How to Get Away with Murder – Review

TV-Kritik zum neuen Anwaltsthriller von Shonda Rhimes – von Gian-Philip Andreas

Gian-Philip Andreas
Rezension von Gian-Philip Andreas – 21.10.2014, 12:05 Uhr

Tough, zynisch und knallhart: die Anwältin und Uni-Dozentin Annaliese Keating (Viola Davis)

Mainstream-Sender ABC kann seinen Donnerstag mittlerweile „Rhimes-Tag“ nennen: Nach seinem Dauerbrenner „Grey’s Anatomy“ und neuen Folgen von „Scandal“ läuft diese Saison noch eine dritte Serie von Shondaland, der Produktionsschmiede der umtriebigen Shonda Rhimes. Auch wenn Rhimes diesmal nichts mit den Drehbüchern zu tun hat (als Creator fungiert ihr langjähriger „Grey’s Anatomy“-Mitstreiter Peter Nowalk), besetzt die Frau an diesem Wochentag nun die komplette Primetime: Respekt!

Die Hauptrolle hat sie dafür mit einem zweifach Oscar-nominierten Kino-Star besetzt – das ist ein kleiner Coup. Denn Viola Davis war bislang auf afro-amerikanische Frauen-Parts vom Opfer-Ende des Rollenspektrums abonniert, in ihren bekanntesten Filmen „Glaubensfrage“ und „The Help“ gab sie jeweils die Erniedrigte und Beleidigte, in der gleichwohl ein stolzes Feuer glomm. Und diesen Funken wird Shonda Rhimes gesehen haben. Als Juraprofessorin und Strafverteidigerin Annalise Keating ist Viola Davis nämlich betont tough, zynisch und knallhart – so sehr, dass es in der turboschnell inszenierten Pilotepisode mehrfach an die Grenze zur Parodie geht. Erst wer weiterschaut, wird klug gesetzte Brüche und feine Risse in der Fassade bemerken können. Trotzdem: Einen Kinostar so gegen das bisherige Image in Szene zu setzen, dass man dieses Image sofort vergisst, das muss man erst einmal hinbekommen.

Auch jenseits von Davis’ Power-Performance bleibt „How to Get Away with Murder“ als Mischung aus herkömmlichem Procedural und staffelübergreifender Crime-Mystery den Shonda-Rhimes-Standards treu, mit einem (eingangs ziemlich unübersichtlichen) multi-ethnischen Ensemble-Cast und zügigem Tempo. Annalise Keating betreibt eine elitäre Anwaltsfirma, die sich auf schwierige Mordfälle spezialisiert hat und genau weiß, „wie man mit Mord davonkommt“. Das schreibt Keating (den Serientitel erhellend) gleich zu Beginn an die Tafel eines Hörsaals, bevor sie damit beginnt, unter ihren Erstsemestern die fünf besten zu ermitteln (um sie danach als Intelligenzressource für ihre Firma auszubeuten). So wie das abläuft, erinnert das an das legendäre Team-Casting in der vierten „Dr. House“-Staffel – allerdings in einer viel höheren Geschwindigkeit. Am Ende der Pilotepisode stehen als Kandidaten fest: die strebsame Michaela (Aja Naomi King, „Emily Owens“), der neureich-großspurige Asher (Matt McGorry, „Orange is the New Black“), die stille Idealistin Laurel (Karla Souza), der smarte, schwule Connor (Jack Falahee) sowie der naive Wes, gespielt von Alfred Enoch, der hier nach sieben „Harry Potter“-Filmen seinen ersten größeren Post-Hogwarts-Part übernimmt. Wes ist spürbar als Identifikationsfigur gedacht: Als Nachrücker kam er erst in letzter Sekunde an seinen Studienplatz an der (fiktiven) Middleton Law School, weswegen er unsicher auftritt und das Geschehen mit großen Augen bestaunt. Wie er dabei beständig den Kopf schräg legt und seinen Blick fokussiert – das hat fast etwas von einer Barack-Obama-Imitation.

Dem arglosen Sympathen (Kennzeichen: wohnt in schäbigem Loch, fährt Rennrad) steht Professorin Keating diametral entgegen. Vielleicht muss auch deswegen er es sein, der die Dozentin per Zufall in flagranti mit ihrem Geliebten erwischt, dem bulligen Cop Nate (Billy Brown, „Starship Troopers 2“)? Eigentlich nämlich ist Annalise mit dem Psychologie-Prof Sam (Tom Verica, „The Nine“) verheiratet.

Ächz: Das Personalgeflecht ist noch nicht erschöpfend referiert. Denn in Annalises Firma arbeiten zwei weitere (junge, smarte) Anwälte, die vor allem auch als Tutoren der fünf Studenten fungieren: Frank (Charlie Weber, „Underemployed“) beginnt sofort eine Affäre mit Laurel, und Bonnie Winterbottom kultiviert aus bislang geheimen Gründen einen unterschwelligen Frust, den „Gilmore Girls“-Veteranin Liza Weil mit abschätzigen Blicken und schneidenden Bemerkungen sehr gut konturiert.

Wie laufen die Folgen nun ab? Ebene A: das Procedural. Pro Folge muss Annalise mit ihrem Team einem vermeintlichen Mörder beistehen. Ganz im Sinne der blinden Justitia und einer Vorstellung von Recht, die nichts mit Moral oder gar Gerechtigkeit zu tun hat, ist für Keating der Job dann getan, wenn der Delinquent am Ende freigesprochen wird. Als Zuschauer ist man auf diese zynische Nicht-Moral mitverpflichtet: Ob der Mörder ein Mörder ist, ist irrelevant. Ob er gut verteidigt wird, zählt. Jeder der Studenten darf pro Fall ein oder zwei wichtige Ermittlungsbausteine beisteuern.

Multi-ethnisches Team-Casting: Keating mit einigen ihrer Studenten
Dies alleine wäre kaum der Rede wert, weswegen Chef-Autor Nowalk zwei weitere, folgenübergreifende Krimi- bzw. Mystery-Ebenen eingearbeitet hat. Ebene B: Auf dem Campus ist die Studentin Lila verschwunden, (Lieblings-)Schülerin von Annalises Ehemann Sam, bald treibt sie tot im Wassertank einer Studentenverbindung. Wer ist ihr Mörder? Ebene C schließlich wird in Vorausblenden erzählt: Die fünf Studenten müssen, drei Monate später, eine Leiche entsorgen. Sie schleppen sie, eingewickelt in einen Teppich, in ein nahe gelegenes Wäldchen und verbrennen sie.

Das ist natürlich ein feiner Trick, denn fortan kann „How To Get Away With Murder“ dem eigenen Titel in zwei narrativen Richtungen Ehre machen: vorwärts erzählt in den Procedurals, in denen das Anwaltsteam auf Moral pfeift und Verdächtige entlastet, sowie in einer Art Rückwärtserzählung, die nach und nach (psycho-)analytisch enthüllen dürfte, wie es zum diesem Mord kam und warum die Studenten darin verwickelt sind und jetzt selbst die Unmoral an den Hacken kleben haben. Vermutlich steht die Geschichte um die tote Lila damit in Verbindung, womöglich hat Annalises duales Liebesleben damit zu tun, und auch Wes’ punkige Nachbarin Rebecca (Katie Findlay aus den „Carrie Diaries“ komplettiert den Cast) scheint eine Schlüsselrolle im Fall zu spielen.

Der Pilotfilm wirkt noch sehr schematisch in seiner Gegenüberstellung der diversen, nicht klischeefrei angelegten Typen zwischen „tough“, „naiv“, „überheblich“ und „idealistisch“, auch überfrachtet im Bemühen, die stattliche Anzahl tragender Rollen griffig einzuführen, dabei ein irres Tempo vorzulegen und zusätzlich noch die Zukunftsebene mit der entsorgten Leiche zu etablieren. Fast durchgängig wummert der Soundtrack von Drum’n’Bass-Legende Photek unter den Szenen. Und dass die Macher selbst nicht unbedingt überzeugt davon sind, dass dabei jeder mitkommt, zeigen die pausenlosen Flashbacks, die Figuren oder Details in Erinnerung rufen sollen, die eine Weile zuvor eingeführt wurden. Über diese Unsitte, sich stets an den dümmsten Zuschauern zu orientieren, über diesen penetrant inszenierten „Ach ja!“-Effekt, können Matthew Weiner oder Vince Gilligan sicher nur höhnisch lachen.

Indes: Schon in der zweiten Folge beginnt das Konzept besser aufzugehen – weil Nowalk und Rhimes etwas mehr Ruhe einkehren lassen und, wichtiger noch, ihrer genialischen Hauptfigur mehr Facetten zuschreiben: Annalise zeigt Tränen, muss sich von einer Staatsanwältin fragen lassen, ob da jemals Relevanz gewesen sei in den Dingen, die sie tue, und ihrem Mann gesteht sie ihre Furcht, den aktuellen Fall zu verlieren. „Das sagst du doch immer“, antwortet Sam. Ein erstaunlicher Satz, der Abgründe offenbart hinter der fast schon maskenhaft siegessicheren Anwältin, als die sie sich öffentlich inszeniert.

So präsentiert sich „How to Get Away with Murder“ recht bald als durchaus vielschichtige Anwaltsserie mit Potenzial. Allerdings erfindet sie das Genre keinesfalls neu und ihr dauerhaftes Gelingen wird erheblich davon abhängen, ob sich das in den Ebenen B und C aufgezogene Mystery-Geflecht als komplex oder hohl erweisen wird. Auch in puncto Spannung ist noch Luft nach oben, vor allem weil es in den wöchentlichen Fällen bislang eher unoriginell zugeht. Unstrittig ist, dass Produzentin Rhimes nach der Polit-Ausputzerin Olivia Pope (Kerry Washington) in „Scandal“ mit Annalise Keating eine weitere, eindrückliche schwarze Fernsehfigur auf die Bildschirme gebracht hat. Wenn alles klappt – und bei Shonda Rhimes klappt ja nicht wenig -, müsste das ein paar Staffeln lang funktionieren.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten beiden Episoden von „How to Get Away with Murder“.

Meine Wertung: 3/​5
Gian-Philip Andreas
© Alle Bilder: ABC Studios


Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).

Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation

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