„Daisy Jones & The Six“: Sex, Drugs, Rock’n’Roll und Stereotype in Amazon-Miniserie – Review

Fiktive Biografie einer 70s-Band bleibt zu konventionell und formelhaft

Marcus Kirzynowski
Rezension von Marcus Kirzynowski – 03.03.2023, 15:00 Uhr

Fiktive Band, altbekannte Geschichte: The Six um Daisy Jones (Riley Keough, 2. v. r.) und Billy Dunne (r.) – Bild: Pamela Littky/Prime Video
Fiktive Band, altbekannte Geschichte: The Six um Daisy Jones (Riley Keough, 2. v. r.) und Billy Dunne (r.)

Die 1970er waren das Jahrzehnt der Stadionrockbands: Led Zeppelin, Fleetwood Mac, Daisy Jones & The Six … Wie, von Letzteren haben Sie noch nie etwas gehört? Okay, zugegeben, das ist eine fiktive Band, die die US-amerikanische Schriftstellerin Taylor Jenkins Reid für ihren gleichnamigen Roman erfunden hat. Der erzählt die Geschichte vom Aufstieg und Fall einer der größten Bands der Rockgeschichte, die die Amazon Studios jetzt in Form einer zehnteiligen Miniserie adaptiert haben.

Die Serienfassung von „Daisy Jones & The Six“ kommt in Form einer Mockumentary daher, also einer Pseudo-Dokumentation, die den Eindruck erwecken soll, es handele sich hierbei um die Aufarbeitung realer Ereignisse. So sind es die Mitglieder der fiktiven Band, die sich 20 Jahre nach der überraschenden Auflösung der Megagruppe angeblich erstmals bereit erklärt haben, Journalisten ihre Geschichte zu erzählen. Sie kommentieren als talking heads die Geschehnisse, die in den „normalen“ Szenen zu sehen sind, und unterbrechen dadurch ständig die Handlung. Ein Stilmittel, das einem leider schon schnell auf die Nerven geht, da es zumindest in den ersten Episoden keinerlei Mehrwert liefert. Etwas seltsam wirkt auch, dass Leadsängerin Daisy Jones (Riley Keough) nach angeblichen 20 Jahren noch genauso jugendlich aussieht wie in der Haupthandlung, während ihre männlichen Kollegen und Manager mittels Perücken und künstlicher Bärte deutlich gealtert erscheinen.

Die Bandgeschichte, die sich in der eigentlichen Handlung entfaltet, sorgt für das eine oder andere Déjà-vu. Wenn man jemals eine Bandbiografie gelesen oder ein Biopic über einen Rockstar gesehen hat, kennt man den Verlauf einer solchen Karriere schon in groben Zügen: Am Anfang zählen für die jungen Unbekannten nur die Liebe zur Musik und der Traum von Ruhm und künstlerischer Anerkennung. Je weiter es auf der Karriereleiter nach oben geht, desto mehr kommen Hybris, Drogen und Selbstzerstörung ins Spiel und irgendwann kommt es zum großen Bruch, weil sich jeder selbst für den größten Künstler hält und keine Kompromisse mehr eingehen will. Daisy Jones & The Six haben sich nach ihrem größten Triumph plötzlich getrennt, wie wir erfahren: ihrem größten Konzert. Die wahren Gründe dafür kennt bis heute niemand. Da es sich um eine gemischte Gruppe mit Männern und Frauen handelte, scheinen Liebe und Eifersucht eine entscheidende Rolle gespielt zu haben, wie der Trailer zur Serie andeutet.

Die spätere Erfolgsgeschichte startet zunächst unspektakulär in Form einer Schülerband, die der halbwüchsige Graham Dunne (Will Harrison) mit drei Freunden gründet. Grahams großer Bruder Billy (Sam Claflin) soll eigentlich nur als Berater dienen, bei der zweiten Probe gehört er aber quasi zur Band und in der dritten übernimmt er sie, wie sich sein Bruder 20 Jahre später erinnert. Über die lokale Szene ihrer Heimatstadt Pittsburgh hinaus erlangen die Dunne Brothers jahrelang keine Bekanntheit. Nach einem Gig kommen sie ins Gespräch mit dem Tourmanager Rod Reyes (Timothy Olyphant, „Justified“), der ihnen rät, es in Kalifornien zu versuchen. Die Jungs, frisch verstärkt durch Keyboarderin Karen (Suki Waterhouse), auf die Graham ein Auge geworfen hat, nehmen den Manager beim Wort, mieten einen VW Bus und stehen unangemeldet vor seiner Haustür in Los Angeles. Reyes ist zwar nicht sehr erfreut, verschafft den Newcomern aber zumindest ein festes Engagement in einem kleinen Club auf dem Sunset Strip, jener legendären Ausgehmeile zwischen Hollywood und Beverly Hills, wo viele Bands groß geworden sind.

Schließlich gelingt es ihnen sogar, den erfolgreichen Produzenten Teddy Price (Tom Wright) von ihren Qualitäten zu überzeugen, eine Tour und ein erstes Album folgen. Zuhause wartet unterdessen Billys schwangere Ehefrau Camila (Camila Morrone), eine Fotografin, auf die Anrufe ihres geliebten Manns, die aber irgendwann abreißen. Als sie ihm schließlich nachreist, erwischt sie ihn natürlich gleich mit zwei Frauen gleichzeitig, wie es sich für so eine Geschichte gehört. So weit, so stereotyp. Billy ist unterdessen auch voll auf Koks und anderen Drogen und die ungewollte Vaterschaft hat seine Bindungsängste extrem getriggert.

Die Chemie zwischen den LeadsängerInnen stimmt (noch) Lacey Terrell/​Prime Video

Parallel erzählen die Auftaktfolgen von der Sängerin und Songwriterin Daisy Jones, die zwar als Tochter reicher Eltern in den Hollywood Hills aufwächst, sich aber als Teenagerin von diesen emanzipiert hat und lieber kellnert, um ihren eigenen Weg zu gehen. Interessant ist ihre zu den Männern um Billy Dunne komplett unterschiedliche Einstellung zum Musikbusiness: Angebote von Price, der gerne mit ihr im Studio arbeiten würde, um sie zu „formen“, lehnt sie selbstbewusst ab – sie habe gar kein Interesse, „geformt“ zu werden. Stattdessen gewinnt sie die Afro-Amerikanerin Simone Jackson (Nabiyah Be), die bisher als Backgroundsängerin für einen weiblichen Star arbeitete, als Mitbewohnerin und künstlerische Partnerin. Zu einem Zusammentreffen von Daisy und Billys Band The Six kommt es in den ersten beiden Episoden noch nicht, die Konflikte dürften dadurch aber eher zunehmen.

Abgesehen von den gefakten Interviewszenen erzählen die Chefautoren Scott Neustadter und Michael H. Weber, die zusammen unter anderem bereits die Filmkomödie „(500) Days of Summer“ geschrieben haben, die Geschichte sehr konventionell. Auch die Inszenierung von James Ponsoldt lässt keinen Raum für künstlerische Experimente. Eigentlich schade bei einem Setting wie der Musikszene im Kalifornien der 1970er Jahre, in der es doch um Aufbruch und Ausbruch aus gesellschaftlichen und musikalischen Konventionen ging. Ein halbes Jahrhundert später wirkt diese Art von Classic Rock allerdings selbst schon wieder sehr konventionell und das trifft leider auch auf die Originalsongs zu, die Blake Mills speziell für die Serie komponiert hat und die von den SchauspielerInnen selbst performt werden. Wesentlich mitreißender sind die bekannten Hits aus dieser Zeit von KünstlerInnen wie Carole King, die immer wieder die Szenen oder den Abspann begleiten.

The Six (hier ohne Daisy Jones) Lacey Terrell/​Prime Video

Laut Abspann fungierte auch Kim Gordon, Mitglied von Sonic Youth, als Beraterin für die Serie. Im Vergleich zu deren avantgardistischem Indierock wirkt nicht nur die Musik von The Six, sondern auch die Serie selbst trotz einiger intensiverer Szenen weitgehend vorhersehbar und stereotyp. Weder strahlen die HauptdarstellerInnen besonderes Charisma aus, noch offenbart die Handlung irgendetwas, das man nicht schon in Dutzenden ähnlich angelegter Biopics gesehen hat. Die Gegenkultur der frühen 70er Jahre ist hier endgültig zu einem Marketinginstrument geworden, um eben die nächste Streamingserie für eine recht eng eingegrenzte Zielgruppe zu lancieren. Wer damals wirklich begeistert dabei gewesen ist, legt aber wahrscheinlich lieber ein paar seiner alten Alben auf oder sieht sich noch mal den liebevollen Musikfilm „Almost Famous“ von Cameron Crowe an.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten beiden Episoden von „Daisy Jones & The Six“.

Meine Wertung: 3,5/​5

Die insgesamt zehnteilige Miniserie wird ab dem 3. März freitags bei Amazon Prime Video veröffentlicht.

Über den Autor

Marcus Kirzynowski ist Düsseldorfer Journalist und Serienfreund; wuchs mit „Ein Colt für alle Fälle“, „Dallas“ und „L.A. Law“ auf; Traumarbeitgeber: Fisher & Sons, County General Notaufnahme; die Jobs auf dem Battlestar Galactica und im West Wing wären ihm hingegen zu stressig; Wunschwohnort: Cicely, Alaska. Schreibt über amerikanische und europäische TV-Serien sowie andere Kultur- und Medienthemen, u.a. für fernsehserien.de und sein eigenes Online-Magazin Fortsetzung.tv.

Lieblingsserien: Six Feet Under, Emergency Room, The West Wing

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