Woher kommt der heimliche Groll des Schuldners gegenüber seinem Gläubiger? Wieso haftet finanziellen Schulden immer, ob gerechtfertigt oder nicht, der Beigeschmack einer moralischen Schuld an? Schuld und Schulden: dasselbe Wort, zwei unterschiedliche Bedeutungen und doch so eng miteinander verknüpft: Ein Gläubiger glaubt seinem Schuldner, dass dieser die Schuld beziehungsweise die geschuldete Leistung erbringen wird. Ob man dem Schuldner Schuldgefühle einredet oder sich selbst in die ewige Schuld dessen stellt, der einem vergibt – Schuld geht zwangsläufig mit nie endenden Gewissensqualen einher. Ist es möglich, sich einer Schuld für immer zu entledigen? Gemeinsam mit der Philosophin Corinne Enaudeau geht Raphaël Enthoven der Frage nach, wieso der Begriff „Schulden“ so negativ besetzt ist. Um einer Antwort näherzukommen, ziehen die beiden einen Roman
Émile Zolas heran: In „Germinal“ (1885) findet nämlich ein Rollentausch statt, bei dem der Gläubiger gleichsam zum Schuldner wird. Anhand einiger Passagen der Tragikkomödie „Cinna (ou la Clémence d’Auguste)“ (1643) Pierre Corneilles verdeutlichen sie den Umstand, dass der Versuch einer Schuldaufhebung zugleich eine Steigerung derselben sein kann – ein philosophischer Exkurs auch anhand von Einsichten eines William Shakespeare, Charles Péguy, Emmanuel Lévinas und einer Simone Weil. Dabei geht es immer um die Frage, ob Gnade und Vergebung eine Aufhebung der Schulden und somit der Schuld bewirken kann oder ob wir uns gar in einem unauflöslichen Paradoxon befinden, in dem das Löschen der Schuld und die Bezahlung der Schulden unmöglich ist. Am Ende schlagen die beiden einen Bogen zur Finanzkrise Griechenlands und der kollektiven Schuldfrage Europas. (Text: arte)