„Die Chemie des Todes“: Was Maden uns erzählen – Review

Serienadaption um Simon Becketts Romanhelden David Hunter enttäuscht auf ganzer Linie

Rezension von Christopher Diekhaus – 28.03.2024, 17:05 Uhr (erstmals veröffentlicht am 11.01.2023)

Dr. David Hunter (Harry Treadaway) wird von seiner Vergangenheit verfolgt. – Bild: Paramount+
Dr. David Hunter (Harry Treadaway) wird von seiner Vergangenheit verfolgt.

Dieser Text wurde anlässlich der Deutschlandpremiere von „Die Chemie des Todes“ im Januar 2023 bei Paramount+ erstmalig veröffentlicht.

Gäbe es ihn, dann müsste man den Marketingverantwortlichen hinter „Simon Becketts Die Chemie des Todes“ wohl den Preis für die ungewöhnlichste Premiere des Jahres überreichen. Am 11. Januar 2023, einen Tag vor dem offiziellen Start der Crime-Thriller-Adaption, die auf Simon Becketts Romanreihe um den forensischen Anthropologen Dr. David Hunter beruht, feierte das Paramount+-Original seine Uraufführung in einem von Hamburg nach Berlin fahrenden ICE. Mit an Bord: Der Autor der literarischen Vorlagen, Hauptdarsteller Harry Treadaway („Star Trek: Picard“) und seine im schleswig-holsteinischen Pinneberg geborene Kollegin Jeanne Goursaud („Barbaren“). Eine pfiffige Idee, mit der die Serie selbst allerdings kein bisschen mithalten kann. Im Gegenteil, „Die Chemie des Todes“ will mit billigen Knalleffekten eine nervenaufreibende Stimmung erzeugen und schafft es nicht, Interesse für die Figuren zu wecken.

Soll man direkt mit der Tür ins Haus fallen, die Zuschauer gleich überrumpeln, ihnen keine große Chance zum Eingewöhnen geben? Oder ist es wirkungsvoller, sie langsam an die Geschichte und das handelnde Personal heranzuführen? Für beide Erzählansätze gibt es Argumente. Früher galt unter Machern die Regel: Im Kino kannst du dir länger Zeit lassen, weil das Publikum bezahlt hat und es einige Überwindung kostet, aufzustehen und aus dem Saal zu stürmen. Im Fernsehen wiederum, so die Annahme, müssten die Rezipienten schneller gepackt werden, da sie mit nur einem Knopfdruck zu einer Alternative wechseln könnten. Heutzutage, wo Serien zunehmend komplex und horizontal gebaut sind, kommt man mit den alten Maßstäben jedoch nicht mehr richtig weiter. Zu viele Beispiele belegen, dass es auch im Streaming- und TV-Bereich fruchtbar sein kann, Setting und Charaktere mit der nötigen Sorgfalt vorzustellen.

„Die Chemie des Todes“ wählt den schnellen Einstieg, serviert uns schon in den ersten Minuten eine bizarr drapierte, stark verweste Frauenleiche, die von zwei Jungen in einem Wald nahe der fiktiven Gemeinde Manham entdeckt wird. Treadaways David Hunter, der für den ansässigen Landarzt Henry Maitland (Lucian Msamati) arbeitet, schaut auf Bitten ihrer Mutter Linda (Anna Andresen) nach den beiden verstörten Kindern und führt anschließend. die Polizei an den abgelegenen Fundort. Obwohl er als forensischer Anthropologe ein Spezialist auf dem Gebiet der Verwesungsprozesse ist und früher Ermittler unterstützt hat, zieht es ihn erst einmal weg von dem auffällig arrangiertem Mordopfer.

In diese Schutzkleidung wollte David Hunter (Harry Treadaway) eigentlich nicht mehr schlüpfen. Paramount+

Kein Wunder, immerhin leidet Hunter, Kenner von Becketts Büchern wissen das, an einem Trauma, das sich früh in die Handlung hineinfrisst. Flashartige Einschübe zeigen den Protagonisten an einem Strand, wo er Frau und Kind verloren hat. Mehrfach rückt die Kamera nah an das Gesicht des entgeistert dreinschauenden Arztes heran. Geräusche um ihn herum klingen manchmal seltsam dumpf. Und ständig sehen wir ihn demonstrativ durchatmen.

Verarbeitet hat er das Unglück noch lange nicht, daran lässt die Inszenierung von Regisseur Richard Clark („Krieg der Welten“) keinen Zweifel. Ärgerlich ist allerdings, dass „Die Chemie des Todes“ dazu neigt, die Dinge zu überreizen. Auch nach der Auftaktfolge bricht sich gefühlt alle fünf Minuten mit viel Tamtam eine schmerzhafte Erinnerung Bahn, wobei offenbar der Mystery-Klassiker „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ Pate stand. Das Bild eines Mädchens in einer roten Jacke, das der Film von 1973 zu ikonischem Status erhob und das bereits oft zitiert wurde, findet sich auch in der Beckett-Adaption wieder. Originell geht anders!

Der Hang zur Übertreibung, der Hunters backstory wound, das Drama um seine Familie, fast schon etwas nervig erscheinen lässt, drückt sich auch in der Musikuntermalung aus. Fast nie kommt die Serie zur Ruhe. Selbst halbwegs normale Gespräche werden von krampfhaft auf Spannung getrimmten, pumpenden Klängen begleitet. Mit einer durchdachten bedrohlich-nervösen Atmosphäre, wie sie etwa die US-Krimiserie „Mord im Auftrag Gottes“ heraufbeschwört, hat das wenig zu tun. Schlimmer noch: Die offensichtliche Effekthascherei wirkt stellenweise schlichtweg lächerlich.

Wenn sich die Musik ohne Unterlass anstrengen muss, Thrill zu produzieren, kann es um den Ablauf des Plots, den mit weiteren Todesopfern gespickten Monham-Fall nicht allzu gut bestellt sein. In der Tat spult die britisch-deutsche Koproduktion die von DCI McKenzie (Samuel Anderson) geleiteten Ermittlungen, zu denen Hunter nach anfänglichem Zögern beiträgt, uninspiriert herunter und fährt – das ist, ehrlich gesagt, in den Romanen schon so – einige abgegriffene Serienkillermotive auf.

Auch wenn wir hier und da einen Blick in den gutgefüllten Pub des Schauplatzes bekommen, kriegen wir kein Gefühl für den Ort, seine Bewohner und die Verdächtigen. Viel zu skizzenhaft sind die Profile, viel zu flüchtig die Begegnungen. Oberflächlich gestaltet sich nicht zuletzt die Romanze zwischen David und der von Jeanne Goursaud gespielten Dorflehrerin Jenny Krause.

Der traumatisierte David Hunter (Harry Treadaway) findet Halt bei Dorflehrerin Jenny Krause (Jeanne Goursaud). Paramount+

Fragen wirft in diesem Zusammenhang die Entscheidung auf, in der ersten Staffel sowohl „Die Chemie des Todes“, das erste Buch der Hunter-Reihe, als auch den zweiten Band „Kalte Asche“ unterzubringen. Bereits zu Beginn der dritten von insgesamt sechs Episoden wird uns recht lieblos und hanebüchen die Auflösung für die Morde in Monham präsentiert. Um sich von Selbstzweifeln abzulenken, reist David danach auf die einsame schottische Insel Runa, wo eine verkohlte Leiche die Polizei vor ein Rätsel stellt. Warum packt man zwei Erzählungen gewaltsam zusammen, anstatt sich einer einzigen im Detail zu widmen?

Sei’s drum. Der zweite Fall, das muss man nach dem ersten Eindruck lobend hervorheben, versucht etwas leidenschaftlicher, die doch recht ungewöhnliche Arbeit unserer Hauptfigur zu beschreiben. Becketts „Die Chemie des Todes“ wurde in einer Zeit veröffentlicht, als sich dank der „CSI“-Serien die ganze Welt plötzlich dafür interessierte, wie forensische Experten allein durch den Zustand einer Leiche und die Beschaffenheit ihrer direkten Umgebung gewinnbringende Erkenntnisse erzielen.

Ein menschlicher Körper beginnt vier Minuten nach dem Tod zu verwesen. Der Körper, einst die Hülle des Lebens, macht nun die letzte Metamorphose durch. Diese Sätze und ein paar weitere Erklärungen schmeißt uns Hunter in den Einstiegsfolgen über Voice-over-Kommentare wiederholt vor die Füße. Die ebenso aufregenden wie unangenehmen Facetten seines Jobs bleiben uns jedoch häufig verborgen. Vor allem deshalb, weil David den Analysemomenten wegen seines Traumas zunächst stets schnell entfliehen will. Bis zur Halbzeit geht vom Helden trotz seiner tragischen Vorgeschichte kein besonderer Reiz aus. Weder seine emotionale Lage noch sein spezieller Job ziehen einen mit aller Macht in die Serie hinein.

Der Text basiert auf der Sichtung der ersten drei von insgesamt sechs Folgen der ersten Staffel von „Simon Becketts Die Chemie des Todes“.

Meine Wertung: 2/​5

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • (geb. 1979) am

    Leider ist "Die Chemie des Todes" wirklich mit eine der schlechtesten Serien ever. Die Story wäre theoretisch super, aber die Umsetzung ist katastrophal. Mich hat es leider überhaupt nicht gepackt. Die Serie ist weder spannend aufgebaut noch in irgendeiner Weise überraschend. Fesselnd ist was Anderes. Und alles so vorhersehbar. Ich habe die Bücher nicht gelesen, bin also völlig erwartungsfrei da ran gegangen. Mich nervte auch extrem, dass gefühlt alle 5 Sekunden der Tot seiner Familie zur Sprache kam. Und trotzdem weiß ich bis jetzt nicht, wie oder warum Frau und Kind eigentlich gestorben sind. Man sieht ja nur, dass er am Strand telefoniert hat und dann plötzlich liegen Frau und Tochter nass im Sand.... Nein, nie wieder und bestimmt auch keine Fortsetzung dieser Serie.
    • am

      Wer Becketts Thriller liebt, wird hier schwer enttäuscht.

      So viele unnötige Abweichungen von den Büchern - warum? Diese Frage stellte ich mir von Anfang an: warum gibt es keine Lynn Metcalf? Warum wird David hier als Psycho dargestellt, der keine Leichen sehen kann? Warum muss der Tod von Frau und Tochter so anders sein?
      Warum muss Henry schwarz sein und der Pastor eine Frau? Alles Kleinigkeiten, welche absolut unnötig vom Buch abweichen und einem Beckett-Fan das Gefühl geben, es handele sich gar nicht um den Inhalt des Titel-gebenden Buches. Des Weiteren ist die Serie absolut schwachsinnig gekürzt, warum verarbeitet man auch 2 dicke Thriller in 6 kurzen Serienepisoden- das kann doch nur schiefgehen!
      Schade dass Simon Beckett die Rechte für seine Werke für eine derartige Verunstaltung hergegeben hat, bis zum Schluss der 6. Episode ärgert man sich über die Macher.
      Sollte es eine Staffel 2 geben, würde ich diese nicht mehr schauen- Zeitverschwendung.
      • (geb. 1977) am

        Also ich hab jetzt mal die 5 Folgen durch.
        Soooo schlecht is es jetzt auch nicht.


        Ich kenn die Bücher aber auch nicht. Vielleicht ist das mal wieder ein Vorteil.


        Ist die 1. Staffel mit Folge 5 vorbei oder kommt noch mehr? Ansonsten wäre das Ende ja mal mehr als ein Cliffhanger.
        • am

          Gerade die erste Folge gesehen und kann erstmal die Kritik nicht nachvollziehen. Drastischer Anfang mit nachfolgendem Aufbau der Figuren. Insgesamt bisher gut umgesetzt. Die Besetzung ist zumindest nicht falsch. Bin gespannt wie es weiter geht.
          Die Bücher hab ich vor langer Zeit gelesen, sodaß die Verfilmung für mich "gefühlt" wie eine neue Story ist, bei der nur kleine Erinnerungen zur Handlung aufblitzen.
          Dass es immer Wichtigtuer gibt die etwas sagen, das direkt deren seichtes Gemüt widerspiegelt, ist doch klar. Wer hat denn gesagt dass die Serie gefloppt ist? Dazu eine Buchverfilmung verteufeln? Klar,... Harry Potter Filme, Herr der Ringe waren ja auch soooooooo schlecht, dass die Kinokassen nur geklingelt haben. @Spencer... Du "hielst" die Besetzung "krass Fehlbesetzt"? Weil man sich jemanden anderes vorgestellt hat? Ohmann,... klar.... ja dann darfst Du halt keine Verfilmungen anschauen bevor Du einn Buch gelesen hast.
          • (geb. 1966) am

            ...ich fand die 1. Folge sehr gut und freu mich auf mehr.

            Punkt.
            • (geb. 1972) am

              Hab die ersten zwei Bücher gelesen und ich werde mir auch die Serie antun und mir ein eigenes  Bild machen  und nicht aufeure Kritik hören.
              • (geb. 1974) am

                Du solltest dir immer ein eigenes Bild machen und nicht auf irgendwelche Kritiken hören. Du kennst doch diese Person nicht, die das geschrieben hat. Also jeder Mensch hat seinen eigenen Geschmack, seine Vorlieben etc.
            • (geb. 1971) am

              Das es gefloppt war, wundert mich nicht! Manche geniale Romane kann man nicht filmisch umsetzen...zumal hielt ich den Schauspieler für David Hunter auch für eine krasse Fehlbesetzung!  Bei den Lesern der Romanreihe spukte bei jedem sicher immer ein bestimmter Schauspieler im Kopf herum und da kann eine generelle Auswahl letztendlich nur enttäuschen.  Ich werde es mir auch nicht ansehen, lese lieber die genialen Romane noch einmal.
              • am

                Wie kann es vor Start floppen? Merkwürdige Ansicht.
              • (geb. 1974) am

                Wie kannst du etwas bewerten, was du gar nicht anschauen wirst? Generell kann ein Roman gar nicht mit einer Serien- oder Filmadaption verglichen werden, da es sich schlicht und einfach gesagt um verschiedene Medien handelt. Das das nicht verstanden wird, werde ich nie begreifen...

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