Corona-Gegenmaßnahmen stellen Upfronts 2020 in Frage

Serienproduktion in den USA steuert auf Stillstand zu

Bernd Krannich
Bernd Krannich – 14.03.2020, 13:13 Uhr

US-Networks
US-Networks

In den USA wurde am Freitag wegen des Kampfes zur Eindämmung der aktuellen Corona-Epidemie von Präsident Donald Trump der Notstand ausgerufen. Derweil wurden in der Fernsehindustrie die Gegenmaßnahmen in den vergangenen 24 Stunden nochmals intensiviert.

Mit Disney TV Studios („The Big Sky“) und Warner Bros. TV („Young Sheldon“, „Batwoman“, „The Flash“, „Supernatural“-Finale) haben sich weitere Studios einem weitgehenden Produktionsstopp in der Film- und Fernsehindustrie angeschlossen, auch Netflix hat seine Film- und Serienproduktionen in den USA und Kanada eingefroren. Derweil hat der amerikanische College-Sport-Verband sein alljährliches Turnier NCAA Division I Men’s Basketball Tournament – besser bekannt unter dem Spitznamen March Madness – abgesagt, das traditionell bei CBS übertragen wird. Das führt unter anderem dazu, dass das zweiteilig geplante Serienfinale von „Hawaii Five-0“ nun über zwei Wochen gestreckt wird – der erste Teil läuft bereits am 27. März, bevor die letzte Folge wie geplant am 3. April zu sehen sein wird.

Auch bei vielen in der Regel vor Publikum aufgezeichneten Sendungen (fernsehserien.de berichtete) wurde in den vergangenen Stunden nochmal nachjustiert: „Last Week Tonight with John Oliver“ wird am Sonntag nur noch eine „verkürzte Episode“ ohne Publikum produzieren und dann in eine Pause undefinierter Länge gehen, statt weiterhin – aber ohne Publikum – zu drehen. Nachdem es im Studiogebäude, in dem „Full Frontal with Samantha Bee“ produziert wird, einen Corona-Fall gab, wurde auch hier die Produktion zunächst unmittelbar ausgesetzt.

Aktuell beherrscht die Frage, wie sich die Produktionsaussetzungen auch bei den allermeisten Dramaserien-Pilotfolgen auf die Gepflogenheiten im US-Programm auswirken werden, die Spekulationen.

Pilot Season

Es ist ein Kreislauf, den schon einige Senderchefs brechen wollten, doch noch keiner brechen konnte: Alljährlich bestellen die großen US-Networks ABC, CBS, NBC, FOX und The CW in der Zeit nach dem Jahreswechsel rund 100 Serienpiloten, aus denen sie später neue Serien für das Herbstprogramm auswählen. Parallel, mit Zeitdruck und in Konkurrenz versuchen die Sender dann, Hauptrollen und wichtige technische Positionen zu besetzen und die Projekte zu produzieren, damit sie Anfang Mai bei den Networks vorliegen. Die sogenannte Pilot Season.

Denn Anfang Mai veranstalten die Sender traditionell ihre Upfronts, die Programmvorstellung gegenüber den Werbekunden – in den folgenden Wochen wird bereits ein Großteil des Werbezeitengeschäfts vorab („upfront“) zwischen Werbeindustrie und Sendern abgewickelt: Für irgendwas wird ja doch immer Werbung geschaltet, und die Sender wandeln bei diesem Vermarktungsmodell auf einem komfortablen Grat zwischen sicheren Einnahmen und Restzeiten, die kurzfristig verkauft werden können – etwa für politische Werbung wie in einem Wahljahr wie 2020.

Schon immer wurde kritisch gesehen, dass sich die Sender durch die Pilot Season unnötig gegenseitig in einem engen Zeitrahmen enorme Konkurrenz machen. Diese Steigerung der Nachfrage sorgt für eine Verknappung des Marktes: Ein Drittel bis zur Hälfte der Serienpiloten führt nicht zur Serienbestellung, zahlreiche zugkräftige Darsteller haben auf das falsche Pferd gesetzt, während unerfahrene oder nicht ganz passende Darsteller nun auf Jahre in Serienrollen stecken – und etablierte Figuren aus einer Serie zu schreiben sorgt in der Regel für schlechte Publicity. Für die Sender ist das ein hausgemachtes Problem. Mehr noch, da mittlerweile Kabelsender und Streamingdienste die frei gewordenen Talente im stattfindenden Serienschöpfungsprozess einstellen können. Was im nächsten Jahr zu noch mehr Druck führt, die „richtigen“ Darsteller zu finden.

Nachdem vor Tagesfrist bereits die Upfronts-Veranstaltungen der großen Sender, bei denen das Herbstprogramm mit „vielversprechenden, neuen“ und „beliebten, alten“ Serien angepriesen wird, von großen, aufwändigen Veranstaltungen zu Online-Präsentationen zusammengestrichen wurden (fernsehserien.de berichtete), steht in diesem Jahr nun plötzlich der ganze Prozess auf der Kippe.

Denn mit den Produktionsverzögerungen bei den Dramapiloten darf bezweifelt werden, dass diese rechtzeitig fertiggestellt werden können, um bis zur Woche vom 11. bis 14. Mai Programmentscheidungen zu ermöglichen, wenn die Upfronts anstehen.

Nachdem die TV-Branche und die Upfronts in den letzten Jahren bereits einige Veränderungen gesehen haben, könnte das nun eine Situation sein, in der die mehr als 50 Jahre alten Strukturen aufbrechen könnten. Zuletzt hatten Firmen wie NBCUniversal bei den Upfronts neben ihrem Network bereits ihr gesamtes Senderangebot als Werbefläche präsentiert (also auch Kabelsender wie SYFY und USA Networks). Auch CBS wollte in diesem Jahr wieder Streaminganbieter CBS All Access mit ins Spiel bringen.

Über allem schwebt auch noch die Drohung eines Streiks der Drehbuchautoren, deren laufender Tarifvertrag mit dem Produzentenverband AMPTP am 1. Mai endet. Es wird erwartet, dass vor allem um die Entlohnung für die Streaming-Verwertung im nächsten, dreijährigen Vertrag gerungen wird, ein Thema, das vor dem Hintergrund des Aufkommens der Streamingdienste schon länger brodelt.

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • (geb. 1991) am

    Naja, der Autorenstreik hätte die aktuelle Season nicht mehr getroffen, weil die letzten Folgen der jeweiligen Staffel bereits Anfag Mai gesendet werden. Da wäre es etwas knap gewesen mit drehen. Es hätte höchsten den Anfang der nächsten Season beeinflusst, was jetzt vielleicht sowieso passiert wenn man bei den meisten Serien kein Staffelfinale hat und Verträge mit Gastdarstellern auslaufen oder man im Sommer nachdrehen müsste.

    Was die Upfronts betrifft verstehe ich nicht warum man nicht einfach das Publikum mit einbezieht. Spätestens jetzt, wo jeder Sender einen Onlineauswertung hat, würde ich einfach jeden bestellten Piloten Online stellen um dann zu sehen was die Leute mögen oder halt nicht. Und diese Möglichkeit hätte man auch schon seit Jahren im Fernsehen selber, wenn man in (oder nach) der Woche wo die letzten Folgen der jeweiligen Staffel laufen, die Piloten einfach sendet um zu schauen auf was sich die Zuschauer freuen.

    weitere Meldungen