Parade’s End – Review

TV-Kritik zur BBC-Miniserie mit Benedict Cumberbatch – von Marcus Kirzynowski

Marcus Kirzynowski
Rezension von Marcus Kirzynowski – 06.06.2013, 10:53 Uhr

Gentleman Christopher Tietjens (Benedict Cumberbatch) steht zwischen zwei Frauen in „Parade’s End“.

Christopher Tietjens ist, wie er selbst einmal bemerkt, ein Mann des 18. Jahrhunderts – nur dass er dummerweise Anfang des 20. Jahrhunderts lebt. Ein Gentleman der alten Schule, ein Aristokrat, dem Werte und Traditionen noch mehr bedeuten als Geld und Luxus – kurzum: ein Mann, der irgendwie aus der Zeit gefallen scheint. Benedict „Sherlock“ Cumberbatch (auch als Oberbösewicht im neuen „Star Trek Into Darkness“-Kinofilm präsent) spielt ihn mit permanenter „stiff upper lip”, mit steif hochgezogener Oberlippe und strahlt dadurch ständig eine Art Verbissenheit aus – obwohl er es doch im Grunde mit all seinen Mitmenschen nur gut meint.

Gefühle sind hingegen nicht so seine Stärke. Darunter leidet seine ebenso lebenshungrige wie in ihrem goldenen Käfig gelangweilte Ehefrau Sylvia (Rebecca Hall), die er eher aus einer Laune heraus geheiratet hat, obwohl er keinerlei Leidenschaft für sie empfindet. Nachdem sie sich mit einer Affäre getröstet hat, nimmt er sie dennoch wieder auf, da so etwas wie Scheidung in seinem Wertekosmos unvorstellbar ist. Leidenschaftliches Begehren fehlt jedoch nicht, wenn er der jungen Frauenrechtlerin Valentine Wannop (Adelaide Clemens) begegnet, und die erwidert es auch. Da Ehebruch für Tietjens aber noch unvorstellbarer ist, schmachten beide einander meist unglücklich an und still vor sich hin. Und dann ist da noch der Erste Weltkrieg, der sich erst leise im Hintergrund ankündigt und dann in der dritten Folge in aller Brutalität ausbricht, die auch Tietjens mit voller Wucht trifft. Denn der verzichtet kurzerhand auf eine Führungsposition, da er seinen Platz „eher in den Schützengräben“ sieht, wie er seinem Vorgesetzten im Amt für Statistik entgegenschleudert.
Sylvia Tietjens (Rebecca Hall) ist gelangweilt von ihrer Ehe mit Christopher.

Die von der BBC mit Unterstützung von HBO produzierte sechsteilige (im Original anders geschnittene und daher nur fünfteilige) Miniserie „Parade’s End – Der letzte Gentleman“ war 2013 in mehreren Kategorien für die britischen ‚BAFTA‘-Fernsehpreise nominiert, ging allerdings leer aus. Es ist die Verfilmung einer Romanreihe, die Ford Madox Ford bereits 1924–28 schrieb – just jener Madox Ford, über dessen äußere Erscheinung Hemingway wenig schmeichelhaft schrieb: „Er hielt sich aufrecht wie ein wandelnder, gut gekleideter, hochgestülpter Schweinskopf.“ Drehbuchautor Tom Stoppard („Anna Karenina“, Oscar für „Shakespeare in Love“) machte daraus ein gemächlich voranschreitendes Sittengemälde, das Regisseurin Susanna White elegisch in Szene setzte. Mit Klassikerverfilmungen hatte die schon reichlich Erfahrung, hat sie doch bereits Charles Dickens’ „Bleak House“ und Charlotte Brontës „Jane Eyre“ als Miniserien für die BBC verfilmt (aber auch mit HBO durch ihre Arbeit an David Simons „Generation Kill“ schon Erfahrungen gesammelt). In ihrer „Parade’s End“-Adaption wird viel (Belangloses) geredet und noch mehr vielsagend geschwiegen. Sie zeigt eine Welt, die in ihrer Sinn- wie Lieblosigkeit dem Untergang geweiht war: die Welt des britischen Adels, der Großgrundbesitzer, der Lords und Dames, die nicht begreifen wollten, dass der bürgerliche „Pöbel“ schon längst dabei war, ihnen ihren angestammten Platz streitig zu machen.

Die von ihrem Ehemann mit Liebesentzug bestrafte Sylvia mag in ihrem Streben nach persönlichem Glück schon nicht mehr ganz in diese Welt passen, beugt sich aber noch weitgehend den Konventionen ihrer Peer Group: ihre Affären spielen sich selbstverständlich verborgen vor den Augen der Öffentlichkeit ab. Für den Aufbruch in eine neue Gesellschaft steht hingegen die zweite weibliche Hauptfigur, die Sufragette Valentine, die mit ihrer Mutter ein kritisches Journal betreut und auf den Straßen für das Frauenwahlrecht demonstriert. Es ist umso tragischer, dass diese – bis zu einem gewissen Grad – emanzipierte Frau ausgerechnet durch die unerfüllte Liebe zu einem Mann daran gehindert wird, ihr Glück in einem selbstbestimmten Leben zu finden. Es ist aber gerade diese Ambivalenz, die die Darstellung der bisher kaum bekannten Adelaide Clemens so faszinierend macht. Ohne Zweifel ein vielversprechendes Talent, das auch Hollywood nicht verborgen geblieben ist, war sie danach doch sowohl in Baz Luhrmanns „Der große Gatsby“ im Kino als auch in der neuen Sundance-Channel-Serie „Rectify“ zu sehen.

Leider ist „Parade’s End“ trotz der interessanten Themen und teils hervorragenden Schauspieler größtenteils zu behäbig und auch zu konventionell inszeniert, um wirklich zu fesseln. Susanna White ergeht sich meist in Totalen der britischen Küste und prunkvoller Herrenhäuser, reiht Tischgespräch an Jagdgesellschaft, fast als wäre man in einer Proust-Verfilmung. Das dürfte viele Zuschauer vor arge Geduldsproben stellen. Nur selten durchbricht sie die Inszenierung nach Lehrbuch mit Spiegeleffekten oder kurzen Traumsequenzen. Die Schrecken des Krieges werden hingegen zumindest in den ersten drei Folgen eher am Rande abgehandelt: Kaum ist Tietjens an der Front, liegt er auch schon verletzt und geistig verwirrt im Lazarett und ist zwei Szenen später auch bereits wieder im heimischen London. Da bleiben nur die ebenso spärlichen wie kurzen Begegnungen zwischen ihm und seiner Angebeteten, um die Zuschauer bei der Stange zu halten. Was die Frauen allerdings alle an diesem so kontrollierten Mann anzieht, bleibt – zumindest für den männlichen Betrachter – etwas unverständlich. Vielleicht ist es ja das, was Valentine schon bei ihrem ersten Gespräch, bei dem sie alleine sind, anspricht: „Sie bedenken alles, während die meisten Männer nicht einmal in der Lage sind, überhaupt zu denken.“ Gefilmt ist diese Einstellung von hinten, aber man kann sich vorstellen, wie daraufhin selbst Tietjens’ Oberlippe sich zu einem Lächeln verzieht.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der kompletten Miniserie „Parade’s End“.

Meine Wertung: 3/​5

Marcus Kirzynowski
© Alle Bilder: ARTE France /​ Mammoth Screen Limited/​BBC/​Nick Briggs

Über den Autor

Marcus Kirzynowski ist Düsseldorfer Journalist und Serienfreund; wuchs mit „Ein Colt für alle Fälle“, „Dallas“ und „L.A. Law“ auf; Traumarbeitgeber: Fisher & Sons, County General Notaufnahme; die Jobs auf dem Battlestar Galactica und im West Wing wären ihm hingegen zu stressig; Wunschwohnort: Cicely, Alaska. Schreibt über amerikanische und europäische TV-Serien sowie andere Kultur- und Medienthemen, u.a. für fernsehserien.de und sein eigenes Online-Magazin Fortsetzung.tv.

Lieblingsserien: Six Feet Under, Emergency Room, The West Wing

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