerk, das sich auf absurde Weise in die wüstenartige Landschaft einfügt. Auf der vom Wind gepeitschten Landzunge leben hauptsächlich Aussteiger, Künstler oder Lotsen. Und Trevor Bunney. Er arbeitet auf einem Rettungskreuzer im Ärmelkanal. Das Schiff wird vor jedem Einsatz mit einem abenteuerlichen Vehikel auf Rädern über den Strand zu Wasser gelassen. Trevor wohnt nur 200 Meter von seinem gefährlichen Arbeitsplatz entfernt. Seit einiger Zeit haben reiche Londoner Dungeness als Wochenenddomizil entdeckt. Seitdem explodieren die Immobilienpreise, doch Trevor will seine urige Fischerhütte für kein Geld der Welt hergeben. Einmal im Jahr wird es laut und voll und bunt auf den Küstenstraßen der Grafschaft Kent: Der örtliche Scooter-Klub lädt alle Motorollerfans zur Spritztour am Meer. Aus ganz England kommen sie dann auf Vespas und Lambrettas angeknattert. Viele der Fahrer sind sogenannte
Mods, unterwegs in maßgeschneiderten Anzügen unterm übergroßen Parka, stilecht wie vor 50 Jahren. Eine offizielle Genehmigung haben die Küstencruiser nicht. Es ist jedes Mal wieder spannend, wie die Polizei reagiert. Vielleicht kann ja eine schillernde Mod-Hochzeit die Beamten milde stimmen. In der Küstenstadt Whitstable gehört zu den Choreografien der Tanzgruppe Dead Horse Morris ein kräftiger Schlagabtausch mit dicken Holzprügeln. Die Teilnehmer haben geschwärzte Gesichter, um nicht erkannt zu werden. Dieser Brauch war unter Puritanern verboten. Eine Tradition aus den harten Zeiten, als die Matrosen ihre Heuer schon vor der großen Fahrt verprasst haben. Nicht etwa die Eröffnung des Kanaltunnels im Jahr 1994, sondern das Ende von Duty-free bedeutete auch das Ende der Luftkissenverbindung von Dover nach Calais. Am 1. Oktober 2000 wurde der Dienst eingestellt. Das wollten Owen Pullen und sein Sohn Russell nicht einfach so hinnehmen. Also gründeten sie die British Hovercraft Company und begannen, eigene kleine Hovercrafts zu bauen. Zunächst sehr kleine, gedacht für Sport und Freizeit. Jetzt tüfteln die beiden an ihrem bisher größten Luftkissenboot, einem Sechssitzer für größere Transportaufgaben. Gutes Wetter vorausgesetzt, ist Frankreich zwar in Sichtweite; aber die gut 33 Kilometer durch den Ärmelkanal haben es durch extreme Strömung, beachtlichen Tidenhub und starken Schiffsbewegungen in sich. Das gilt vor allem für Schwimmer. Für sie gibt es deshalb einen speziellen Lotsendienst. Lance Oram begleitet schon seit mehr als 20 Jahren wagemutige Menschen mit einer Motorjacht bei ihrem ehrgeizigen Projekt, den Ärmelkanal schwimmend zu durchqueren. Wer neben ihm bei kühlen 17 Grad auf die andere Seite kraulen will, muss zunächst ein knallhartes Training absolvieren. (Text: NDR)