„Bosch“ – Review

Amazon fängt die dunkle Seele der Glitzer-Metropole Los Angeles ein – von Bernd Krannich

Bernd Krannich
Rezension von Bernd Krannich – 22.06.2015, 10:00 Uhr

Was geschah in jener Nacht, als sich Bosch (Titus Welliver) und der mutmaßliche Frauenmörder gegenüber standen?


Basierend auf den Romanen von Michael Connelly ließ der Video-on-Demand-Dienstleister Amazon durch Eric Overmyer die Serie „Bosch“ entwickeln. Deren Handlung dreht sich um Detective Hieronymus ‚Harry‘ Bosch und zwei seiner aktuellen Fälle, die sich als Rückgrat durch die gesamte erste Staffel mit ihren zehn Teilen ziehen. Im Hintergrund muss sich der Cop noch in einem Zivilprozess gegen den Vorwurf des Totschlags verteidigen: Bosch hatte einen Verdächtigen in vermeintlicher Notwehr erschossen – jedoch ohne Zeugen, so dass der Ablauf der Ereignisse auch für den Zuschauer fraglich bleibt.

Harry Bosch
Bereits die erste Episode, die bei Amazon vorab zur Begutachtung und als Entscheidungsgrundlage für eine spätere Serienbestellung veröffentlicht wurde, konnte die Qualität der Ausarbeitung der Hauptfigur verdeutlichen. Das verwundert kaum, denn Harry Bosch wurde in 17 Romanen beschrieben, die über einen Zeitraum von 22 Jahren veröffentlicht wurden und etwa ebensoviele Lebensjahre des Cops abdecken. Für die Serie wurde Boschs „Buch“- Lebensgeschichte aber um knapp zwei Dekaden nach hinten verschoben. Statt in Vietnam diente er in der Serie etwa im ersten Golfkrieg. Da Romanautor Connelly auch zu den Produzenten der Amazon-Serie gehört und die erste Staffel ihre Inspirationen aus gleich dreien seiner Romane zieht, erhalten Fans der Vorlage zahlreiche Shout-out-Momente. Gleichsam ermöglicht die Vorarbeit in den Romanen, den Hauptcharakter auch in der Serienstaffel sehr dicht und detailreich darzustellen – und von ihm als soliden Stamm aus die Geschichten auf verschiedenen Ebenen wie Äste voranzutreiben.

Versucht die Welt zu verstehen: Harry Bosch (Titus Welliver)

Der Job
Drei Fälle beschäftigen Bosch in den ersten zehn Folgen, und alle haben auch Berührungspunkte mit dem (Vor-)Leben des Cops. Fall eins liegt eigentlich schon über ein Jahr zurück. Bei der Observierung eines Verdächtigen kam es nach einer kurzen Verfolgungsjagd zur Konfrontation zwischen Bosch und einem möglichen Mehrfachmörder. Bosch erschoss dabei den Verdächtigen – mutmaßlich in Notwehr, auch für die Zuschauer bleibt die Frage nach dem „wahren“ Ablauf aber offen, da es am Ende der Verfolgungsjagd keine Zeugen gab. Während die Dienstaufsicht Bosch ein regelkonformes Verhalten bescheinigte, wird er von der Witwe in einem Zivilprozess vor Gericht gezerrt. Der Vorwurf: Bosch habe den Mann „hingerichtet“ und danach eine Waffe bei ihm platziert. Die Verhandlungsszenen werfen ein Licht auf Boschs Herkunft als in sehr schlechten Umständen aufgewachsenes Kind, das zwischen dem Mord an seiner Mutter, straffer und strafenreicher Erziehung in einem katholischen Waisenhaus, Rebellion und Hoffnungslosigkeit geprägt wurde. Dass der Tote des Mordes an mehreren Frauen verdächtigt war, wird von der Anklage dann auch als Motiv angeführt, dass der Cop Selbstjustiz geübt habe. Gleichzeitig wird auch die Polizei-Politik thematisiert, bei der Boschs Vorgesetzte es lieber gesehen hätten, wenn der Detective sich nicht vor einem Geschworenengericht verteidigt hätte, sondern einem Vergleich den Weg bereitet hätte.

Fall zwei beschäftigt sich mit dem Zufallsfund einer männlichen Kinderleiche in den Canyons von Los Angeles. Nur die Knochen sind noch übrig und schnell wird deutlich, dass der Junge in seinem kurzen Leben unglaubliches körperliches Leid erlebt hat – das kennt auch Bosch aus eigener Erfahrung in den Kinderheimen. Klassische Detektivarbeit ist notwendig, um nach und nach Spuren zu analysieren und schließlich die Ereignisse zu rekapitulieren, die dazu führten, dass der Junge vor über 20 Jahren in einem flachen Grab verscharrt wurde. Dabei steht die Stadt Los Angeles, ihre Bewohner und eher persönliche Geschichten zahlreicher Beteiligter und Verdächtiger im Zentrum.

Der dritte Fall kommt in der zweiten Folge der Serie hinzu: Ein Mann wurde bei einer Verkehrskontrolle mit einer Männerleiche in seinem Van gestoppt. DNA-Spuren in dem Fahrzeug deuten darauf hin, dass gleich mehrere weitere Morde auf sein Konto gehen dürften. Eine brisante Enthüllung des geständigen Täters ruft Bosch auf den Plan, der sich widerwillig mit dem schleimigen Verdächtigen abgibt. Dieser Fall bringt ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen Bosch und dem gewitzten Verdächtigen mit sich, der bei Bosch stets auf die richtigen Knöpfe zu drücken versteht.

Showrunner Overmyer nutzt bei Bosch die Steilvorlage von Connellys Romanen zu einem überaus gelungenen Abschluss. In bester Pay-TV-Manier ist die erste Staffel von „Bosch“ ein sehr dicht erzählter „Film mit 450 Minuten Laufzeit“. Auf allen Ebenen kann dabei die Figur Harry Bosch brillieren und ist dabei in ihrer Vielschichtigkeit für das Fernsehen außergewöhnlich: Über Boschs Jugend in Kinderheimen, seine Lebensgeschichte mit Ex-Frau und nach einem längeren Auslandsaufenthalt entfremdeter Teenagertochter, bis zu seiner Position im LAPD, wo der eigenwillige und dickköpfige Bosch neben zahlreichen befreundeten Kollegen auch diverse Feinde hat – darunter den Chef seiner Chefin. Mit diesem starken Fundament stehen auch zahlreiche Nebenhandlungen solide da. Hilfreich dabei ist, das Harry Bosch ein sehr fehlbarer Mensch ist, der zwar versucht, an sich zu arbeiten, im Stress aber auch häufig den Weg des geringsten Widerstandes wählt.

Es ist die Mischung aus erfahrener Abgeklärtheit und menschlicher Schwäche, die es zum Vergnügen macht, dem Nicht-Ganz-Anti-Helden Bosch zuzuschauen. Sein Stolz hat ihn dazu getrieben, das persönliche Risiko des Zivilprozesses zu suchen statt einem Vergleich – sogar ohne Schuldeingeständnis – zuzustimmen. Als er bei seinen Ermittlungen einer charmanten und ungewöhnlichen jüngeren Streifenpolizistin begegnet, kann Harry trotz des zu erwartenden Tratsches der Kollegen nicht widerstehen. Insgesamt weiß Harry mal die innere Polizei-Politik zu seinem Vorteil und dem seiner Freunde zu manipulieren, während er andererseits manchmal betriebsblind ist und von Entwicklungen überrascht wird. Auch gegenüber seiner Tochter „versucht“ er, offen zu sein und sich ihren Bedürfnissen anzupassen. Trotzdem nimmt er sich Arbeit mit, als er sie nach ihrem längeren Auslandsaufenthalt zum ersten Mal im vier Stunden entfernten Las Vegas besucht – in der Hoffnung, dass ihre Mutter als ehemaliger FBI-Profiler ihm mit einer Konsultation hilft und obwohl absehbar ist, dass sein Ex-Frau erbost darüber sein wird, dass er sich die Zeit nicht für die Tochter frei genommen hat.

Nicht ganz mithalten mit der gut ausgearbeiteten Figur kann dessen Darsteller Titus Welliver, der sozusagen „einen halben Punkt Abzug in der B-Note“ verursacht. Nicht immer gelingt ihm die Darstellung von Boschs stoischem Äußeren und der inneren Aufgewühltheit.

Daneben ist der Vorteil der langen Buch-Vorgeschichte für die Hauptfigur bei den Nebenfiguren vermutlich ein kleiner Nachteil: In der ersten Staffel häuft sich die Vielzahl an kleinen Geschichten zu sehr, die auch in die Serie gepackt wurden. Weil ihnen in ihrer Häufigkeit nicht genug Zeit eingeräumt werden kann, wirken sie häufig gezwungen und hinterlassen offene Enden, die hoffentlich in der zweiten Staffel verknüpft werden.

Dieser Text basiert auf Sichtung der kompletten ersten Staffel der Serie.

Meine Wertung: 4/​5
Bernd Krannich
© Alle Bilder: Amazon Studios



Über den Autor

Bernd Krannich ist Jahrgang 1974 und erhielt die Liebe zu Fernsehserien quasi in die Wiege gelegt. Sein Vater war Fan früher Actionserien und technikbegeistert, Bernd verfiel den Serien spätestens mit Akte X, Das nächste Jahrhundert und Buffy. Mittlerweile verfolgt er das ganzes Serienspektrum von „The Americans“ über „Arrow“ bis „The Big Bang Theory“. Seit 2007 schreibt Bernd beruflich über vornehmlich amerikanische Fernsehserien, seit 2014 in der Newsredaktion von fernsehserien.de.

Lieblingsserien: Buffy – Im Bann der Dämonen, Frasier, Star Trek – Deep Space Nine

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