Was die Höflichkeit betrifft, sind sich alle einig, dass Zusammenleben ohne sie nicht möglich ist – Um im gleichen Atemzug zu behaupten, sie sei überflüssig und in dieser oder jener Situation durchaus entbehrlich. Als Maßstab für zivilisierten Umgang wird sie immer erst dann zum Thema, wenn sie fehlt. Aber warum wird übertriebene Höflichkeit als Speichelleckerei ausgelegt? Und warum wird eine unhöfliche Person moralisch verurteilt als jemand, der sich „nicht benehmen kann“? Kant wusste die Höflichkeit brillant als Scheidemünze, sprich unverzichtbare zwischenmenschliche Währung, zu etikettieren. Äußerlich heller als ihr eigentlicher innerer Wert sei sie immerhin so ehrlich, keinen Hehl aus ihrer rein
konventionellen Natur zu machen. Dieses Bekenntnis zeigt allzu deutlich, dass man höfliche Floskeln und reines Wortgeklingel nicht als Beweis für tiefe Zuneigung missdeuten sollte. Höfliche Umgangsformen und Überlegungen zu einer Tugend des Scheins stehen heute im Fokus des Gesprächs, das Raphaël Enthoven mit seinem Gast, dem Philosophen Eric Fiat, führt. Bebildert werden diese unter anderem durch gängige Fauxpas von Politikern im Umgang mit Journalisten. Thematisiert werden auch Molières „Menschenfeind“, Rousseau („Über Kunst und Wissenschaft“), La Rochefoucauld („Maximen und Reflexionen“) und James Ivorys Film „Was vom Tage übrig blieb“ (1993) mit Anthony Hopkins und Emma Thompson in den Hauptrollen. (Text: arte)