Die „Dinner for One“-Lüge: eine Spurensuche

Warum sein Weg ins deutsche Fernsehen kurioser ist als der Kultsketch selbst

Daniel Teuteberg
Daniel Teuteberg – 29.12.2024, 10:00 Uhr

„Same procedure as every year“: Butler James (Freddie Frinton) und Miss Sophie (May Warden) – Bild: SWR/NDR/Annemarie Aldag
„Same procedure as every year“: Butler James (Freddie Frinton) und Miss Sophie (May Warden)

Wie kam „Dinner for One“ nach Deutschland?

Anders als die etwas nebulöse Entstehungsgeschichte des Sketches selbst schien sein Weg nach Deutschland lange Zeit gut dokumentiert zu sein: Regisseur Heinz Dunkhase und Entertainer Peter Frankenfeld waren in Blackpool, wo es besonders viele Varieté-Theater gab, und hielten Ausschau nach neuen Showideen für die Reihe „Guten Abend!“. Erst am letzten Tag der Reise sahen sie Freddie Frinton auf der Bühne – und stürmten danach in seine Garderobe, um einen Vertrag mit ihm zu machen. Weil Frinton die Deutschen von Kriegs wegen nicht mochte, habe er sich nur auf eine Aufführung in Originalsprache einlassen wollen. So steht es im von Dunkhase selbst verfassten Vorwort des Buches Dinner for One – Freddie Frinton, Miss Sophie und der 90. Geburtstag“. Zugetragen haben soll sich das im Sommer 1962, wie Frankenfelds Sohn Thomas in der NDR-Sendung „60 Jahre Dinner for One – Die Jubiläumsshow“ vom 31. Dezember 2023 bekräftigte. In Frankenfelds Show vom 8. März 1963 sei das Stück dann live aufgeführt worden und schließlich fand vom 30. April bis zum 4. Mai 1963 im NDR-Studio B in Hamburg-Lokstedt noch eine Aufzeichnung des Sketches statt. Erstmals ausgestrahlt wurde diese dann am 8. Juni 1963 im Ersten Programm des Deutschen Fernsehens. So weit die stets – und teilweise noch heute – kolportierte Version …

Die vergessene Deutschlandpremiere: „Bitte, lassen Sie sich unterhalten“

„Bitte, lassen Sie sich unterhalten“: Hörzu-Ausschnitt mit dem Programm vom 9. Dezember 1961 Hörzu 49/​1961, S. 88

Auf erste Widersprüche gestoßen ist Stefan Mayr, der Autor des Lexikons „Dinner for One von A-Z“: In der Süddeutschen Zeitung berichtete er 2010, dass Peter Frankenfeld den Sketch nicht etwa entdeckt, sondern „nur ein zwei Jahre altes Dinner aufgewärmt“ habe. Tatsächlich wurde dieser nämlich schon am 9. Dezember 1961 in der Sendung „Bitte, lassen Sie sich unterhalten“ aufgeführt. Moderiert wurde diese Show, von der keine Aufzeichnung erhalten ist, von Evelyn Künneke; Regisseur war: der uns bekannte Heinz Dunkhase. Die Geschichte hinter dieser Entdeckung ist kurios: Zu den Zuschauern gehörten damals nämlich auch die hochschwangere Margarete Welty aus Göggingen und ihr Ehemann Siegfried. Vor lauter Lachen setzten bei ihr plötzlich die Wehen ein, so dass sich das Paar noch während der Sendung auf den Weg ins Krankenhaus machen musste, wo dann Söhnchen Dieter zwei Wochen zu früh auf die Welt kam. Einen solchen Abend behält man natürlich in Erinnerung und so weiß Siegfried Welty auch nach Jahrzehnten noch, dass „Evelyn Künneke mit ihren Klunkern“ durch den Abend geführt hat und nicht etwa Peter Frankenfeld. In einer erweiterten Neuausgabe seines Lexikons von 2013 ergänzt Stefan Mayr, dass der Sketch sogar noch früher gezeigt worden sein könnte: Ein Kritiker der Westfälischen Rundschau aus Dortmund will ihn schon vor der Künneke-Sendung „auf dem Bildschirm erlebt“ haben.

Die vergessene Kinopremiere: „Attraktionen aus aller Welt“

Versteckt im italienischen Filmplakat zu „Il mondo di notte Numero 2“: Freddie Frinton mit „Dinner for One“Warner Bros.

Im September 2024 wurde schließlich eine Aufzeichnung bei YouTube hochgeladen, die angeblich 1961 und sogar in Farbe in Italien entstanden ist. Als deutscher Titel wird „Attraktionen aus aller Welt“ angegeben. Unter diesem Titel findet man einen einzigen Film, für den verschiedene Kabarett- und Varieté-Stücke aus aller Welt zusammenmontiert worden sein sollen. Und tatsächlich – das Filmplakat unter dem Originaltitel „Il mondo di notte Numero 2“ nennt in einer Auflistung diverser Namen, Bühnen und Orte auch „Freddie Frinton in ‚Dinner For One‘“. Der Film wurde beworben als „glänzender Unterhaltungsfilm in Farben“ mit „den sensationellsten Varieté-Shows und Night-Club-Nummern der Welt“. Die Neue Zürcher Nachrichten schrieb am 1. September 1962: „It[alienischer] Bummel durch aussereuropäischen Nachtbetrieb. Mit der gewohnten Allerweltsmischung von Akrobatik, Folklore, Erotik. Abwechslung bringen Affen in Kleidern und Elefanten auf freier Bahn: Bei soviel Entfremdung wirken Tiere geradezu menschlich.“ Neben dem „Dinner for One“-Ausschnitt findet man auf YouTube auch den kompletten Film in Originalfassung. Auch hier wird das Stück übrigens in englischer Sprache aufgeführt. Frinton hatte also nicht nur gegen die Deutschen Vorbehalte, sondern auch gegen die Italiener – wenn seine hier bereits beschriebene Begründung denn der Wahrheit entspricht.
Der Film „Attraktionen aus aller Welt“, der bis heute nicht im Fernsehen ausgestrahlt wurde, startete laut IMDb am 7. September 1962 in Westdeutschen Kinos – und damit genau zwischen der Künneke-Sendung und der Aufzeichnung des Sketches vom NDR. Will man nun dem oben erwähnten Kritiker von der Westfälischen Rundschau Glauben schenken, muss es wie beschrieben eine weitere Ausstrahlung noch vor der Künneke-Sendung gegeben haben. Damit würde das Datum der deutschen Uraufführung des Sketches weiterhin und womöglich für alle Zeit im Dunkeln bleiben – es sei denn, der Herr hätte damit die Premiere des Films in Italien am 14. Oktober 1961 gemeint.

Auf der nächsten Seite lest ihr, warum Peter Frankenfelds Bezug zu „Dinner for One“ stark angezweifelt werden muss.

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