Secret State – Review

TV-Kritik zum britischen Polit-Thriller – von Marcus Kirzynowski

Marcus Kirzynowski
Rezension von Marcus Kirzynowski – 05.03.2013, 13:48 Uhr

Karrieresprung: Vizepremier Tom Dawkins (Gabriel Byrne) sitzt plötzlich in der ersten Reihe.

Alles beginnt mit dem Bild eines verheerenden Unglücks: Eine britische Ölraffinerie ist explodiert und hat das umgebende Stadtviertel verwüstet. 19 Menschen haben dabei ihr Leben verloren. Während Premierminister Flyte auf dem Rückweg von Entschädigungsverhandlungen mit dem Chemieunternehmen PetroFex ist, verschwindet sein Flugzeug plötzlich vom Radar. Vizepremier Tom Dawkins (Gabriel Byrne) muss seine Amtsgeschäfte übernehmen. Schon ringen der Innenminister und die Außenministerin um Flytes Nachfolge, während Fraktionschef John Hodder (Charles Dance) im Hintergrund die Fäden zieht. Dawkins selbst, ein Mann aus der zweiten Reihe, wird von seinen Parteifreunden nur als Stuhlwarmhalter betrachtet, von dem ganz selbstverständlich erwartet wird, dass er das Amt wieder verlassen wird, sobald ein regulärer Nachfolger gefunden ist. Aber mit einer aufwühlenden Rede vor Downing Street No. 10 erobert der sonst eher unscheinbare Politiker die Herzen seiner Landsleute und den vorderen Platz in den Umfragen. Gleichzeitig stößt er im Zusammenhang mit der Aufklärung des mysteriösen Todes seines Vorgängers auf immer größere Ungereimtheiten. Es sieht so aus, als hätten viele Menschen in seiner näheren Umgebung Gründe, ihn schnell wieder los zu werden – und das nicht nur, weil sie selbst heiß auf sein Amt sind.

Der Vierteiler „Secret State“, den Channel 4 Ende 2012 ausstrahlte, basiert auf dem Roman „A Very British Coup“ von Chris Mullin, den der britische Sender 1988 schon einmal als Miniserie verfilmt hat. Allerdings überträgt Drehbuchautor Robert Jones die Handlung in unsere Gegenwart. Nicht der Kalte Krieg, sondern der globalisierte Kapitalismus und der Krieg der westlichen Industriestaaten gegen den Terrorismus bilden diesmal den aktuellen Hintergrund für die sich entfaltende Verschwörungsgeschichte. Gabriel Byrne, ‚Golden Globe‘-Gewinner für die Hauptrolle als Therapeut in der HBO-Serie „In Treatment“, übernimmt darin den Part des ebenso anständigen wie anfangs völlig ahnungslosen Helden, der zum Spielball größerer Mächte wirkt, fast wie ihn James Stewart und Cary Grant in den klassischen Hitchcock-Filmen gespielt haben.

Tom Dawkins (Gabriel Byrne) besucht den Unglücksort.
Zuerst muss er erkennen, dass es schwierig ist, einen internationalen Multi zur Verantwortung für sein Handeln zu ziehen, wenn das britische Arbeitsplätze gefährdet, denn PetroFex droht ganz offen damit, seine Fabriken nach Indien zu verlagern. Dann drängen ihn seine eigenen Militärs und Geheimdienstchefs zunehmend, den Erstschlag gegen den Iran zu befehlen, scheint doch ein Araber mit Verbindungen zum Mullah-Regime an Bord der explodierten Maschine gewesen zu sein, der augenscheinlich dort eine Bombe gezündet hat. Und schließlich geben ihm sowohl seine eigenen Partei-„Freunde“ als auch die Leiter der quasi staatseigenen Bank, der wiederum PetroFex gehört, zu verstehen, dass er als Regierungschef eigentlich gar nichts zu entscheiden hat. Nicht die Stimme des Volkes respektive Wählers entscheidet über die wirklich wichtigen Fragen des Königreichs, sondern der militärisch-industrielle Komplex und die von diesem bestimmte Staatsräson. Es ist ein düsteres Bild vom Zustand unserer westlichen Demokratien, das Autor Jones zeichnet, aber einiges davon kommt einem aus der Realität – mit Blick auf Eurokrise und Irakkrieg – sehr bekannt vor.

Da die Verwicklungen, mit denen Dawkins sich konfrontiert sieht, mit der Zeit immer weitere Kreise der Elite seines Landes einschließen, ist es nicht immer leicht, der Handlung zu folgen, zumal als ausländischer Zuschauer, der mit den Feinheiten des britischen Politsystems nicht so vertraut ist. Ein oder zwei Nebenhandlungen wie ein dunkler Fleck auf Dawkins‘ eigener militärischer Vergangenheit im Bosnienkrieg wirken auch etwas aufgesetzt und tragen nicht wirklich etwas zur Geschichte bei. Aber langweilig wird die Miniserie nie, denn nicht nur Jones, sondern auch Regisseur Ed Fraiman verstehen es, ihr Publikum zu packen. Die Inszenierung ist modern, trotz der Dialoglastigkeit rasant und lässt einen von der ersten Szene an nicht mehr los. Bei einem Buch würde man von einem page turner sprechen, denn man möchte so schnell wie möglich erfahren, wer denn nun die Menschen an der Spitze der Verschwörung sind und warum Flyte wirklich sterben musste.

Positiv ist auch, dass die Serie ganz im Hier und Jetzt angesiedelt ist: die Politiker und Journalisten setzen ganz selbstverständlich moderne Kommunikationsmittel wie Laptops und Smartphones ein, die Außenministerin twittert und die Reaktionen der Öffentlichkeit auf bestimmte Statements lassen sich in Echtzeit abrufen. Dazu sind die Themen von „Secret State“ hoch aktuell. Vom Irankrieg träumen zur Zeit wohl viele europäische und amerikanische Militärs und Politiker und die Finanz- und Wirtschaftskrise hat endgültig bestätigt, dass Spitzenbanker nicht gerade das Allgemeingut als Leitlinie ihres Handelns betrachten. Nur ein Politiker vom Schlag eines Tom Dawkins fehlt uns leider sowohl in Großbritannien als auch in Deutschland an der Spitze der Regierung.

Getragen wird die Geschichte von durchweg tollen Schauspielern, angefangen bei Gabriel Byrne, der seine Rolle bewusst zurückhaltend anlegt, um an den entscheidenden Stellen emotional auszubrechen, über Charles Dance (der Tywin Lannister aus „Game of Thrones“) als undurchschaubarer elder statesman und Strippenzieher sowie Sylvestra Le Touzel („Appropriate Adult“) als typisch britische stocksteife Außenministerin bis zu kleinsten Nebenrollen, in denen man oft bekannte Gesichter aus HBO-Serien erkennt.

Auch wenn manche Zuschauer vielleicht vom etwas plötzlichen Ende enttäuscht sein könnten, das zudem nicht unbedingt beim einmaligen Ansehen auf Anhieb zu deuten ist, ist „Secret State“ ein echtes Sahnestück des internationalen Serienschaffens: fesselnd, handwerklich perfekt und die richtigen gesellschaftlich-politischen Fragen zur passenden Zeit stellend. Drei ebenso engagierte wie kurzweilige Stunden Fernsehen.

Dieser Text basiert auf Sichtung der kompletten Miniserie.

Meine Wertung: 4/​5
© Alle Bilder: Channel 4

Über den Autor

Marcus Kirzynowski ist Düsseldorfer Journalist und Serienfreund; wuchs mit „Ein Colt für alle Fälle“, „Dallas“ und „L.A. Law“ auf; Traumarbeitgeber: Fisher & Sons, County General Notaufnahme; die Jobs auf dem Battlestar Galactica und im West Wing wären ihm hingegen zu stressig; Wunschwohnort: Cicely, Alaska. Schreibt über amerikanische und europäische TV-Serien sowie andere Kultur- und Medienthemen, u.a. für fernsehserien.de und sein eigenes Online-Magazin Fortsetzung.tv.

Lieblingsserien: Six Feet Under, Emergency Room, The West Wing

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