2025/2026
Folge 215
30 Min.Moderator Denis Scheck.Bild: BR/SWRPercival Everett: Dr. No Carl Hanser Verlag Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl Mit der Memoria ist es so eine Sache. Was erinnern wir – und was bleibt vergessen? Wobei „vergessen“ ja eigentlich unmöglich ist, es handelt sich vielmehr um ein Problem des Zugriffs. Ähnlich verhält es sich mit dem „Nichts“. Heidegger sagt: das Nichts nichtet. Oje, auch das noch. Percival Everett lässt in Dr. No einen Helden auftreten mit dem Namen Wala Kitu, was aus zwei verschiedenen Sprachen übersetzt soviel heißt wie Nichts Nichts.
Nun ja, die Eltern waren Mathematiker und wussten: minus mal minus gibt plus. Dr. No also, selbst Professor für Mathematik, Fachgebiet: das Nichts. Dr. No ist natürlich auch ein Schurke aus dem 1962er James Bond Film „007 jagt Dr. No“. Bei Everett ist der Schurke allerdings ein Milliardär und der Auftraggeber des Mathematikers Dr. No, der eine geheime, in Fort Knox aufbewahrte Box öffnen muss, deren Inhalt ein irre mächtiges Nichts sein soll.
Eine ganze Menge sehr amüsanter Irrungen und Wirrungen, die Percival Everett da auffährt. Ein Buch für Freunde des Nichts, des Wahnsinns und der Bücher von Flann O’Brien, wie etwa „In Schwimmen zwei Vögel“. Maddalena Fingerle: Mit deinen Augen. Luchterhand Aus dem Italienischen von Viktoria von Schirach Nach dem Debüt „Muttersprache“ legt die 1993 in Bozen geborenen Autorin Maddalena Fingerle ihren zweiten Roman vor: „Mit deinen Augen“. Gaia, Tochter wohlhabender Eltern, die in München ihre Italianità mit reichlich Essen und Reden feiern, soll möglichst verkuppelt werden an einen passenden Mann.
Problem: Gaia wurde gerade von ihrer Freundin verlassen und hat absolut kein Interesse an Männern. Die Krise führt bei Gaia zu einer Art Verpuppung, sie verwandelt sich, aber zu was? Wohl eher vom Schmetterling zur Raupe als umgekehrt. Erstmal wird sich eine Glatze rasiert. Und dann? Die Identitätskrise steigert sich, als die Ex auch noch einen Mann heiratet. Man ahnt es, das Ganze kann nicht gut ausgehen.
Denis Scheck empfiehlt: „Die verdammt blutige Geschichte der Antike ohne den ganzen langweiligen Kram“ Geschichte erscheint mitunter als ununterbrochene Kette von Blutbädern. Warum also nicht einmal die Antike nacherzählen wie einen John-Wick-Film – mörderisch spannend, brutal und voller Gewalt. Das dachten sich der furchtlose Althistoriker Michael Sommer und Stefan von der Lahr, legendärer Lektor für historische Sachbücher im Verlag C.H. Beck.
Ergebnis ist ihr gemeinsames Buch „Die verdammt blutige Geschichte der Antike – ohne den ganzen langweiligen Kram“. Der barocke Titel hält Wort. Sommer und von der Lahr gelingt ein krass grausamer Rundgang durch 1500 Jahre griechischer und römischer Geschichte, die sie gründlich entstauben und als atemberaubende Nummernrevue von Giftmörderinnen, Schlagetots und Blutsäufern inszenieren. Dieses Buch löst die deutscheste aller Fragen aus: Darf man das? Darf man so flapsig und unverschämt unterhaltsam Geschichte erzählen? Man darf nicht nur, man muss! Michael Sommer (Text: ARD)Deutsche TV-Premiere So. 24.08.2025 Das Erste Folge 216
30 Min.Ian McEwan: Was wir wissen können: Zukünfte interessieren ihn immer wieder, KI, Klimakatastrophe, Androiden … Wenn der britische Bestsellerautor Ian McEwan nicht die europäische Geschichte beleuchtet, wie in seinem Erfolgsroman „Abbitte“, schaut er nach vorn, weit nach vorn. Sein neuer Roman spielt im Jahr 2119. Wasser liegt über der Welt, Europa ist eine Ansammlung von Inseln geworden, die Demokratien, in denen wir heute noch Freiheit und ein gutes Leben genießen, sind passé. Interessant ist nur, dass die Kultur in Form von Literatur überlebt hat.
Im Zentrum des Romans steht der Literaturwissenschaftler Thomas Metcalfe, der sich auf die Suche nach einem verschwundenen Gedicht macht. Der Dichter Francis Blundy hat es 2014 seiner Frau Vivien gewidmet und nur ein einziges Mal vorgetragen. In all den Spuren, die das berühmte Paar hinterlassen hat, stößt Thomas auf eine geheime Liebe, aber auch auf ein Verbrechen. Der preisgekrönte und vielschreibende Autor McEwan hat einmal mehr ein Buch geschrieben, das Science, Social und Culture Fiction verbindet, das meisterhaft eine Zukunft entwirft, die tatsächlich um eine Art Hoffnung kreist und nicht als melancholische Dystopie daherkommt.
Wieviel Hoffnung wir uns im Hinblick auf die Zukunft leisten können, dies und andere Themen bespricht der Booker-Preisträger mit Denis Scheck. – Gaea Schoeters: Das Geschenk Holger Fuchs traut seinen Augen nicht. Ist das wirklich ein Elefant im Straßenlaternenschein an der Spree? Der rechte Politiker, den es nachts durch Berlin treibt, ist der erste, der sie bemerkt – 20.000 Dickhäuter, die die Regierung von Botswana dem reichen Land im europäischen Westen zum „Geschenk“ gemacht hat – als Retourkutsche für ein in Deutschland erlassenes Trophäeneinfuhrverbot.
Wie die Elefanten von Afrika nach Deutschland gekommen sind – Magie, es wird nicht erklärt. Aber wie vergiftet dieses Geschenk ist, zeigt sich nach wenigen Stunden. Elefanten müssen fressen, müssen koten und wenn sie in ihrer Herdenstruktur gestört werden, trampeln sie auch mal auf Autos herum. Bundeskanzler Hans Christian Winkler muss mit Ideen auf den Plan treten – und setzt kurzerhand eine Elefantenministerin ein, die ihre ganz eigenen Pläne verfolgt.
In ihrer so schmalen wie vergnüglichen Satire thematisiert die flämische Autorin Gaea Schoeters politische Machtstrukturen ebenso wie die deutsche Befindlichkeit. „Das Geschenk“ ist ihr zweiter Roman nach ihrem Überraschungserfolg „Trophäe“, und er ist mindestens so klug konstruiert wie der erste. Mit Denis Scheck spricht die 1976 in Belgien geborene Schriftstellerin über die Idee zu dieser Versuchsaufstellung mit Elefanten und die Faszination post-kolonialer Themen.
– Die Empfehlung von Denis Scheck: Erzählungen. Band 1 von Franz Kafka (herausgegeben und kommentiert von Rainer Stach): „Der Schriftsteller, der mir in meinem Leben am meisten bedeutet, ist Franz Kafka. Mein Weg zu Kafka war weder leicht noch geradlinig. Lange Zeit habe ich Kafka regelrecht gehasst, weil er mir in der Schule ziemlich verleidet wurde. Erst das Leben hat mich die Liebe zu diesem Dichter gelehrt. Was löste meinen anfänglichen Widerstand gegen Kafkas Literatur aus? Seine Romanhelden sind allesamt Untergeher, die das über sie waltende Verhängnis mehr oder minder passiv erdulden.
Sie verheddern sich in den Netzen von Gesetz, Schuld, Gericht, Urteil und Strafe. Mir als Jugendlichem riss dabei der Geduldsfaden. Doch erkannte ich mit den Jahren, dass Franz Kafka der Maßstab aller Literatur ist. Er beherrscht die Kunst, die Welt durch Worte auf den Kopf zu stellen – besonders evident in seinen philosophischen Aphorismen wie: ‚Ein Käfig ging einen Vogel suchen‘. Und Kafka besitzt zudem das Talent zum überraschenden Perspektivwechsel, also die Fähigkeit, die Wirklichkeit in einem Moment aus den Augen einer Maus zu betrachten und im nächsten aus der Sicht einer Katze.
Besonders klar tritt Kafkas Kunst in seinen Erzählungen hervor. Dieser Band enthält mit ‚Das Urteil‘, ‚Die Verwandlung‘ und ‚In der Strafkolonie‘ drei der berühmtesten Kafka-Texte überhaupt. Mit der kaum drei Seiten langen Erzählung „Entlarvung eines Bauernfängers“ aber auch einen extrem komprimierten Text von ungeheurer Weltweisheit, Kafkas Warnung vor Menschen, die einen das eigene Leben verfehlen lassen, uns von unseren Zielen abhalten und vom rechten Weg abbringen.
Mit einem einzigen Wort, dem Satz ‚Erkannt!‘, befreit sich Kafkas Ich-Erzähler von seinem nervenden Peiniger. Ich kenne keine schönere und kürzere literarische Schilderung, was Aufklärung in einem Menschenleben bewirken kann.“ (Denis Scheck) Und wie immer: Denis Schecks pointierte Revue der Spiegel-Bestsellerliste: Diesmal Sachbuch, musikalisch eingeläutet mit Old-Time-Music des Münchner Musikers Ferdinand Kraemer, der unter dem Namen A Bunch of Birds unterwegs ist. Eine Entdeckung! (Text: ARD)Deutsche TV-Premiere So. 14.09.2025 Das Erste Folge 217
30 Min.Bild: BR/SWRDeutsche TV-Premiere So. 12.10.2025 Das Erste
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