2021, Folge 357–371

  • Folge 357 (45 Min.)
    Seit Jahrzehnten kämpfen Deutschlands Werften ums Überleben. Die Strategie im Kampf gegen Fernost: Spezialisierung statt Massenproduktion. Bei den MV WERFTEN in Mecklenburg-Vorpommern sollten es gigantische Kreuzfahrtschiffe richten. Doch die Corona-Pandemie ließ den Markt einbrechen und die als „Wunder von Warnemünde“ gepriesene Werftenrettung ins Stocken geraten. Seither versuchen Politiker*innen in Schwerin und Berlin, die Werften mit millionenschweren Krediten über die Runden zu bringen. Gelingt die Rettung in letzter Sekunde? Immerhin geht es um das „industrielle Herz“ der Region und Tausende traditionsreiche Arbeitsplätze.
    Oder bleiben die Werften ein Patient am Tropf der Steuerzahler? Vielleicht auch, weil der Politik der Mut zum Umdenken und zum beherzten Strukturwandel fehlt? Monatelang wurde verhandelt, gezittert und gebangt. Anfang Juni 2021 kam das erlösende Signal. Die MV WERFTEN in Wismar, Warnemünde und Stralsund erhalten rund 300 Millionen Euro aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds der Bundesregierung. Damit kann das im Bau befindliche gigantische Kreuzfahrtschiff, die „Global Dream“, fertiggestellt und rund 2000 Arbeitsplätze können gesichert werden.
    650 Beschäftigte der MV WERFTEN werden ab Mitte 2021 in eine ebenfalls staatlich finanzierte Transfergesellschaft entlassen. Die Geldspritze aus Steuermitteln bedeutet jedoch nur eine Schonfrist für die Werften. Werden keine neuen Aufträge eingeworben, droht 2022 das endgültige Aus. Welche Rolle das Superwahljahr für den positiven Regierungsbescheid gespielt hat, ist offen. Der Dreiklang aus Werften – Krise – Staatshilfe hat jedoch eine lange Tradition.
    In Deutschlands Norden kam es Werftarbeitenden, Bäckern und Bürgermeistern 2015 wie ein Wunder vor. Ein asiatischer Tourismus- und Glücksspielkonzern kündigte an, hier die größten Kreuzfahrtschiffe der Welt zu bauen. Ebenso sollten Luxusliner für Expeditionen in die Arktis und Antarktis entstehen. Vor dem Einstieg der Genting-Group aus Hongkong hatte den Werften in Bremerhaven, Rostock, Wismar das Aus gedroht. Die COVID-19-Pandemie ließ den Genting-Konzern jedoch ins Schlingern geraten. Werksschließungen und Kurzarbeit führten zu erheblichen Verzögerungen beim Bau der „Global Dream“ und der Luxus-Expeditionsjacht „Endeavor“.
    Nur mit staatlichen Hilfen von 250 Millionen Euro konnte Ende 2020 eine Insolvenz der MV WERFTEN verhindert werden. Die Corona-Pandemie ist ein wichtiger Grund für die aktuellen Probleme. Sie legt aber auch systemische Schwächen der maritimen Wirtschaft und der Politik offen. Nach dem Mauerfall investierte der Staat Milliarden Euro in die Modernisierung der Werften zwischen Peene und Weser. Investoren wurden mit staatlichen Bürgschaften und Krediten ebenfalls in Milliardenhöhe unterstützt.
    Die massive Unterstützung konnte aber mehr als ein halbes Dutzend Werftenpleiten nicht verhindern. Hunderte Millionen Euro an Steuergeldern wurden allein durch kriminelle Subventionsverschiebungen und fällige Bürgschaften verbrannt. Gebetsmühlenartig verweisen Politiker*innen vor allem in Mecklenburg-Vorpommern darauf, dass die Werften das industrielle Herz des Landes verkörpern. Ein Plan B, um die maritime Wirtschaft auf eine breitere Basis zu stellen, sie auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz auszurichten, wurde nie ernsthaft erwogen.
    Die „Global-Dream“ und die „Endeavor“ werden mit herkömmlichen Dieselmotoren die Weltmeere kreuzen. Erst angesichts der massiven Krise wird über die Gefahr der Konkurrenz aus China und die Chancen einer grünen Kreuzschifffahrt diskutiert. Aber nicht nur an der Ostsee geht den Werften die Arbeit aus. Auch in Hamburg, Kiel, Rendsburg und Papenburg sind traditionsreiche Standorte von massiven Arbeitsplatzverlusten bedroht. Der Film dokumentiert den Stolz junger Schiffbauer in Rostock und das existenzielle Trauma der Region nach den wiederholten Abstürzen der Werftbetriebe.
    Die Dokumentation leuchtet am Beispiel der MV WERFTEN systemische Probleme des deutschen Schiffbaus aus. Ist eine Alternative zur Dauersubvention möglich? Vorgestellt wird im Film ein maritimer Industriepark im dänischen Odense. Schon 2009 wurde die einstige Großwerft Moller-Mærsk in ein Hightechprojekt rund um maritime Dienstleistungen verwandelt. Gegen die Konkurrenz aus Fernost hatte man keine andere Perspektive mehr gesehen. Mittlerweile arbeiten in den oft kleinteilig organisierten Firmen rund 3000 Beschäftigte, fast doppelt so viele wie im alten Werftbetrieb. (Text: NDR)
    Deutsche TV-PremiereMo 02.08.2021NDRDeutsche Online-PremiereDi 27.07.2021ARD Mediathek
  • Folge 358 (45 Min.)
    Sandstrand, Meer und Wellen, vor allem in diesem Jahr ist die Sehnsucht nach Urlaub groß. Viele Menschen werden ihre Ferien auf Sylt verbringen. Die Insel ist berühmt für ihre kilometerlangen Strände. Doch die sind hoch gefährdet. Jahr für Jahr müssen die Sylter dort neuen Sand aufschütten. Eine Sisyphusarbeit, denn Wind und Wellen tragen den Sand anschließend Meter für Meter wieder ab. Reporter Tobias Lickes begibt sich auf die Spuren des Sandes. Der Sand für die Strände Sylts kommt vom Meeresboden weit draußen in der Nordsee, was Jahr für Jahr Millionen von Euro verschlingt.
    Es sei eine wichtige Küstenschutzmaßnahme auch für das Festland dahinter, rechtfertigt das zuständige Ministerium in Schleswig-Holstein die hohen Kosten. Aber wie nachhaltig sind diese Maßnahmen wirklich? Reporter Tobias Lickes begleitet Forschende des Alfred-Wegener-Instituts auf ihrem Schiff. An Bord der „Mya II“ betreiben die Wissenschaftler Grundlagenforschung: Sie vermessen erstmals die Abbaugebiete des Sandes unter Wasser.
    Die Aufnahmen der Wissenschaftler zeigen: Auch Jahrzehnte nach der ersten Sandentnahme vor Sylt sind die Krater im Meeresboden noch immer deutlich zu erkennen. Wo früher hochwertiger Sand lag, sind nun Gruben mit Schlick entstanden, die nicht erneut abgebaut werden können. Überall an den deutschen Küsten verschwinden Sandstrände. Mit Buhnen, das sind Pfähle aus Holz oder Beton, versuchen Gemeinden, den Sand zu erhalten. Ihr Einsatz gleicht einem Kampf gegen Windmühlen. Der Sand bleibt einfach nicht dort, wo er bleiben soll.
    Sandaufspülungen gelten als „weiche Küstenschutzmaßnahme“, doch sie sind nicht nur bei Umweltschützenden umstritten. Tobias Lickes trifft die Bürgermeister aus Börgerende-Rethwisch Horst Hagemeister (parteilos) und Nienhagen Uwe Karl (CDU). Sie sind wütend, in ihren Augen wird Sylt im Küstenschutz bevorzugt behandelt und die Strände vor ihrer Haustür werden nicht ausreichend vor dem Abbruch geschützt. Zum Rohstoff Sand gibt es wenig Alternativen. Nicht nur der Küstenschutz ist bislang auf Sand angewiesen.
    Egal ob Beton, Autos, Computerchips, Reinigungsmittel oder Handys: Sand ist überall enthalten. Berechnungen zeigen: Wenn wir weiter so viel Sand verbrauchen wie bisher, wird der begehrte Rohstoff knapp. Schon jetzt floriert der illegale Sandhandel. Unter unmenschlichen Bedingungen versuchen Menschen, Sand von Stränden abzutragen oder vom Meeresgrund zu holen. Doch welche Möglichkeiten gäbe es, mit Sand in Zukunft nachhaltiger umzugehen? Reporter Tobias Lickes trifft die Professorin Andrea Kustermann von der Hochschule München.
    Die Wissenschaftlerin und ihr Team haben in einem Pilotprojekt erforscht, wie Sand in der Baubranche nachhaltiger verwendet werden könnte. Schließlich sind es vor allem die Bauprojekte, die in Deutschland Millionen Tonnen von Sand verschlingen und dabei eine Menge CO2 verursachen. Kustermann schlägt vor, viel mehr Sand zu recyceln. In einem eindrucksvollen Experiment zeigt sie, wie das funktionieren kann. Eine beeindruckende und packende Dokumentation über einen unterschätzten Rohstoff. (Text: NDR)
    Deutsche TV-PremiereMo 09.08.2021NDR
  • Folge 359 (45 Min.)
    Der Paragraf 218 StGB ist 150 Jahre alt, fand seine Aufnahme bereits in das Strafgesetzbuch des Deutschen Reiches von 1871. Nach wie vor sind Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland rechtswidrig und nur unter bestimmten Bedingungen straffrei. Mittlerweile müssen Frauen in manchen Regionen lange Wege für einen Schwangerschaftsabbruch in Kauf nehmen. Denn immer weniger Ärztinnen und Ärzte bieten Abtreibungen an. Was sind die Gründe dafür? Und welche gesellschaftlichen Bedingungen beeinflussen diese ärztliche Entscheidung, von der die Frauen so unmittelbar abhängig sind? Es sind nicht nur die Frauen, die eine Entscheidung treffen müssen für oder gegen eine Abtreibung.
    Auch jeder Arzt und jede Ärztin in Deutschland darf selbst entscheiden. Das hat auch Auswirkungen auf die Versorgung: Seit 2003 ist die Zahl der Praxen und Krankenhäuser, die grundsätzlich Abbrüche durchführen, um fast 46 Prozent gesunken. Das zeigen Daten des Statistischen Bundesamtes. Neben vielfältigen emotionalen und religiösen Gründen gibt es auch Ursachen für den Ärztemangel, die über die individuelle Entscheidungsebene hinausgehen. Gerade unter Studierenden wie den Medical Students for Choice ist der Frust groß, weil sie der Meinung sind, dass Schwangerschaftsabbrüche nicht ausreichend im Medizinstudium thematisiert werden.
    Die aktivistische Gruppe nimmt die Sache mittlerweile selbst in die Hand, bietet sogenannte Papaya-Workshops an: Dort lernen Studierende mithilfe von erfahrenen Gynäkologinnen und Gynäkologen anhand einer Papaya, wie Abbrüche funktionieren. Andere Workshops und Fortbildungen für Ärztinnen und Ärzte bietet auch die Gruppe Doctors for Choice. Die Ärztin Alicia Baier hat das Netzwerk mitgegründet und betont, wie wichtig diese Fortbildungsangebote sind: „Wenn ich an ein Krankenhaus gehe und nie jemanden kennenlerne, der mir zeigt, wie Abbrüche gemacht werden, dann habe ich ja auch kein Vorbild und keine Motivation und komme gar nicht auf den Gedanken, dass es zu meinem Fach gehört.“ Henrik Herrmann, Mitglied des Vorstandes der Bundesärztekammer, findet: entscheidender als die Ausbildung seien ganz andere Gründe.
    Er blickt mit Sorge auf das gesellschaftliche Klima, in dem die Ärztinnen und Ärzte praktizieren müssen. „Wir hören immer mehr aus der Kollegenschaft, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, dass sie angefeindet werden in den sozialen Medien, aber auch teilweise direkt vor den Praxen“, berichtet er.
    Probleme bei der Ausbildung, gesellschaftliche Stigmatisierung von Ärztinnen und Ärzten und immer wieder auch ganz persönliche Gewissenskonflikte: Die Autorinnen Marie Blöcher und Konstanze Nastarowitz reisen zu angehenden, praktizierenden und ehemaligen Ärztinnen und Ärzten in ganz Deutschland, um zu erfahren, was ihre Haltung zu Abtreibungen prägt. Sie wollen verstehen, wie sie selbst auf die Versorgungslage in Deutschland blicken und auf ihre ganz spezielle Rolle und Aufgabe in diesem Konflikt. (Text: NDR)
    Deutsche TV-PremiereMo 16.08.2021NDR
  • Folge 360 (45 Min.)
    Zeitdruck, Anfeindungen, digitaler Wandel. Es sind unruhige Zeiten für Lokaljournalist*innen. Die NDR Reporterinnen Laura Borchardt und Inga Mathwig haben zwei Reporterinnen und einen Reporter monatelang bei ihrer Arbeit begleitet und erleben mit, wie anspruchsvoll deren Job geworden ist. Das Ergebnis ist eine spannende und berührende Reportage über die Arbeit lokaler Journalistinnen und Journalisten. Ein Film über die Perspektiven lokaler Berichterstattung und ihren Beitrag für die Demokratie. In Sachsen werden Laura Borchardt und Inga Mathwig Zeuginnen von Anfeindungen gegenüber einer Reporterin der „Sächsischen Zeitung“.
    In Mecklenburg-Vorpommern erfahren sie, was es heißt, möglichst vielen Menschen in einem riesigen Gebiet gerecht zu werden. Und in Niedersachsen erleben sie mit, wie ein Reporter einer heißen journalistischen Spur nachgeht. Die Lokaljournalist*innen lassen die Filmemacherinnen an ihrem Berufsalltag teilhaben und teilen ihre persönliche Einschätzung über die Zukunft der Lokalzeitung. Gleichzeitig thematisiert der Film die Rolle lokaler Zeitungen für die regionale und überregionale Politik.
    „Euer Blatt benutze ich, um mir damit den A … abzuwischen!“ Solche Anfeindungen muss Franziska Klemenz in ihrem Alltag als Lokalreporterin aushalten. Sie berichtet für die „Sächsische Zeitung“ aus Dresden und Ostsachsen, von Pegida-Demos und Querdenker-Versammlungen. Hass und Gewalt gegenüber Journalistinnen und Journalisten sind in der Pandemie stark angestiegen, körperliche Angriffe haben sich 2020 im Vergleich zum Vorjahr verfünffacht. Trotzdem geht Franziska Klemenz immer wieder zu solchen Terminen, lässt sich nicht einschüchtern.
    Für Lokalreporter*innen wird es aber immer schwieriger, stets vor Ort zu sein. Der Landkreis Vorpommern-Greifswald, aus dem Cornelia Meerkatz für die „Ostsee-Zeitung“ berichtet, ist größer als das Saarland. Noch vor einigen Jahren war es ausreichend, einen Artikel bis zum Andruck am Vorabend niederzuschreiben. Heute muss die 64-Jährige ihre Geschichten so schnell wie möglich online veröffentlichen, der Stress gehört zum Alltag. Die „Ostsee-Zeitung“ gehört mit 14 anderen Regionalzeitungen zum großen Madsack-Konzern aus Hannover.
    Wie alle Verlage muss das Medienhaus digital Umsätze erwirtschaften, denn das Printgeschäft wird immer weniger. Doch noch sind nicht genügend Menschen bereit, für digitalen Journalismus zu zahlen. Zusätzlich macht den Lokalzeitungen die kostenlose Konkurrenz aus dem Netz zu schaffen. Um sich davon abzuheben, setzt die „Ostfriesen-Zeitung“ vermehrt auf hintergründige Recherchen. Reporter Daniel Noglik hat wieder eine neue Spur: Er will herausfinden, ob ehemalige Mitarbeitende der örtlichen Sparkasse in einen Kreditbetrug verwickelt sind.
    Seine Arbeit ist ein wichtiges Korrektiv zur lokalen Politik und Wirtschaft. Doch Recherche kostet Zeit und Geld, dafür verzichtet die Zeitung darauf, über alle Ortstermine zu berichten. Das verärgert die kommunale Politik. Der Chefredakteur der „Ostfriesen-Zeitung“ muss sich im Rathaus den Fragen aufgebrachter Gemeindevertreter*innen stellen. Der Druck auf lokale Journalisten steigt. Von allen Seiten. Doch werden Lokalzeitungen heute überhaupt noch gebraucht? Was bedeutet es für die Demokratie und Gesellschaft, wenn Berichterstattung aus einer Region verschwindet? Welche Folgen hat es, wenn die Vielfalt der Perspektiven auf ein Thema abnimmt? Wiebke Möhring, Professorin für Online- und Printjournalismus an der TU Dortmund, forscht seit über 25 Jahren zum Thema Lokaljournalismus.
    Sie stellt bereits jetzt eine mediale Unterversorgung in einigen Regionen fest. Und dann? Dann kommen die Informationen irgendwann direkt mit dem „Amtsblatt“ aus dem Rathaus. Und niemand überprüft, ob es bei der Wahl der neuen Bürgermeisterin oder bei der Vergabe des millionenteuren Bauplatzes in der Ortsmitte mit rechten Dingen zugegangen ist. (Text: NDR)
    Deutsche TV-PremiereMo 23.08.2021NDR
  • Folge 361 (45 Min.)
    Die Rentenprognosen werden zunehmend düsterer in Deutschland, vor allem für Frauen. Denn Frauen beziehen schon jetzt im Durchschnitt fast 50 Prozent weniger Rente als Männer. „45 Min“ fragt: Warum ist das so? Wie fühlt sich ein Leben mit einer so geringen Rente an? Und vor allem: Wie können Frauen verhindern, im Alter zu verarmen? Autorin Simona Dürnberg geht auf eine persönliche Suche nach den Antworten. Sie trifft Frauen aus unterschiedlichen Generationen und holt sich deren Erfahrungen und Rat ein. Ein Film, der von Fehlern, aber auch von beeindruckenden Überlebensstrategien erzählt.
    „45 Min“-Autorin Simona Dürnberg ist Anfang 30 und wird voraussichtlich im Jahr 2057 in Rente gehen können. Aufgrund der düsteren Rentenprognosen sollte sie gut vorbereitet sein: Sparkonto, Aktien, Fonds? Doch das Leben im Alter erscheint noch unvorstellbar weit weg, die private Altersvorsorge auch. Wird sie später auch mal in Altersarmut geraten können? Die Autorin begleitet Frauen, deren Leben vom Rechnen und Sparen geprägt ist. Sie erlebt Frauen voller Sorgen, aber auch reich an Überlebensstrategien.
    Was kann die Autorin von ihnen lernen? Welche Fehler sollte sie nicht wiederholen? Denn Fakt ist: Die Armutsgefährdung im Rentenalter wird weiter ansteigen, so das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Frauen können von dieser Entwicklung besonders hart getroffen werden, schon heute erhalten sie 46 Prozent weniger Rente als Männer. Während der durchschnittliche Bruttobetrag der gesetzlichen Rente bei den Männern 1409 Euro beträgt, liegt er bei den Frauen bei 833 Euro.
    Damit bildet Deutschland im internationalen Vergleich sogar das Schlusslicht: In keinem anderen europäischen Industrieland ist die Rentenlücke zwischen Frauen und Männern so groß, so eine aktuelle OECDStudie. Die 73-jährige Ursula H. aus Hamburg-Wilhelmsburg weiß, wie sich diese Rentenlücke anfühlt und möchte alle jungen Frauen warnen: „Bleibt bloß nicht so lange zu Hause, wenn ihr Kinder bekommt.“ Rückblickend bereut sie es, dass sie wegen der Kindererziehung 20 Jahre aus dem Beruf ausgestiegen ist.
    Ihre Rente fällt deshalb niedrig aus, im Alltag zieht sich Ursula immer mehr zurück. Sie sagt: „Ich betrachte meine Umgebung nur noch durch eine Plexiglasscheibe. Beim Leben der anderen kann ich nicht mehr mitmachen, dafür fehlt das Geld.“ Auch Christel C. lebt zurückgezogen, für Restaurant- oder Theaterbesuche ist schlichtweg kein Geld da: Zu lange hat sie in Minijobs gearbeitet, nach der Scheidung war wegen der Kinder nur Teilzeitarbeit möglich. Christel muss ihre Rente deshalb mit Grundsicherung aufstocken, ein Mal pro Woche nutzt sie das Angebot der Tafel.
    Doch die 86-Jährige fühlt sich trotzdem nicht „arm“. Sie sagt: „Arm war ich im Krieg, heute muss ich zumindest nicht hungern.“ Und sie warnt die „45 Min“-Autorin: „Du wirst es einmal schwerer haben als ich, denn deine Generation hat keinen Verzicht mehr gelernt.“ Diese These unterstützt auch Irene Götz, Kulturwissenschaftlerin und Ethnologin an der LMU München. Laut ihrer Forschung wird die Altersarmut die sogenannten „Babyboomer“ und die jüngeren Generationen viel härter treffen: Denn Frauen, die im Krieg oder in der Nachkriegszeit aufgewachsen sind, haben gelernt, mit wenig zurechtzukommen und dementsprechende Fähigkeiten und Überlebensstrategien entwickelt.
    Das würde den nachfolgenden Generationen fehlen. Wiebke S. versucht deshalb fürs Alter vorzusorgen, doch die 31- Jährige gesteht: „Hätte mich mein Freund während der Schwangerschaft nicht verlassen, dann hätte ich mich vermutlich wie viele andere auch auf meinen Mann verlassen.“ Wiebke weiß, alleinerziehend zu sein, ist einer der Hauptfaktoren, weshalb Frauen im Alter in Armut leben.
    Was können Frauen heutzutage tun, um der Altersarmut zu entkommen? Welche Fehler früherer Generationen dürfen nicht wiederholt werden? Zusammen mit der Finanzberaterin Helma Sick bespricht die „45 Min“-Autorin Simona Dürnberg Vorgehensweisen, damit Frauen im Alter finanziell besser aufgestellt sein können. Helma Sick weiß: „Solange die Politik in vielen Bereichen noch schläft, müssen Frauen dringend selbst aktiv werden.“ Ein „45 Min“-Doku über die Gründe und Auswirkungen der Altersarmut bei Frauen. (Text: NDR)
    Deutsche TV-PremiereMo 30.08.2021NDR
  • Folge 362 (45 Min.)
    Ein spannender investigativer Film über die Arbeit internationaler PR Agenturen. Die Autorinnen und Autoren wagen in der „Story im Ersten“ ein höchst ungewöhnliches Experiment: Unter falscher Flagge und mit gefakter Identität schleust sich der Investigativjournalist Peter Kreysler in den Betrieb international agierender PR-Agenturen. Die Autorin Gesine Enwaldt und der Autor Peter Kreysler dokumentieren hautnah, was in der Welt der Wahlkampfstrategen heute möglich ist, und liefern erstmals einen tiefen Einblick in die skrupellosen Geschäftsmethoden der Meinungsmacher. Das Ergebnis der verdeckten Recherche ist alarmierend und bestätigt, wovor Experten schon lange warnen. (Text: NDR)
    Deutsche TV-PremiereMo 06.09.2021NDR
  • Folge 363 (45 Min.)
    Im Herbst 2021 endet nach 16 Jahren die Ära von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Dieser Film porträtiert die drei Menschen, die das Erbe der Kanzlerin antreten wollen: Annalena Baerbock (Bündnis 90/​Die Grünen), Armin Laschet (CDU) und Olaf Scholz (SPD). Wie auch immer die Bundestagswahl am 26. September 2021 ausgehen wird, eines steht schon jetzt fest: Sie wird eine Zäsur in der bundesdeutschen Geschichte darstellen. Erstmals nach 1949 tritt die Amtsinhaberin oder der Amtsinhaber nicht mehr an. Und erstmals seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland stehen mit Annalena Baerbock, Armin Laschet und Olaf Scholz ausschließlich Kandidat*innen zur Wahl, die keinerlei Berufserfahrung als Kanzler*in vorweisen können.
    Die Autoren haben Annalena Baerbock, Armin Laschet und Olaf Scholz über Monate immer wieder begleitet: im Wahlkampf, hinter den Kulissen von Parteitagen und bei Medienterminen, bei internen Besprechungen und in privaten Momenten. Sie haben lange Interviews mit ihnen geführt und Hunderte Archivbeiträge ausgewertet. Das Ergebnis ist diese spannende Dokumentation, die die Kanzlerkandidat*innen von Union, SPD und Bündnis 90/​Die Grünen radikal in den Mittelpunkt stellt. Was hat die drei Bewerber*innen geprägt und warum sind sie in die Politik gegangen? Wie üben sie Macht aus? Welche Erfahrungen bringen sie für das Kanzleramt mit? Welche Brüche und Widersprüche weisen ihre Biografien auf? Wodurch unterscheiden sie sich? Und wie gehen sie mit der wahrscheinlich größten Herausforderung ihres bisherigen politischen Lebens um, dem Kampf ums Kanzleramt? Die Autoren ergründen diese Fragen durch eine Verflechtung von Interviewpassagen, authentischen Szenen und Archivmaterial.
    So entsteht ein Film, der es den Zuschauer*innen ermöglichen soll, sich ein eigenes Bild von den drei Persönlichkeiten zu machen, die Deutschland regieren wollen. (Text: NDR)
    Deutsche TV-PremiereMo 13.09.2021NDR
    • Alternativtitel: Bauern ohne Lobby? Wem dient der Bauernverband?
    Folge 364 (45 Min.)
    Eine Reportage über norddeutsche Familienbetriebe, die für die bäuerliche Landwirtschaft und für eine echte Vertretung ihrer Interessen kämpfen. Auf vielen Bauernhöfen ist die Lage dramatisch. Niedrige Milch- und Schweinefleischpreise, Kredite für Stallbauten und teure Technik drücken den Landwirten finanziell die Luft ab. Etliche trennen sich von ihren Tieren, um laufende Kosten decken zu können. Jahr für Jahr geben Tausende Landwirte auf. Seit 2000 hat sich die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe in etwa halbiert. Woran liegt das? Und wie steht der Deutsche Bauernverband (DBV), seinem Selbstverständnis nach „die Stimme der Bauernfamilien“, zu diesem Höfesterben? Vertritt der DBV wirklich die Interessen seiner Mitglieder? Und wenn nicht, wessen dann? Diesen Fragen gehen Ute Jurkovics und Lars Kaufmann in ihrem Film nach.
    Laut einer forsa-Umfrage von 2019 fühlen sich 56 Prozent der Landwirte schlecht oder eher schlecht durch die DBV-Politik vertreten. Doch lange gab es keine Alternative. Über Jahrzehnte hat sich der Bauernverband, eine der größten Lobbyorganisationen Deutschlands, seine Machtposition erarbeitet.
    Funktionäre des Verbands besetzen Schaltstellen des Agribuisness, in Konzernen des Landhandels, in Versicherungen, Molkereien und der verarbeitenden Fleischwirtschaft. Sie sitzen im Bundestag und machen Lobbyarbeit in Brüssel. Eine Studie des Naturschutzbunds NABU listet 560 Beispiele für solche Verflechtungen auf. „Deshalb kann der Bauernverband die Interessen bäuerlicher Familienbetriebe gar nicht vertreten“, sagt Peter Guhl, Milchbauer aus dem mecklenburgischen Teldau. Er war lange Mitglied im Kreisbauernverband, kämpfte für höhere Milchpreise und eine andere Verbandspolitik.
    Sein Fazit: „Die Strukturen sind festgefahren, man kann sie nicht von innen verändern.“ Guhl ist ausgetreten und engagiert sich jetzt bei den Freien Bauern, die sich 2020 als Gegenorganisation und Interessenvertretung bäuerlicher Familienbetriebe gründeten. Doch noch immer sind die meisten Landwirte Mitglied in einem der 18 Regionalverbände des Deutschen Bauernverbands. Aus Tradition, weil sie Serviceleistungen des Verbands in Anspruch nehmen oder Nachteile fürchten. Denn alle wissen, dieser Bauernverband ist gut vernetzt.
    Sie bleiben einem Verband treu, dessen Credo die Produktion für den Weltmarkt ist. Dabei hat die Devise „wachse oder weiche“ viele Bauernfamilien in die Pleite geführt. Der ruinöse Wettbewerb mit Billigprodukten für den Weltmarkt nutzt vor allem Lebensmittelkonzernen, für deutsche Familienbetriebe ist er nicht zu gewinnen. „Wir müssen unser Geld auf dem deutschen Markt verdienen“, sagt etwa Jan-Hendrik Hohls, konventioneller Schweinemäster aus Niedersachsen. Er rüstet seinen Stall um, setzt auf Strohschweine, auf regionale Vermarktung und auf Verbraucher*innen, die bereit sind, für mehr Tierwohl etwas mehr zu bezahlen.
    Während der Bauernverband noch immer die Massenproduktion von Billigfleisch propagiert, versucht Hohls in Eigeninitiative, dem Dumpingwettbewerb zu entkommen. Das Knowhow hat er sich auf eigene Faust, unter anderem bei Biolandwirten, besorgt. Trotzdem ist Hohls Mitglied beim Niedersächsischen Landvolk, dem Regionalverband des DBV, und will es auch bleiben. Den Verband insgesamt sieht er in einem Dilemma, weil es nicht möglich sei, Großkonzerne und Kleinbauern gleichermaßen zu vertreten. (Text: NDR)
    Deutsche TV-PremiereMo 18.10.2021NDR
  • Folge 365 (45 Min.)
    Autos müssen alle zwei Jahre zum TÜV. Die Fahrer*innen in Deutschland werden dagegen nur einmal im Leben geprüft, wenn sie den Führerschein machen. Verkehrswissenschaftler fordern schon seit Jahren verpflichtende Tauglichkeitstests für Senior*innen am Steuer. Viele ältere Fahrer*innen halten diese aber für diskriminierend und befürchten den Verlust ihrer persönlichen Unabhängigkeit. Doch wie gefährlich sind ältere Autofahrer*innen für andere Verkehrsteilnehmer*innen und für sich selbst? Und wie könnte ihre Fahrtauglichkeit verlässlich kontrolliert werden? Die „45 Min“-Autoren Philipp Kafsack und Christian Papesch suchen Antworten im In- und Ausland.
    So sind sie zum Beispiel in der mittlerweile bundesweit bekannten Hamburger Waitzstraße unterwegs. Dort sind ältere Fahrer*innen schon weit über 20 Mal in Schaufenster gekracht, weil sie die Kontrolle über ihr Fahrzeug verloren haben. Die Reporter dokumentieren ein Verkehrssicherheitstraining in Hannover, bei dem eine Fahranfängerin gegen eine Gruppe von Senior*innen antritt.
    In Dresden treffen die Filmemacher einen Unfallforscher, der an der perfekten Teststrecke für ältere Autofahrer*innen tüftelt. Von einer 93-jährigen Dorfbewohnerin erfährt das Filmteam, warum sie Angst hat, ihren Führerschein abzugeben. Sie fürchtet, nicht mehr am Leben teilhaben zu können. Was es bedeutet, seine Fahrtauglichkeit als ältere Person regelmäßig testen lassen zu müssen, zeigt Mallorca, das Paradies deutscher Rentner*innen. Dort verlangen die Behörden einen verpflichtenden Test ab dem 45. Lebensjahr. (Text: NDR)
    Deutsche TV-PremiereMo 25.10.2021NDR
  • Folge 366 (45 Min.)
    Wassermassen haben ganze Häuser fortgerissen, sie hinterließen tiefe Krater und bisher ungekannte Verwüstungen. Viele Anwohner*innen haben ihre Existenz verloren, andere bezahlten mit ihrem Leben. Die Hochwasserkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen hat gezeigt: Die Klimakrise steht nicht bevor, sie ist da. Von nun an muss damit gelebt werden. Und es muss herausgefunden werden, wie die Menschen künftig vor den verheerenden Folgen von Starkregen geschützt werden können. Auch Norddeutschland wird immer mehr von Starkregen heimgesucht. Die Wissenschaftler*innen sind sich einig: Solche Extremwetterereignisse werden sich in Zukunft häufen.
    Dazu gehören auch Dürreperioden. Die Folgen sind gravierend: Trockene Böden können die plötzlich niederprasselnden Regenmassen nicht mehr aufnehmen, es kommt zu Überschwemmungen. Viele Kommunen Norddeutschlands wollen sich nun an das Extremwetter anpassen. Doch einfach ist das nicht. Es gibt zahllose Hürden, die die Vorhaben verzögern oder gar verhindern: Anwohner*innen, die gegen Baumaßnahmen aufbegehren, der Arten- und Naturschutz, der Denkmalschutz und die vielen Abstimmungen zwischen den zuständigen Behörden. Zudem muss häufig die Finanzierung erst geklärt werden.
    Klimaanpassung ist noch immer Neuland. Und teuer. Vor allem kleine Kommunen können sich das kaum leisten. Und ihnen fehlt die Erfahrung mit derart komplizierten Verfahren. Erik Homann, Bürgermeister aus Seesen im Harzvorland, dessen Stadt seit Jahren von Starkregen und Hochwasser betroffen ist, fordert deshalb Unterstützung. „Wir haben den Hochwasserschutz kleinteiliger aufgestellt, als das vor dem Hintergrund des Klimawandels und der vermehrten Starkregenereignisse heute erforderlich ist. Wir müssen ihn großräumiger denken, und wir müssen mehr Ressourcen in diesen Bereich bringen.“ Bisher wird in Seesen der Hochwasserschutz ehrenamtlich betrieben.
    Auch das Bundesumweltamt fordert Veränderungen. Klimaanpassung müsse höhere Priorität bekommen und verpflichtend mitgedacht werden, per Bundesgesetz. Maurice Sander und Fabienne Fiedler aus Seesen wollen darauf nicht warten und nehmen ihr Schicksal selbst in die Hand. Mitten im Überflutungsgebiet bauen sie ein Haus auf Stelzen. So bleiben sie trocken und sicher, wenn die Fluten wiederkommen. Die NDR Autor*innen begleiten Betroffene und Amtsträger aus verschiedenen Regionen Norddeutschlands bereits seit mehreren Jahren. Gibt es Fortschritte? Wo hakt es? Und welche weiteren Schritte sind nötig? (Text: NDR)
    Deutsche TV-PremiereMo 01.11.2021NDR
  • Folge 367 (45 Min.)
    Das Fahrrad gilt als Antwort auf Klimakrise und Verkehrskollaps, für manchen ist es gar „der König der Kurzstrecke“. Auch im Norden steigen immer mehr Menschen aufs Rad. Doch mit der Zahl der Radfahrenden steigen die Unfallzahlen, auch weil veraltete Radwege dem Ansturm schon lange nicht mehr gewachsen sind. Kann die Verkehrswende mithilfe des Fahrrads geschafft werden? Zwar gibt es in Deutschland einen Konsens, dass Radverkehr gefördert werden soll, doch auf den meisten Straßen ist davon noch nicht viel zu sehen: Auf dem Land gibt es vielerorts überhaupt keinen Radweg.
    Wer die Brötchen im Nachbardorf holen muss, nimmt lieber das Auto, wenn er nicht gefährlich eng überholt werden möchte. Vorhandene Radwege sind oft in miserablem Zustand. In den Städten teilen sich Radfahrende den knappen Platz auf dem Hochbord zudem meist mit Fußgängern. Es geht eng zu, Konflikte sind programmiert. Diesen begegnen viele Kommunen, indem sie die Radwege auf die Straße verlegen, zwischen parkende Autos und fließenden Verkehr. Als „Schutz“ dienen weiße Linien. Doch auf den Radspuren halten regelmäßig Kfz, bremsen den Radverkehr aus und erzwingen Ausweichmanöver.
    Gefahr droht auch durch Autotüren, die plötzlich geöffnet werden. Sogenannte Dooring-Unfälle haben meist fatale Folgen. Der Nahkampf mit dem Autoverkehr stresst nicht nur Radfahrende: Wer ein- oder ausparken möchte, muss über den Radstreifen, was bei zunehmenden Radverkehr immer schwieriger wird. Schon vor fünf Jahren setzte sich „45 Min“ kritisch mit dem Trend zu Radstreifen auseinander und zeigte die Probleme in norddeutschen Städten wie Osnabrück oder der selbst ernannten Fahrradstadt Hamburg.
    Was hat sich seitdem getan? Inzwischen organisieren sich immer mehr Menschen in Radentscheiden, sammeln Unterschriften und setzen baulich getrennte Radwege durch, in der Hoffnung, dass noch mehr Menschen aufs Rad umsteigen. Nur mit großzügigen und geschützten Radwegen sei die Verkehrswende zu schaffen, argumentieren sie. Wem gehört die Straße? Wie soll der Verkehr in Städten, Gemeinden und Dörfern organisiert werden? NDR Reporter Güven Purtul geht dieser Frage nach und zeigt auch Beispiele aus dem Ausland.
    Metropolen wie London oder Paris, in denen bis vor wenigen Jahren nur die mutigsten Leute geradelt sind, bauen exklusive Radwege und lösen damit einen Fahrradboom aus. Nun sollen auch in Deutschland geschützte Radwege entstehen. Dafür stellt der Bund eine Milliardensumme bereit. Sogar Städte wie Hamburg, die bisher auf Linienmalerei gesetzt haben, geloben Besserung. Doch wofür werden die Fördergelder eingesetzt? Kommen sie dort an, wo sie dringend gebraucht werden? „45 Min“ will wissen: wird Deutschland zum gelobten Fahrradland? (Text: NDR)
    Deutsche TV-PremiereMo 08.11.2021NDR
  • Folge 368 (45 Min.)
    Fleisch, das von glücklichen Tieren stammt, Milch zu fairen Preisen für BäuerInnen – die VerbraucherInnen möchten hochwertige Ware kaufen – tiergerecht, fair und nachhaltig produziert. Aber im Dickicht der Siegel und Label hat man keine Chance, sich zurechtzufinden. Denn oft versprechen sie viel und halten wenig. Negativbeispiele sind Tierwohl und Haltungsstufen, Weidemilch und die „Freiwilligkeit“. (Text: NDR)
    Deutsche TV-PremiereMo 15.11.2021NDR
  • Folge 369 (45 Min.)
    Diese investigative Reportage blickt hinter die Mauern des Maßregelvollzugs, einer Einrichtung für psychisch kranke Straftäterinnen und Straftäter. Den NDR Journalist*innen Kira Gantner und Simone Horst ist es in einer zweijährigen Recherche gelungen, sowohl mit Insassen als auch mit Klinikleiter*innen, Angehörigen und Anwält*innen zu sprechen. Entstanden ist ein vielschichtiges Porträt des Systems Maßregelvollzug, das große ethische Fragen aufwirft. So bekommen die Zuschauerinnen und Zuschauer Einblick in das Leben von Florian, der seit elf Jahren im Maßregelvollzug untergebracht ist.
    Der 28-Jährige schickt den Autor*innen über Monate Audiobotschaften. Ein Tagebuch über sein Leben hinter Mauern und Stacheldraht. Wer Florians angenehme Stimme hört, kann sich kaum vorstellen, dass er als Teenager ein schweres Gewaltverbrechen begangen hat. Aufgrund einer psychischen Erkrankung wurde er damals für schuldunfähig erklärt und im Maßregelvollzug untergebracht. Auf unbestimmte Zeit. Im Gegensatz zur normalen Haft gibt es kein Entlassungsdatum. Wann jemand als nicht gefährlich gilt und wieder entlassen werden kann, bewerten im Wesentlichen die behandelnden Ärztinnen und Ärzte.
    Florian sagt, dass er zunächst keine Angst vor dem Maßregelvollzug hatte, weil er davon ausging, schnell wieder entlassen zu werden, wenn er eine Therapie mache und sich an die Auflagen halte. Heute sind Florian und auch seine Mutter verzweifelt. Sie fühlen sich der Macht der Klinik hilflos ausgeliefert. Ein Gefühl, das sie mit anderen Insassen und Angehörigen teilen. Sabine Rückert, stellvertretende Chefredakteurin der Wochenzeitung „Die Zeit“ und ehemalige Gerichtsreporterin, erklärt zu manchen Forensiken, die sie erlebt hat: „So stellt man sich die Hölle vor.
    Ich habe mich für meine Arbeit sehr häufig mit externen Gutachtern unterhalten, die dann festgestellt haben, dass letztlich hier ein Willkürsystem herrscht. Dass die Regeln, nach denen sich einer richten muss, jede Woche geändert werden.“ Das gelte allerdings nicht für alle Kliniken, sagt Rückert. Die Autor*innen besuchen eine Einrichtung des Maßregelvollzugs in der niedersächsischen Ortschaft Moringen. Die Klinik verfolgt ein liberales Konzept, bezieht zum Beispiel auch Tiere in die Therapie mit ein.
    Teile des Geländes sind mit einer dicken Hecke statt mit Mauern und Stacheldraht gesichert. Doch der Druck, der auf den Verantwortlichen lastet, sei groß, sagt Leiter Dirk Hesse. Die Gesellschaft habe Angst vor psychisch kranken Straftätern. „Es wird Unmögliches erwartet. Wenn man die Leute einsperrt, ist es nicht richtig. Aber wenn man sie rauslässt, ist es auch nicht richtig. Das heißt, wir Forensiker haben letztlich einen gesellschaftlich unerfüllbaren Auftrag, weil wir es immer falsch machen“, sagt Hesse. (Text: NDR)
    Deutsche TV-PremiereMo 22.11.2021NDR
  • Folge 370 (45 Min.)
    Vor zehn Jahren versprach die Bundesregierung einen besseren Schutz von Kindern vor sexueller Gewalt. Sie reagierte damit auf das Versagen von Staat und Kirche, das durch die Missbrauchsskandale an Schulen und Kirchen offensichtlich wurde. Die Politik wollte mehr tun, für die Betroffenen und gegen die Täter. Doch die jüngsten Zahlen des Bundeskriminalamtes zeigen, dass in der Coronakrise sexualisierte Gewalt gegen Kinder deutlich zugenommen hat. Im Jahr 2010 hatten die Missbrauchsskandale unter anderem an der Odenwaldschule und dem Canisius-Kolleg eine breite öffentliche Debatte entfacht.
    Viele Menschen setzten daraufhin große Hoffnungen in den von der Bundesregierung eingesetzten Runden Tisch. Die Politik hatte damals mit Fachleuten Vorschläge erarbeitet, wie Betroffene schnell und unbürokratisch an Therapieplätze kommen, wie das rückständige Opferentschädigungsgesetz reformiert werden und die Ausbildung von Therapeuten, Medizinern und Pädagogen verbessert werden sollten. Autor Sebastian Bellwinkel hat seitdem immer wieder über das Thema berichtet und Versäumnisse aufgedeckt.
    Für seine aktuelle „45 Min“-Dokumentation trifft er Betroffene und Experten aus früheren Filmen wieder, um mit ihnen Bilanz zu ziehen und zeichnet anhand ihrer Erlebnisse die Gesamtentwicklung nach. Was hat sich verändert, wo muss die neue Bundesregierung dringend handeln? Der Befund ist ernüchternd: So ist zugesagte Hilfe für Betroffene mit Therapiebedarf oft noch immer in weiter Ferne. Zu wenig fachlich geeignete Therapeuten, endlose Wartelisten und Auseinandersetzungen mit Krankenkassen und Versorgungsämtern zermürben Menschen in seelischer Not.
    So wie Nina, die davon berichtet, dass ihre Odyssee seit 2007 andauert. „Wir lassen sie immer wieder vor die Wand laufen“, sagt die Psychologin Julia von Weiler über die Situation Tausender Betroffener. Wie wichtig schnelle Hilfe wäre, zeigt der Fall von Svenja. Sie hat nach den von ihrem Stiefvater begangenen Taten mit Glück über den Hamburger Verein Dunkelziffer umgehend eine Therapeutin gefunden und berichtet nun darüber, dass sie ihr Trauma überwinden konnte.
    Im Schatten der Coronakrise hat sich nahezu unbemerkt auch eine andere Pandemie dramatisch ausgeweitet: sexualisierte Gewalt gegen Kinder im Netz. Die Verbreitung von Missbrauchsabbildungen ist laut BKA zuletzt um 53 Prozent gestiegen. Die Politik hat 2020 zwar öffentlichkeitswirksam die Strafbarkeit dieser Taten verschärft. Doch die Polizei kommt bei den Ermittlungen nicht hinterher und ist auch online kaum präsent. Täter haben quasi freies Spiel. Herbert Reul (CDU), Innenminister von Nordrhein-Westfalen, hat erst ab 2019, also nach den schlagzeilenträchtigen Missbrauchsfällen von Lügde, Münster und Bergisch-Gladbach, die Zahl der Ermittler massiv erhöht.
    Er räumt Versäumnisse ein: „Wir haben das Problem jahrelang nicht ernst genommen. Erst wenn man selber als Politiker damit konfrontiert ist, reagiert man wirklich.“ Reul gehört seitdem zu den vehementen Verfechtern einer Gesetzesverschärfung, mit der seit Juli 2021 schon minder schwere Fälle von Konsum oder Verbreitung von Missbrauchsbildern als Verbrechen gelten. Fachleute hatten davon abgeraten.
    In der „45 Min“-Dokumentation bestätigen Kriminalbeamte aus Rostock, dass sie durch die massive Zunahme an geringfügigen Fällen noch mehr Probleme haben, die wirklich schweren Fälle zeitnah zur Anklage zu bringen. Gleichzeitig räumen sie ernüchtert ein, dass sie das besonders in der Pandemie massiv um sich greifende Cybergrooming gar nicht verfolgen können, also die sexualisierte Kontaktanbahnung mit Kindern und Jugendlichen über soziale Medien und Online-Spiele. „Dazu haben wir keine Zeit. Das bearbeiten wir im Zweifel erst, wenn tatsächlich schon etwas passiert ist.“. (Text: NDR)
    Deutsche TV-PremiereMo 29.11.2021NDR
  • Folge 371 (45 Min.)
    Sie verbreiten in sozialen Medien, welche Personen des öffentlichen Lebens sie lieber „durch ein Zielfernrohr“ betrachten. Sie wünschen Ärzten, die gegen Corona impfen, „eine Kugel in den Kopf“. Und sie fordern, Angela Merkel „wie zu alten Zeiten, wo unser Führer noch lebte, ins KZ zu stecken“. Aber sie wundern sich noch immer, wenn deshalb früh morgens Polizeibeamte in ihrer Tür stehen, um Computer und Handys als Beweismittel für Strafbefehle oder Anklagen zu sichern. Wer sind diese Beschuldigten? Wie reagieren sie? Was ändern die politischen Debatten nach den Schüssen mit Todesfolge auf Regierungspräsident Walter Lübcke in Hessen oder auf den jungen Kassierer in einer Tankstelle in Idar-Oberstein? Oder die jährlichen Aktionstage des Bundeskriminalamtes gegen Hass im Netz? Grimme-Preisträger Klaus Scherer hat für seine Langzeitreportage ein Jahr lang Strafverfolger in den Bundesländern Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Sachsen begleitet, die das Gesetz gegen Hasskriminalität durchsetzen sollen, dessen bisher letzte Fassung im September 2021 in Kraft getreten ist.
    Unter der Auflage, dass auch Tätern Anonymität zugesichert wird, dokumentiert Scherers Kamerateam deren Ermittleralltag von der nächtlichen Hausdurchsuchung in Chemnitz bis zu Gerichtsterminen in Peine oder Bersenbrück.
    In Mainz erhielt Scherer als erster Reporter überhaupt Einblicke in verdeckte Online-Ermittlungen des Verfassungsschutzes. Und er befragt im Film schon mal Beschuldigte über ihren Gartenzaun hinweg. Nicht alle erweisen sich dabei als reumütig. „Ich hatte selten so guten Zugang zur Justiz. Hilfreich war, dass der Film das gleiche Ziel hat wie die Strafverfolger: Prävention“, erläutert Klaus Scherer. Vor der Kamera bestätigt dies vor allem Oberstaatsanwalt Frank-Michael Laue, Leiter der Göttinger Zentralstelle zur Bekämpfung von Hasskriminalität im Internet.
    „Von einem Strafbefehl erfährt in aller Regel nur der Beschuldigte selbst. Um erfolgreich aufzuklären, brauchen wir viel mehr Breitenwirkung. Es muss jedem klar werden, dass Straftaten im Netz genauso verfolgt werden wie draußen auf dem echten Marktplatz auch“, so äußert sich Laue. Scherers Reportage deckt aber auch Schwächen der Gesetzeslage auf. So reagieren etwa Bundestagsabgeordnete bisher unterschiedlich auf Hass-Posts gegen sie, obwohl sie selbst das neue Gesetz auf den Weg gebracht haben.
    Während etwa der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) eine im Film dokumentierte, üble Beleidigung auf NDR Anfrage hin lieber ignorierte, stellt die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages Claudia Roth (Bündnis 90/​Die Grünen) stets den nötigen Strafantrag. „In der Praxis bedeutet das, dass die Strafverfolger in dem einen Fall den Strafbefehl ausstellen können, in dem anderen aber vergeblich ermittelt haben. Oder zynisch gesagt: Das Tätermilieu weiß dann, wen es weiterhin straflos beleidigen kann und wen nicht“, bilanziert Scherer. (Text: NDR)
    Deutsche TV-PremiereMo 13.12.2021NDR

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