Code 37 – Review

TV-Kritik zum Belgien-Krimi auf ZDFneo – von Marcus Kirzynowski

Marcus Kirzynowski
Rezension von Marcus Kirzynowski – 03.03.2014, 11:01 Uhr

Die Spezialeinheit für Sexualdelikte: Marc Lauwrys, Michaël Pas, Veerle Baetens und Gilles de Schryver (v.l.).

Als die blonde junge Frau auf den Tatort stiefeln will, wird sie erst einmal von den Einsatzkräften zurückgehalten. Die Beamten gucken ziemlich verdattert, als sie sich als Chefinspektorin Maes vom Genter Sittendezernat vorstellt. Auch der Kollege von der Mordkommission will die Neue gleich wieder loswerden. Offensichtlich handele es sich ja um einen Mord, liegt doch eine halbnackte Frau erwürgt auf dem Hotelbett. Aber die Frau wäre ja wohl während des Geschlechtsakts zur Erregungssteigerung gewürgt worden, erwidert Maes trocken, und Tötung durch Würgesex wäre immer noch ein Sexualdelikt – und das falle in ihre Zuständigkeit.

Code 37 ist innerhalb der belgischen Polizei das Signalwort für ein Delikt, das mit Sexualität zu tun hat und das dann von der ‚Sitte‘ untersucht werden muss. Und darunter fallen mehr Tatbestände als Unbedarften auf Anhieb einfallen würden: nicht nur Sexualmord und Angriffe auf Prostituierte, sondern etwa auch Voyeurismus und Exhibitionismus – Straftaten, die in deutschen Krimiserien eher selten bis gar nicht behandelt werden. Das ist auch der größte Pluspunkt der belgischen Serie „Code 37“, die bereits ab 2009 produziert wurde: Sie gewährt Einblicke in die weitgehend unbekannte Welt der Triebtäter, des Rotlichtmilieus und ungewöhnlicher Sexualpraktiken. Ein starker Kontrast zu den üblichen Mordermittlungen, die man gefühlte zwei Dutzend Mal am Tag im deutschen Fernsehen verfolgen kann. Der zweite große Vorzug der Serie ist ihre Hauptdarstellerin: Veerle Baetens wurde im vergangenen Jahr als ganzkörpertätowierte Mutter eines leukämiekranken Mädchens im ‚Golden Globe‘- und ‚Oscar‘-nominierten belgischen Kinofilm „Broken Circle“ einem internationalen Publikum bekannt. Für diese berührende Rolle bekam sie den Europäischen Filmpreis als beste Schauspielerin des Jahres. Demnächst wird Baetens auch in der neuen, vom ZDF koproduzierten europäischen Krimiserie „Das Team“ an der Seite von Lars Mikkelsen und Jasmin Gerat zu sehen sein. Baetens dominiert „Code 37“ recht stark, sie ist ganz klar der Mittelpunkt der Geschichten. Wie sie in engen Jeans burschikos durch Straßen und Büros stapft, erinnert an Nina Kunzendorfs Kommissarin im Frankfurter „Tatort“. Etwas fragwürdig wirkt allerdings, dass die Kamera ständig genau auf ihren Hintern hält, besonders angesichts des sensiblen Themas der Serie.

Hannah Maes (V. Baetens) muss sich als neue Chefin gegen ihre männlichen Kollegen durchsetzen.
Die Kollegen, natürlich allesamt Männer, bleiben im Vergleich eher blass: Charles Ruiters (Marc Lauwrys) ist der alte Hase im Team, ein Verhörspezialist, der in sich zurückgezogen lebt, seit Ehefrau und Kinder ihn verlassen haben. Kevin Desmet (Gilles de Schryver) ist das Greenhorn, wirkt, als hätte er gerade erst Abitur gemacht, wohnt noch bei den Eltern und ist nicht nur im Umgang mit Waffen noch unerfahren. Bob de Groof (Michael Pas) schließlich ist der mürrische Macho, der die Autorität der neuen Chefin erst einmal in Frage stellt, weil er sich von einer ‚Madam‘ nichts sagen lassen will. Dass die aber durchaus „Eier hat“, muss er schnell eingestehen.

Die Ermittlung selbst läuft weitgehend nach vertrautem Muster: Es werden verschiedene Richtungen verfolgt, von der Beziehungstat bis zur Zufallsbekanntschaft. Schnell wird deutlich, dass die Tote eine Nymphomanin war, die ihr Doppelleben vor dem Ehemann geheim gehalten hat. Interessant ist am Ende weniger, wer der Mörder war, sondern was ihn zu der Tat getrieben hat. Hier offenbart sich eine gewisse Tragik, die den Fall über einen gewöhnlichen Whodunnit erhebt. Verzwickter ist schon der Fall der zweiten Folge, wo eine Exhibitionistin von ihrem Liebhaber verprügelt wird, weil der es gar nicht witzig findet, dass die während des Sex‘ absichtlich die Vorhänge für ihren Nachbarn gegenüber offen lässt – der ist passenderweise Voyeur. Die Diskussion, ob diese Delikte bestraft werden sollten, obwohl die beiden Nachbarn ihr erotisches Spiel einvernehmlich betrieben haben, wirft nebenbei eine interessante moralische Frage auf. Bemerkenswert ist die Offenheit, mit der die Belgier das Thema Sex behandeln. Da wird kein Blatt vor den Mund genommen und schon in der ersten Doppelfolge gibt es fast genauso viel zu sehen wie im kontrovers diskutierten ersten Teil von Lars von Triers Film „Nymphomaniac“. Natürlich besteht hier auch immer eine gewisse Ambivalenz, den Zuschauer durch die freizügigen Sexszenen quasi zum Mittäter zu machen. Auch den männlichen Ermittlern scheint manchmal die professionelle Distanz zu fehlen, wenn sie beim Ansehen von Sextapes Chips essen oder Bob ständig schweinische Witze zum Besten gibt.

Während die einzelnen Folgen überwiegend jeweils einen abgeschlossenen Fall der Woche erzählen, bringt Hannah Maes auch noch eine tragische Hintergrundgeschichte mit, die erst schrittweise enthüllt wird. Offensichtlich ist ihre Mutter vor acht Jahren selbst Opfer eines Sexualverbrechens geworden, was die Polizistin nicht loslässt. An der Wand ihrer neuen Genter Wohnung legt sie eine Ermittlungsübersicht an und versucht, sich Einblick in die alte Akte zu verschaffen. Allerdings nehmen diese folgenübergreifenden Elemente zunächst noch zu wenig Raum ein, um wirklich Interesse wecken zu können.

Gefilmt ist „Code 37“ recht dynamisch, mit verstärktem Einsatz der Handkamera. Bemerkenswert ist zudem die Vorliebe von Hannah Maes (und den Serienmachern) für Klassiker der Soulmusik. Fans des Motown-Labels werden hier auf ihre Kosten kommen. Insgesamt ist dem belgischen Fernsehen eine durchaus ansprechende Krimiserie gelungen, die vor allem von dem ungewöhnlichen Spektrum der behandelten Fälle und der starken Hauptfigur lebt. Freunden von ZDF-Krimi-Einheitskost werden Sprache und Ambiente vielleicht etwas zu rau sein, während Fans ambitionierterer Serien die Erzählstruktur wohl etwas zu konventionell finden werden. Wer aber einfach eine originelle Abwechslung zu „Tatort“ & Co. sucht, sollte „Code 37“ eine Chance geben.

Dieser Text basiert auf Sichtung der ersten drei Episoden von „Code 37“.

Meine Wertung: 3/​5

Marcus Kirzynowski
© Alle Bilder: ZDF/​VTM/​Menuet Producties

Über den Autor

Marcus Kirzynowski ist Düsseldorfer Journalist und Serienfreund; wuchs mit „Ein Colt für alle Fälle“, „Dallas“ und „L.A. Law“ auf; Traumarbeitgeber: Fisher & Sons, County General Notaufnahme; die Jobs auf dem Battlestar Galactica und im West Wing wären ihm hingegen zu stressig; Wunschwohnort: Cicely, Alaska. Schreibt über amerikanische und europäische TV-Serien sowie andere Kultur- und Medienthemen, u.a. für fernsehserien.de und sein eigenes Online-Magazin Fortsetzung.tv.

Lieblingsserien: Six Feet Under, Emergency Room, The West Wing

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