„Same procedure as every year“: Butler James (Freddie Frinton) und Miss Sophie (May Warden)
Bild: SWR/NDR/Annemarie Aldag
Der Jahreswechsel nähert sich in schnellen Schritten und damit auch eine alljährliche Tradition der Deutschen: Stets zu Silvester wird der Kultsketch „Der 90. Geburtstag oder Dinner for One“ geschaut. Doch wie kam es eigentlich dazu? Zwar laufen auch jedes Jahr Hintergrundberichte über das Phänomen – doch scheinbar hat da niemand so ganz genau hingeschaut, denn in die angebliche Historie des Sketches haben sich Halbwahrheiten und Fehler eingeschlichen. fernsehserien.de begibt sich auf Spurensuche …
Der Inhalt des 18-minütigen Sketches ist schnell erzählt: Miss Sophie (May Warden) feiert ihren 90. Geburtstag. Wie in jedem Jahr ist die Tafel gedeckt für ihre Gäste Sir Toby, Admiral von Schneider, Mr. Pommeroy und Mr. Winterbottom. Die vier Herren sind zwar längst verstorben, aber die alte Dame mag auf die Tradition nicht verzichten. Also muss ihr Butler James (Freddie Frinton) an diesem Abend nicht nur das Vier-Gänge-Menü und die zugehörigen Getränke servieren, sondern auch die Rollen der Herren übernehmen. In ihrem Namen muss er einen Toast auf Miss Sophie ausbringen, sie dabei nachahmen und nicht zuletzt auch an ihrer Stelle trinken. „Same procedure as last year?“ fragt James immer wieder, worauf Sophie bestätigend mit „Same procedure as every year“ antwortet. Wie zu erwarten ist, wird James im Verlauf des Dinners immer betrunkener und stolpert ein ums andere Mal über den ungünstig platzierten Tigerkopf-Teppich.
Der Sketch und seine Ursprünge
Erdacht wurde die Story von einem Autor namens Morris Laurence Samuelson alias Lauri Wylie. Wann genau, ist nicht bekannt; in dem Buch „Dinner For One – Freddie Frinton, Miss Sophie und der 90. Geburtstag“ (von 1985) ist die Rede von den 1920er Jahren – und von einem unbekannten Autor; Wylies Name wird hier nicht genannt. Regieanweisungen soll er keine hinterlassen haben, die Inszenierung mit Tigerkopf und Hackenschlag des Admiral von Schneider ist in der Urfassung also noch gar nicht enthalten. Zur Uraufführung findet man je nach Quelle verschiedene Angaben: Laut deutschen Veröffentlichungen heißt es teilweise, dass das Stück schon in den 1920ern auf den Kabarett-Bühnen des Londoner Arbeiterviertels Fulham gespielt wurde. In seinem Lexikon „Dinner for One von A-Z“ (von 2002) erklärt Stefan Mayr, dass dafür keine Belege gefunden werden konnten. Wohl analog zum Londoner Theatre Museum geht er von einer Uraufführung erst am 11. März 1948 im Duke of York’s Theatre in London aus; dies sei die erste schriftlich belegbare Aufführung. Im Rahmen der Revue-Show „Four, Five, Six!“ waren demnach Bobby Howes und Binnie Hale die ersten Darsteller in den Rollen von James und Miss Sophie. In einem Artikel der schwedischen Boulevardzeitung Expressen (von 2019) wiederum heißt es, dass das Stück 1934 als Teil der Revue „En Ville Ce Soir“ in einem Londoner Theater aufgeführt wurde.
Später lief das „Dinner for One“ auch am Broadway (wohl ab 1953) und in Varieté-Shows; wohl auch gleichzeitig an mehreren Orten und mit verschiedenen Darstellern besetzt. Anfang der 50er Jahre traten Len Howe und seine Frau Audrey Maye mit dem Stück auf, bevor schließlich der uns bekannte Freddie Frinton darauf aufmerksam wurde. Er brauchte wohl neues Material, soll aber von dem Sketch zunächst nicht begeistert gewesen sein. Dennoch kaufte er die Rechte (je nach Quelle noch zu dessen Lebzeiten direkt von Autor Lauri Wylie oder erst nach seinem Tod 1951) und übernahm ab 1954 auch die Rolle des Butlers von Len Howe. Nach etwa einem Jahr gemeinsamer Auftritte übergab Audrey Maye die Rolle der Miss Sophie an ihre Mutter May Warden. Auch hier variieren die angegebenen Jahreszahlen allerdings stark – mal heißt es, dass Frinton und Warden schon 1945 gemeinsam mit dem Sketch auftraten, mal soll sie die Rolle sogar erst für die Fernsehaufzeichnung übernommen haben.
Der Legende nach gab es jedenfalls vor einer Vorstellung in Burgess Hill einen Empfang am örtlichen Rathaus, bei dem der Bürgermeister vorschlug, ein Tigerfell ins Bühnenbild einzubauen. Frinton soll das nur aus Höflichkeit umgesetzt haben und während der Vorstellung auch noch über den Tigerkopf gestolpert sein. Wir ahnen es schon: Das Publikum war begeistert, so dass Frinton auch noch ein zweites und drittes Mal stolperte. So soll er das Stück erst nach und nach verfeinert haben, bis es seine heute bekannte Form bekam. Ob diese amüsante Geschichte der Wahrheit entspricht oder der Tigerkopf doch Frintons eigene Idee war, lässt sich nicht mehr feststellen.
Conférencier Heinz Piper NDR (Screenshot)
Die dritte Person auf der Bühne – wir greifen etwas vor – gibt es nur in der deutschen Version: Der Conférencier existiert im Grunde nur, um dem deutschen Publikum die Ausgangslage des englischsprachigen Sketches zu erklären. Er wurde von Heinz Piper verkörpert; und natürlich muss für alle Fans auch hier erwähnt werden, dass dieser der Vater der legendären „ALF“-Stimme Tommi Piper war. Ebenso soll an dieser Stelle schon die kuriose Anekdote verraten werden, dass Piper ursprünglich falsch „Same procedure than every year“ sagte, was nach jeder Ausstrahlung zu haufenweise Zuschriften von Englischlehrern geführt haben soll. Die NDR-Redakteurin Uta Fahrenholtz sorgte 1988 dafür, dass der kleine Tonschnipsel korrigiert wurde: Im Archiv liegt offenbar noch weiteres Material von der Aufzeichnung, bei der es zuvor auch Versuche ohne Publikum gegeben hatte und das man nun dafür nutzen konnte. Davon abgesehen waren die Versuche ohne Publikum aber wohl nicht zufriedenstellend, so dass kurzfristig hauptsächlich NDR-Mitarbeiter als solches organisiert wurden. In der fertigen Fassung hört man noch heute vor allem das Schreilachen von Sonja Göth, die sich kaum beruhigen konnte und vom Aufnahmeleiter fast des Studios verwiesen wurde. Doch wie kam „Dinner for One“ denn nun nach Deutschland?
Auf der nächsten Seite lest ihr, wie der Sketch angeblich nach Deutschland gekommen ist und warum gleich zwei frühere Aufführungen die angebliche deutsche Erstausstrahlung infrage stellen.