Endlos erscheinende Weiten, spärliche wie wilde Vegetation, knallende Sonne, Menschen mit Cowboyhüten, eine riesige Rinderherde. Unbedachte Zusehende könnten denken, sie wären hier in einen klassischen Western geraten. Aber vorwärts getrieben werden die Tiere nicht von Männern auf Pferden, sondern von einem LKW, Motorrädern, Quads und einem Hubschrauber. Und die Handlung spielt auch nicht im Westen Nordamerikas, sondern im Norden Australiens. Mehr „Mad Max“ als „Hell on Wheels“ also. Trotzdem kann man „Territory“, die bisher aufwendigste australische Netflix-Produktion, mit vollem Recht als Neo-Western bezeichnen.
Das Northern Territory gehört mit nur knapp 250.000 Einwohnern auf fast eineinhalb Millionen Quadratkilometern zu den extrem dünn besiedelten Gebieten der zivilisierten Welt. Überleben kann man außerhalb der wenigen Städte nur durch gegenseitige Hilfe und die Redensart „Hier kennt jeder jeden“ bekommt eine fast wörtliche Bedeutung. Ein ungewöhnlicher Schauplatz, den sich Ben Davies und Timothy Lee für die sechsteilige Dramaserie ausgesucht haben. Ein Schauplatz, der faszinierende Bilder liefert, wovon Regisseur Greg McLean und Kameramann Simon Duggan ausführlich Gebrauch machen. Immer wieder fliegt die Kamera über weite Steppenlandschaften, Wasserlöcher mit wilden Tieren und mythisch anmutende Felsformationen. Wesentlich konventioneller fällt allerdings die Handlung aus.
Im Mittelpunkt stehen die größte Rinderfarm des Kontinents, die Marianne Station, und die Familie Lawson, die diese seit Generationen betreibt. An der Spitze steht Patriarch Colin Lawson (Robert Taylor, „Justified“), ein ebenso harter wie sturer Mann. Gleich zu Beginn der Auftaktepisode kommt dessen Lieblingssohn Daniel alleine in der Wildnis ums Leben (ob dabei jemand nachgeholfen hat, bleibt noch zu klären). Natürlicher Erbe und Nachfolger wäre also der ohnehin ältere Sohn Graham (Michael Dorman, „For All Mankind“), den der Vater allerdings verachtet und für zu schwach hält (nicht nur wegen dessen Alkoholproblem). Grahams Ehefrau Emily (Anna Torv, „Fringe – Grenzfälle des FBI“), die in der Ehe die Hosen anzuhaben scheint, ist eine gebürtige Hodge – und mit der Familie sind die Lawsons seit langem verfeindet.
Muss sich in der Männerwelt durchsetzen: Emily Lawson (Anna Torv) Netflix
Es ist schon mehr als ein Hauch von „Dallas“, der hier durchs Drehbuch weht. Nicht nur erinnert der auch gegenüber engsten Angehörigen brutal und empathielos agierende Colin an J. R. Ewing, auch die Familienkonstellation um Emily und Graham lässt an Bobby Ewing und die Barnes-Tochter Pamela denken. Hinzu kommt noch ein weiteres aus zahlreichen (Soap-)Erzählungen bekanntes Motiv, das des verlorenen Sohns. Grahams Sprößling Marshall (Sam Corlett) – Emily ist nur die Stiefmutter – hat sich schon vor Jahren für ein Leben als Außenseiter entschieden und geht mit Freund und Freundin weitab von Zuhause eigenen Geschäften nach. Dazu gehört zum Beispiel, Alligatormüttern ihre Eier zu klauen und an einen Zoo zu verhökern. Zur Beerdigung des Onkels kehrt er auf die Station zurück und findet sich plötzlich mitten im Machtkampf um die Firma wieder.
Auf dem Land befindet sich auch noch eine Mine, die weitere Player ins Spiel bringt. Nach australischem Recht wird das Gebiet zwar von der Farm (der Weißen) verwaltet, gehört aber eigentlich den Aborigines. Es gehört sicher zu den Pluspunkten der Serie, dass die Perspektive der Ureinwohner eine wichtige Rolle bekommt. Nicht nur arbeiten zahlreiche von ihnen auf der Station, auch die sogenannten Elders haben eine entscheidende Funktion innerhalb des gesellschaftlichen Gefüges.
Ehrgeiziges Tochter-Mutter-Duo: Susie (Philippa Northeast, l.) und Emily Netflix
Abgesehen von diesen australischen Spezifika bewegt sich die Serie aber weitgehend in bekannten Bahnen, wobei Figurenzeichnung und Handlungsverlauf leider mehr an Soaps erinnern als an ernsthafte Dramaserien. Neben dem enttäuschenden Sohn und dem verlorenen Enkel gibt es auch noch die ehrgeizige Enkelin (Philippa Northeast), den prolligen Schwager (Dan Wyllie) und diverse love interests mit zweifelhaften Absichten.
Eigentliches Zentrum ist aber die eingeheiratete Emily Lawson. Mit Anna Torv wurde sie mit der international wohl bekanntesten australischen Serienschauspielerin besetzt. Gerade erst war sie als Exil-Schriftstellerin in der großartigen Leonard Cohen-Serie „So long, Marianne“ in der ARD Mediathek zu sehen. Als Farmerfrau mit Stetson und in engen Jeans wirkt sie aber etwas verloren und ihr meist verkniffener Gesichtsausdruck scheint die Frage widerzuspiegeln, warum ihre Dialogsätze nur so dünn ausgefallen sind. Die übrige Besetzung ist solide, aber auch nicht hervorstechend.
Machtmenschen: Patriarch Colin Lawson (Roger Taylor, r.) im Gespräch mit einem Aborigine-Ältesten Netflix
Stark ist „Territory“ immer dann, wenn es sich auf die Kraft der Bilder und die Besonderheit seines Schauplatzes verlässt. So weist ein Schild am Eingang des vermutlich einzigen Saloons einer Siedlung im Nirgendwo darauf hin, dass T-Shirts während des Aufenthalts anzubehalten sind. Auch sind sowohl die Luftaufnahmen von Landschaften als auch die Actionszenen hervorragend gefilmt. Am Budget gespart hat Netflix hier sichtlich nicht. Das Drehbuch wirkt hingegen über weite Strecken so, als habe es eine KI aus bekannten Versatzstücken einschlägiger Familiendramen und Soaps zusammengestellt. So ist dieser Versuch, auf der Erfolgswelle des „Yellowstone“-Franchise mitzureiten, zwar leidlich unterhaltsam, aber insgesamt wenig überzeugend.
Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten beiden Episoden von „Territory“.
Meine Wertung: 3/5
Die sechs jeweils rund einstündigen Episoden sind seit dem 24. Oktober bei Netflix verfügbar.
Über den Autor
Marcus Kirzynowski ist Düsseldorfer Journalist und Serienfreund; wuchs mit „Ein Colt für alle Fälle“, „Dallas“ und „L.A. Law“ auf; Traumarbeitgeber: Fisher & Sons, County General Notaufnahme; die Jobs auf dem Battlestar Galactica und im West Wing wären ihm hingegen zu stressig; Wunschwohnort: Cicely, Alaska. Schreibt über amerikanische und europäische TV-Serien sowie andere Kultur- und Medienthemen, u.a. für fernsehserien.de und sein eigenes Online-Magazin Fortsetzung.tv.
man man eure texte und deren genauigkeit/richtigkeit haben in letzter zeit echt extrem nachgelassen, lasst ihr die texte neuerdings von KI's schreiben? ich bin kein journalist oder redakteur und habe auch keinerlei berufliche erfahrung mit recherchen aber laut wikipedia und anderen quellen im internet hat der australische schauspieler robert tayler nichts mit der serie justified zu tun, er war jahrelang hauptdarsteller der neo-westernserie longmire aber "An der Spitze steht Patriarch Colin Lawson (Robert Taylor, „Justified“), ein ebenso harter wie sturer Mann." ist irgendwie falsch. etwas bessere und genauere arbeit ist von einer seite, deren expertise fernsehserien sind, schon zu erwarten.
mfg
Vritra am
In letzter Zeit? Der war gut! 😂
Monday Rose am
Ich habe mich schon so gefreut, ich mag australischen Soaps ( Die fliegenden Ärzte, Snowy River, McLeods Töchter). Ich dachte sogar, das hier á la McLeods Töchter die Frauen, Mutter und Tochter, den Station übernehmen, aber das wird leider nicht mehr passieren.
Sentinel2003 (geb. 1967) am
Tja, laut dem Trailer sind aller Wahrscheinlichkeit nur 2 Frauen zu sehen...Anna Torv und noch eine andere....der Rest nur Männer.....Da gibts ja bei Yellowstone mehr Frauen....
Hans18 am
Lustig, da wirft man Dallas in den Raum und schon bin ich interessiert. Wobei ich beim Begriff "Yellowstone" weniger interessiert war, wobei wahrscheinlich auch das Dallas hat.
katinka1 am
Ich bin zur Zeit nicht bei netflix, aber das würde ich mir ansehen. Ich vermisse nämlich sehr die ausländischen Soaps und Telenovelas, die ich in den 80ern so liebte.