Serien unserer Kindheit: „Die Springfield Story“

Wie die erste Daily Soap mein (Fernseh-) Leben auf den Kopf stellte

Gregor Löcher
Gregor Löcher – 06.06.2021, 10:00 Uhr

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Trügerische Familienidylle – die Spauldings von nebenan (v. l.): Phillip (Grant Aleksander), Alan-Michael (Jessica Zutterman), Hope (Elvera Roussel), Alan (Christopher Bernau) und Amanda (Kathleen Cullen) – Bild: CBS
Trügerische Familienidylle – die Spauldings von nebenan (v. l.): Phillip (Grant Aleksander), Alan-Michael (Jessica Zutterman), Hope (Elvera Roussel), Alan (Christopher Bernau) und Amanda (Kathleen Cullen)

In dieser Erzählung befinden wir uns in Deutschland, das Jahr 1988 neigt sich dem Ende zu, und Familie Löcher empfängt seit einigen Monaten Kabelfernsehen, also mehr (aber noch nicht allzu viel mehr) als die üblichen drei Programme. Eines dieser Programme trägt den Namen RTLplus. Und als der gerade elf gewordene Gregor um 16 Uhr ebenjenen Sender einschaltet, eröffnet sich ihm eine völlig neue Welt. Eine Welt, in der Zeit nur relativ zu vergehen scheint; eine Welt, in der eine Person vom einen auf den anderen Tag ihr Äußeres komplett verändert, während ihre Stimme gleich bleibt, aber niemandem fällt das auf; eine Welt, in der sich ein Kleinkind innerhalb von drei Jahren in einen Jugendlichen verwandelt, aber niemandem fällt das auf; eine Welt, in der man am scheinbar realitätsgetreuen Leben anderer Leute täglich teilhaben kann, wie sie ein bisschen arbeiten, ein bisschen lieben, oftmals aus tiefstem Herzen hassen und sich gegenseitig die Partner abspenstig machen, oder die Kinder, oder die Firma; die Welt der Daily Soaps. In diesem Fall die der allerersten in Deutschland ausgestrahlten täglichen Seifenoper: der „Springfield Story“.

Ich war Ende 1988 gewiss kein unbeschriebenes Blatt mehr, was Serien anging; die „Dreibeinigen Herrscher“ waren gerade im ZDF (mit einem nicht aufgelösten Cliffhanger) zu Ende gegangen, auch die auch heute noch phänomenal gute sechste Staffel der Primetime-Soap „Falcon Crest“ hatte ich gesehen. Und ganz aktuell waren die außerirdischen Besucher in „V“ ein wöchentlicher Pflichttermin, der auf keinen Fall versäumt werden durfte. Und dennoch brachte die „Springfield Story“ etwas gänzlich Eigenes mit, das ich von den anderen Serien so noch nicht kannte und folglich äußerst reizvoll und – auf seine Weise – spannend fand. Denn während ich es bisher gewohnt war, dass es in jeder einzelnen Folge einer Serie einen bestimmten Aufbau gab, einen klar umrissenen Plot, mit Einleitung, Höhepunkt, und entweder Auflösung (in einer Serie mit abgeschlossenen Folgen) oder Cliffhanger (in einer Serie mit horizontal erzählter Handlung), plätscherte das Geschehen in Springfield oftmals eher beiläufig vor sich hin.

Die Charaktere verbrachten einen Großteil ihrer Zeit damit, sich gegenseitig auf Stand zu bringen, was sich ereignet bzw. nicht ereignet hatte. Man besuchte sich gegenseitig zum Kaffee, trank dann auch gerne einen zusammen; teilweise wurden die Dialoge von den Protagonisten unterbrochen durch Willst du Zucker?. Es war mehr als offensichtlich, dass es als Unterhaltung fürs Tagesprogramm konzipiert war, perfekt zum Einschalten, wenn man sich selbst gerade ein Tässchen Kaffee gönnen wollte. Somit bekam die Sendung etwas Kammerspielartiges, das mir damals sehr gut gefiel, weil es etwas Gemütliches, Betuliches hatte. Als wäre man bei anderen Leuten zu Hause. Der Sendeplatz am Nachmittag war insofern auch eine gute Zeit – die Hausaufgaben waren bereits erledigt, aber der große Ansturm auf den Familienfernseher erfolgte erst gegen Vorabend, sodass ich die Nische dazwischen gut dafür nutzen konnte, bei meinen amerikanischen Bekannten reinzuschauen. In den heutigen Zeiten von Soaps, Reality-TV und allem dazwischen mag das wenig spektakulär erscheinen; damals aber gab es nichts Vergleichbares, selbst bis zur dienstältesten deutschen Daily Soap „GZSZ“ war es noch knapp vier Jahre hin.

Nola und Quinton

Supercouple Nola (Lisa Brown) und Quinton (Michael Tylo) CBS

Informationen zum Programm, namentlich zum Tagesprogramm der damals relativ neuen Privatsender zu recherchieren ist recht kompliziert; ich kann daher nur mutmaßen, dass ich ungefähr zur deutschen Folge 650 eingestiegen bin, das entspräche der Originalfolgennummer 8751. Denn RTLplus setzte zwei Jahre zuvor nicht mit der ersten Originalfolge ein, sondern mit Folgen aus dem 28. Ausstrahlungsjahr. Handlungstechnisch trat Nola Reardon (Lisa Brown) gerade ihre Stelle beim mysteriösen Quinton McCord (Michael Tylo) in dessen mysteriösem Anwesen an, unterstützt von ihrer besten Freundin Gracie (Lori Shelle), jedoch fortwährend beobachtet von der gouvernantigen Haushälterin Mrs. Renfield (Beulah Garrick). In dem Haus gab es Geheimgänge und ein verstecktes Zimmer, das niemand betreten durfte und in dem eine Wiege stand; später auch eine in Ganzkörpergips gehüllte mysteriöse Patientin, die einen Schlüssel zu Quintons geheimnisvoller Vergangenheit darstellte.

Nola begleitete den Archäologen Quinton mit auf seine Reisen und Ausgrabungen und wurde dabei in Abenteuer verwickelt; beispielsweise suchten die beiden den sagenumwobenen „goldenen Tempel“ auf einer einsamen Insel. Just als sie diesen entdeckten, brach jedoch ein Vulkan aus, vor dem sie sich im letzten Augenblick in Sicherheit bringen konnten. Klingt ungewöhnlich für eine Seifenoper? Die populären Abenteuer von Luke und Laura in „General Hospital“ hatten ihre Spuren hinterlassen, auch die „Springfield Story“ oder „Henderson“ versuchten, den Erfolg zu kopieren. Folglich wurden Nola und Quinton zum Supercouple hochstilisiert; ihre Serienhochzeit schließlich ließ mich einen Leserbrief voll des Lobs über die Liebesgeschichte von Nola und Quinton an die Hörzu schreiben, dessen Abdruck jedoch nach wie vor auf sich warten lässt.

Carrie

Troubled Couple Carrie (Jane Elliot) und Ross (Jerry Ver Dorn) CBS

Noch wesentlich spannender als Gipsmumien und Vulkane fand ich aber einen Charakter, den ich heute als eine meiner ersten Serienlieben bezeichnen würde: Carrie, dargestellt von Jane Elliot. Carrie litt, wie man nach und nach erfuhr, an einer gespaltenen Persönlichkeit; die eine herzensgut und furchtbar leidend unter ihren zunehmenden Aussetzern und Gedächtnislücken; die andere jedoch abgrundtief böse, manipulierend, mordend. Es war großartig zu sehen, mit welcher Hingabe und Glaubwüdigkeit Janet Elliott sowohl die eine als auch die andere zu spielen vermochte, manchmal wechselte sie in einer laufenden Szene. Es war das in Soaps gerne verwendete Element des Evil Twin, allerdings so abgewandelt, dass sich Gut und Böse hier im selben Körper befanden. Es machte Spaß zu sehen, wie die böse Carrie alle Charaktere an der Nase herumführte und gegeneinander ausspielte, darunter eben auch die gute Carrie. Und wie sie nach und nach in die Enge getrieben wurde und sich immer neue Schandtaten ausdenken musste, um die Oberhand zu behalten.

Man hätte sich dieses Spiel gern noch viel länger angesehen; jedoch wurde die Storyline mit einem Mal abrupt abgebrochen – Carrie zog in die Schweiz, um sich einer Psychotherapie zu unterziehen. Erst mit dem Aufkommen des Internets erfuhr ich, dass Hauptautor und Soaplegende Douglas Marland eigentlich noch Großes mit Carrie vorhatte, aber die Schauspielerin ohne vorherige Rücksprache gefeuert wurde; Marland verließ aus Protest ebenfalls die Produktion, was ihr nicht gut tat. In der Zeit nach Marlands Abgang büßte die Serie merklich an Qualität ein, weshalb auch ich zunächst das Interesse verlor und erst einige Zeit später wieder Zugang fand, als eine neue Protagonistin mit geheimnisvoller Vergangenheit eingeführt wurde: Annanelle (Harley Jane Kozak).

Diese entdeckte sich selbst auf einem mehrere Jahrzehnte alten Foto wieder (wie sich letztendlich herausstellte, war die Abgebildete ihre Mutter, nicht sie selbst), bezog dann ein geheimnisvolles Haus, in dem ein Geist wohnte, der in Verbindung stand mit einer verfluchten Puppe und der fluchenden Maklerin Miss Piper (Carrie Nye). Die Storyline mündete darin, dass Annabelle auf Barbados an ein Gitter gefesselt von Miss Piper in Treibsand herabgesenkt werden sollte.

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