2024/2025, Folge 205–214
Folge 205
30 Min.Moderator Denis Scheck.Bild: BR, SWR„Bitteres Blau“ von Maike Albath Neapel, die Stadt von Roberto Saviano, die Stadt, wo der Espresso besonders schmeckt und über der beständig einer der berühmtesten Vulkane der Welt droht. Die Literaturkritikerin und Journalistin Maike Albath streift in Episoden durch die Stadt.
„Karma“ von Alexander Schimmelbusch: Das Jahr 33 verheißt in der deutschen Geschichte nichts Gutes. Ein Zufall also, dass Alexander Schimmelbusch seine KI-Dystopie im Jahr 2033 ansiedelt? 100 Jahre, nachdem die Deutschen schon einmal ins Verderben steuerten?
Empfehlung von Denis Scheck: „Die Geschichten in uns“ von Benedict Wells: Benedict Wells ist mit Romanen wie „Vom Ende der Einsamkeit“ und „Hard Land“ zu einem der meistgeliebten Autoren seiner Generation geworden. Nun erzählt Wells autobiographisch von seinem Leben, und er gestattet ungewöhnlich intime Einblicke in seine Schriftsteller-Werkstatt.
Außerdem in „Druckfrisch“: Musik von „The Kills“ und Denis Schecks erfrischend pointierte Revue der Spiegel-Bestsellerliste, diesmal Belletristik. (Text: ARD)Deutsche TV-Premiere So. 25.08.2024 Das Erste Folge 206
30 Min.Denis Scheck – Moderator von „DruckfrischBild: HR/WDR/Kurt BauerSteffen Mau: Ungleich Vereint: Warum der Osten anders bleibt und anders wählt, das erklärt der Soziologe Steffen Mau in seinem hochaktuellen Buch. „Ungleich vereint“ ist das Buch der Stunde, geht es doch der Frage nach, weshalb nicht zusammenwächst, was zusammengehört? Weil sich, so der Autor, doch sehr unterschiedliche Strukturen entwickelt haben und wir in den 90er Jahren eigentlich einer Illusion aufgesessen sind. Wir haben nämlich geglaubt, der Osten würde sich dem Westen anverwandeln.
Gian Marco Griffi: Die Eisenbahnen Mexikos: In einem historischen Fantasiegemälde entwickelt der italienische Autor eine Geschichte, die so wohl nicht stattfand, aber so oder so ähnlich hätte stattfinden können. Seinen Anti-Helden, der an chronischem Zahnweh leidet, schickt er im Auftrag der deutschen Faschisten aus, um im letzten Wahnsinn des Weltkrieges einen vollständigen Plan des mexikanischen Eisenbahnnetzes zu erstellen. Eine unterhaltsame Parabel auf einen Menschen, der auf der falschen Seite der Geschichte steht.
Die Empfehlung von Denis Scheck: „Innerstädtischer Tod“ von Christoph Peters
Und wie immer: Denis Schecks pointierte Revue der Spiegel-Bestsellerliste, diesmal Sachbuch, musikalisch eingeläutet mit einem Klassiker, einer Ikone der experimentellen Musik, zu Gast sind die EINSTÜRZENDEN NEUBAUTEN! (Text: ARD)Deutsche TV-Premiere So. 29.09.2024 Das Erste Folge 207
30 Min.„Antichristie“ von Mithu Sanyal (Hanser)
Die Queen ist tot. London liegt in Trauer. Nur in einem Writers’ Room irgendwo in der Stadt fliegen die Gedanken. Dort versucht eine Handvoll Kreativer die Geschichten einer anderen Queen – der Krimi-Queen Agatha Christie – auf zeitgemäß zu trimmen. Mittendrin befindet sich die deutsche Drehbuchautorin Durga. Die hat nicht nur gerade ihre Mutter verloren, sondern grübelt über die Folgen, die die indischen Wurzeln ihres Vaters für ihr Leben haben. Ein parapsychologischer Kniff katapultiert Durga ins London im Jahr 1906. Dort ist sie zwar immer noch indischer Abstammung, wird aber als Mann wiedergeboren. Diese Identität führt sie ins India House – eine Anlaufstätte für Inder und damit auch eine Enklave für indische Revolutionäre.
Mithu Sanyals zweiter großer Roman sprüht vor Aberwitz und Ironie – und ist randvoll gespickt mit spannendem Wissen über Britanniens Kolonialgeschichte. In India House begegnen der Protagonistin sowie den Leserinnen und Lesern die ganz realen Helden und Antihelden der indischen Befreiungsbewegung. Und irgendwann explodiert eine Bombe. Ganz nebenbei verstrickt einen die Geschichte in moral-philosophische Überlegungen: Funktioniert Widerstand ohne Gewalt? Wie ungerecht ist der Kampf für Gerechtigkeit? Und darf man historische Verbrechen miteinander vergleichen? Sanyal gelingt ein fulminanter Ritt durch die Geschichte, durch Anti-Kolonialismus-Debatten und Agatha-Christie-Romane – gewürzt mit einer dicken Prise Britishness.
„Unser Ole“ von Katja Lange-Müller (Kiepenheuer & Witsch)
„Ja, ja, immer sind die Mütter schuld“. Diesen Satz stellt Katja Lange-Müller ihrem neuen Roman voran. Darin verhandelt sie das Schicksal dreier Frauen und eines heranwachsenden Jugendlichen. Ihre Probleme führen immer wieder in die Kindheit. Ein Landhaus im Berliner Umland. Elvira kümmert sich dort um ihren Enkel Ole. Der ist zwar schon ein Jugendlicher mit erwachenden sexuellen Bedürfnissen, aber auf Grund einer geistigen Einschränkung kindlich zurückgeblieben. In diese Gemeinschaft zieht Elviras Bekannte Ida ein. Bevor sie sich an ihr neues WG-Leben so richtig gewöhnen können, passiert ein tragisches Unglück.
Wer ist schuld? Und was treibt Oles Mutter Manuela um, die ihr Kind als Säugling zurückgelassen hat? In druckfrisch berichtet Katja Lange-Müller von ihrem eigenen schwierigen Verhältnis zu ihrer Mutter, einer SED-Politikerin in der DDR, und von ihrer Zeit als Hilfsschwester in der geschlossenen Psychiatrie. Auch diese Erfahrungen sind in ihren neuen Roman eingeflossen, der von der komplizierten Liebe zwischen Mutter und Tochter erzählt und nach und nach eine schauderhafte Familien-Geschichte enthüllt.
Empfehlung von Denis Scheck: „Mythos Nationalgericht“ von Alberto Grandi (HarperCollins)
Der italienische Wirtschaftshistoriker Alberto Grandi räumt auf mit dem weitverbreiteten Kinderglauben, wonach die Urpfeiler der italienischen Küche jahrhunderte-, ja sogar jahrtausendealte kulinarische Traditionen sind. „Alberto Grandi hat mit einigen ketzerischen Fragen in Italien einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Besitzen die berühmten „Spaghetti carbonara“ nicht auffallend große Ähnlichkeit mit dem amerikanischen Frühstück Speck und Eier? Und überhaupt: Wurde die vermeintlich echte italienische Küche nicht erst von aus ihrer bettelarmen Heimat ausgewanderten Italienern in den USA erfunden? Stammt der heutige Parmesan vielleicht eher aus Wisconsin als aus Parma? Wie jungfräulich ist das italienische Olivenöl? Was hat das pro Liter zwischen 400 und 1500 Euro kostende köstliche Nischenprodukt Aceto balsamico tradizionale mit der Massenware Aceto balsamico di Modena zu tun? Und heißt die authentischste italienische Spezialität vielleicht nicht doch Nutella? Sein Buch ist eine köstliche Spurensuche und erschöpft sich keineswegs in harmloser Kulinarik.
Grandis Fragen besitzen durchaus politische Relevanz, berühren sie doch die heiß geführten Debatten um Identitätspolitik, was uns ausmacht und definiert, wer wir sind und wer wir sein wollen. Also vertrauen Sie mir, ich weiß, was ich tue, und lesen Sie „Mythos Nationalgericht“ von Alberto Grandi, erschienen in der deutschen Übersetzung von Andrea Kunstmann im HarperCollins Verlag.“
Außerdem in Druckfrisch: Musik von Alexander von Schlippenbach, dem deutschen Urvater des Freejazz, und Denis Schecks erfrischend pointierte Revue der Spiegel-Bestsellerliste, diesmal Belletristik. (Text: ARD)Deutsche TV-Premiere So. 27.10.2024 Das Erste Folge 208
30 Min.Denis ScheckBild: ARD/BR/WDR/Herby SachsDaniela Krien: Mein drittes Leben:
Kühl und klar sind die Früchte dieses Buches. Kühl und klar die Sätze und Haltungen der Figuren. Kühl und klar und ein wenig bitter, wie Schlehen nach dem ersten Rauhreif. Und ebenso stachelig wie deren Geäst ist das Leben in seiner rauen, unverstellten Gestalt. Der Tod des eigenen Kindes. Die absolut größte Katastrophe. Der Krebs der Mutter des Kindes, aus deren Perspektive erzählt wird, der Krebs der Mutter von ihr selber als nur konsequent wahrgenommen. Das ist hart, beeindruckend und groß in seiner Klarheit. Eine Ehe, die zerbricht, nicht wegen einer Geliebten des Mannes, die Ehe zerbricht an der konsequenten Haltung der Frau nach dem Tod des Kindes und dem überstanden Krebs. Die Ehe zerbricht, obwohl die Frau ehrlich sagen kann, daß sie ihren Mann liebt.
Nur das gemeinsame Leben will sie nicht mehr. Kann sie nicht mehr. Der Mann ist zu sehr mit der toten Tochter verbunden. Und er hat die Trauer weiter hinter sich gelassen als die Mutter. Sie, die einmal chic gewesen sein muß, will weg, will das Leben auf einem Bauernhof, mit Hund und Hühnern und dem ganz alltäglichen Leben. Ein Leben, um zu vergessen, nein, nicht um zu vergessen, nur, um klar zu kommen nach dem Tod des Kindes. Ein einfaches Leben mit den einfachen Dingen und den einfachen Gefahren. Ein Bussard, der aus dem Himmel herunterfährt und eines der Hühner sich greift. Und wie die Frau darauf reagiert. Das ist alles sehr überzeugend erzählt.
Aldo Cazzullo: Ewiges Imperium.
Wie das Römische Reich die westliche Welt prägt.: Von Cäsar bis Faceboook – über den Erfolg und die Modernität der alten Weltmacht. Ja, das waren noch Zeiten – als die Italiener, pardon, die Römer, die Herren der Welt waren. Für Aldo Cazzullo führen alle Straßen immer noch nach Rom. Italiens Bestsellerautor Aldo Cazzullo schreibt über das schier unendliche und nicht endende Imperium Rom, über Erfolg und Modernität der alten Weltmacht. Für Cazzullo ist das Römische Reich nie wirklich untergegangen. Es lebt fort bis heute. Alle Rom folgenden Imperien, so Cazzullo, haben Rom nachgeahmt, bis hin zum Empire Amerika von heute, könnte man mit Regie-Legende Francis Ford Coppola und seinem neuesten Film „Megalopolis“ folgern.
Natürlich ist Rom allgegenwärtig in der historisierenden Architektur. Aber auch über den Cäsar-Verehrer Napoleon, im Traum der italienischen Faschisten von der Wiedergeburt des Römischen Weltreichs, in Aufstand des Spartakus als Beispiel für die Arbeiterklasse bei Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht – bis hin zur Augustus-Verehrung von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg. In Hollywood ist Rom eh immer präsent geblieben (Ben Hur, Gladiator), im populären Comic über Asterix und Obelix sowieso. Was von Roms Ruinen geblieben ist – und mit welchen Folgen, das zeigt uns anschaulich Aldo Cazullo in Ewiges Imperium.
Die Empfehlung von Denis Scheck: Tom Holland: Pax.
Krieg und Frieden im Goldenen Zeitalter Roms: Historischer Stoff dramatisch verpackt – das verspricht eine fulminante Lektüre. Im bereits dritten Teil greift sich Tom Holland die Zeit ab Neros Ende. Filmreif erzählt und durchaus unterhaltsam, zumindest, wenn man keine Angst vor der Schilderung von Schlachten hat. Und wie immer: Denis Schecks pointierte Revue der Spiegel-Bestsellerliste, diesmal Sachbuch.: Musikalischer (Text: ARD)Deutsche TV-Premiere So. 17.11.2024 Das Erste Folge 209
30 Min.Einmal im Monat berichtet der Literaturkritiker Denis Scheck in seiner 30-minütigen Büchersendung über Neuerscheinungen und Bestsellerlisten.Bild: ZDF und Herby Sachs/BR/ARD/WDRChristoph Ransmayr: „Egal wohin, Baby. Mikroromane“:
Einer der großen Romanciers erprobt die kleine Form. „Mikroromane“ nennt Christoph Ransmayr die 70 Prosastücke, die er in seinem neuen Buch versammelt: beiläufige Alltagsbeobachtungen und Ausflüge in die literarische Phantasie, keiner dieser „Romane“ ist länger als drei Seiten. Was ihm, wie er schreibt, „im Vorübergehen“ auffiel, das hat Ransmayr in Schnappschüssen festgehalten – ob in der heimischen Fußgängerzone oder in fernen Ländern. Zu jedem Foto ist eine Geschichte entstanden; eine fiktive Figur taucht in allen 70 Mikroromanen auf und verbindet die Miniaturen miteinander, die, so der Autor, „ausschließlich Tatsachen und Fragmente meines Lebens“ enthalten. Aber es sind eben Fragmente eines Schriftstellerlebens. Und wenn Christoph Ransmayr an einer Bahnhofswand das Graffito „Egal wohin, Baby“ entdeckt, dann schreit das förmlich nach einer Geschichte. Manchmal entsteht schon aus drei Worten ein ganzer Roman.
Darryl Pinckney: „Black Germany“:
Auf nach West-Berlin! Das dachten sich in den 1980er Jahren viele Amerikanerinnen und Amerikaner. Vor allem die queere Szene erhoffte sich hier ein Echo der 20er Jahre, in den Köpfen schwirrten Klischees von Freiheit und Dekadenz. Darryl Pinckney kam aus Chicago hierher, er war jung, schwul und schwarz – und er erlebte tatsächlich Momente von Toleranz und Freiheit, wie er sie zuhause nicht kannte, mit Abenteuern und mit Abstürzen. Pinckneys Roman erzählt von der Stadt hinter der Mauer, die im Rausch der 80er nicht merkt, dass das Ende ihrer Sonderrolle bevorsteht. Im Gespräch mit Denis Scheck sagt Darryl Pinckney mit einem melancholischen Lächeln, wie anders ihm die Stadt Berlin heute vorkommt – er hat sich, wenn er nach der Wende zurückkam, mehr als einmal dort verlaufen.
Denis Scheck empfiehlt „Dieses Buch gehört dem König 2.0“ von Doris Vogel:
Ein Gedichtband, inspiriert vom König, vom King, von Elvis Presley. In ihrem Lyrikdebüt denkt Doris Vogel über Presleys kompliziertes Leben und über den bis heute lebendigen Mythos nach. Und findet Perspektiven, die jede Biografie betreffen, stellt Fragen, die in jedem Leben unbeantwortet bleiben. Der Titel zitiert Bettine von Armin Streitschrift „Dies Buch gehört dem König“, mit dem sie 1843 Friedrich Wilhelm IV. die Wahrheit über die Zustände in Preußen unter die Nase gerieben hat. Der König des 20. Jahrhunderts hatte kein Land, aber womöglich mehr Macht.
Und wie immer die kritische Revue der meistverkauften Bücher in Deutschland, diesmal die SPIEGEL-Bestsellerliste Belletristik. (Text: ARD)Deutsche TV-Premiere So. 15.12.2024 Das Erste Folge 210
30 Min.Denis Scheck – Moderator von „Druckfrisch“Bild: Kurt Bauer/BR/WDRWolf Haas: Wackelkontakt:
Kein Krimi, kein Brenner, trotzdem gut
Wenn die Hauptfigur eines Romanes Escher heißt und an seinem 19. Geburtstag ein Puzzle von M.C. Eschers sich gegenseitig zeichnenden Händen geschenkt bekommt und anschließend puzzlesüchtig wird, darf man allerlei verzwickte Verwicklungen erwarten, insbesondere wenn der Autor Wolf Haas heißt, der mit seinen herrlich abseitigen Brenner-Krimis berühmt geworden ist (legendärer Satz: „Jetzt ist schon wieder was passiert“). Der niederländische Zeichner Maurits Cornelis Escher hat mit seinen Bildern unmöglich darzustellender Dinge (Relativität, Unendlichkeit) eine ganze Menge Hirne zum Kreisen gebracht. Nun, das tut Wolf Haas auch schon länger.
Um die Sache dem geneigten Leser etwas zu verklaren: Romanfigur Franz Escher wartet auf einen Elektriker, weil eine Steckdose einen Wackelkontakt hat. Und während er wartet liest er ein Buch über einen Mafia-Kronzeugen, der eine ziemlich berechtigte Angst vor Anschlägen auf sein Leben hat, schließlich hat er eine Menge Leute als Kronzeuge ans Messer geliefert. Während also Escher das Buch über den Mafia-Kronzeugen liest, der wiederum ein Buch über Franz Escher liest, der auf einen Elektriker wartet, weil seine Steckdose einen Wackelkontakt hat.
Merken Sie was? Genau! Die Lektüre ist schon nicht kein Vergnügen, sondern macht nicht keinen Spaß, sondern im Gegenteil. Irgendwann schmort natürlich die Leitung durch und dann ist einer tot. Aber nicht der Humor.
Julia Schoch: Wild nach einem wilden Traum: Biographie einer Frau. Drittes Buch
Die Gesetze des Begehrens liegen im Dunkel. Die Gesetze der Anziehung zwischen zwei Menschen sind rätselhaft und kaum entschlüsselt. Warum gehen wir mit dem anderen mit, wenn er sagt: komm! Obwohl wir das nicht vorhatten, obwohl uns der andere nicht einmal sympathisch war vielleicht. Dennoch zieht etwas in uns dorthin, wo der Verstand, die Vernunft nicht wohnen. Julia Schoch ist in ihrem neuen Roman „Wild nach einem wilden Traum“ dem Rätsel der Anziehung auf der Spur.
Ein Mann, „der Katalane“, zieht sie in seinen Bann, eigentlich gegen ihr Denken, folgt sie seiner Aufforderung, beginnt eine Affäre und bringt damit ihr Leben, ihre Ehe aus der Spur. Die Frau ist an einem tipping point – dem Punkt, an dem das System ihres Lebens sein Verhalten rapide ändert. Die Leidenschaft, zunächst nicht gewollt, bringt sie zu sich selbst, zur Erkenntnis dessen, was sie tun will oder soll. Es ist auch die Genese einer Autorin, einer Frau, die jetzt weiß, da sie ganz Schriftstellerin sein wird.
Julia Schoch ist eine außerordentliche Menschenbeobachterin und findet eine außerordentlich passende Sprache für ihre Beobachtungen. Sie ist eine Expertin für Schwellensituationen, Kipppunkte, in denen sich die Ladung ändert.
Ihr neuer Roman ist der grandiose Abschluss ihrer Trilogie „Biographie einer Frau“.
Die Empfehlung von Denis Scheck: Elfi Conrad: Als sei alles leicht
Und wie immer: Denis Schecks pointierte Revue der Spiegel-Bestsellerliste, diesmal Sachbuch (Text: ARD)Deutsche TV-Premiere So. 19.01.2025 Das Erste Folge 211
30 Min.Denis ScheckBild: WDR/Herby SachsDenis Scheck stellt diesmal vor:
„Wiederholung“ von Vigdis Hjorth:
Was, wenn die Erinnerung nicht vergehen will? Wenn das traumatische Erlebnis immer wiederkehrt? Wenn die Wiederholung sich immer wieder wiederholt? Norwegens bedeutende Autorin Vigdis Hjorth hat daraus packenden Romanstoff gemacht. Es ist so etwas wie das Lebensthema von Vigdis Hjorth: die schmerzende Erinnerung, die einen immer wieder einholt. Auch die Protagonistin in ihrem neuen Roman kann der Vergangenheit nicht entkommen. Beim Lauf durch den Wald kehren in den Gedanken der erwachsenen Frau immer wieder die Erlebnisse als 16-Jährige zurück. Es sind Erinnerungen an die ersten sexuellen Erfahrungen, an die erdrückende Enge ihres Elternhauses und an die falschen Erwartungen unter Jugendlichen.
Erst in der quälenden, steten Gedankenschleife schälen sich Wahrheiten heraus, die bisher im Verborgenen lagen. Auch in ihrem bisher aufsehenerregendsten Buch „Ein falsches Wort“ ist Vigdis Hjorth tief in die Traumata eingetaucht, die die Vergangenheit vergraben hat. Der autofiktionale Roman provozierte damals einen „Gegenroman“ ihrer Schwester Helga Hjorth. Auch darüber spricht die Norwegerin im „Druckfrisch“-Interview, ebenso wie über den inspirierenden Einfluss des großen dänischen Philosophen Søren Kierkegaard auf ihr Werk und darüber, warum die Literatur in Norwegen eine wichtige politische Angelegenheit ist.
„Sehr geehrte Frau Ministerin“ von Ursula Krechel:
Nicht weniger als eine „Kulturgeschichte aller Frauen“ verspricht der Verlag im Klappentext. In jedem Fall ist es eine Geschichte der Gewalt, die Frauen widerfährt – von der Geschichte bis in unsere Zeit. Ein dichter, kluger und nachhallender Roman. Ursula Krechel erzählt von vielen Frauenleben zugleich. Dem von Eva Patarak zum Beispiel. Sie arbeitet in einem Kräuterladen in Essen, ist alleinerziehend und hat über die Jahre den Kontakt zu ihrem Sohn verloren. Eva würde gerne mit ihm sprechen, sich austauschen; der verbringt seine Zeit aber lieber am PC. Silke Aschauer ist Lateinlehrerin und möchte gerne einen Roman über Eva Patarak schreiben, was diese jedoch nicht möchte.
In ihrer Not wenden sich beide an die „Sehr geehrte Frau Ministerin“. Wie Krechel diese Frauenschicksale raffiniert miteinander verwebt und auch noch dazu wie nebenbei die Geschichte von Agrippina und ihrem Sohn, dem späteren römischen Kaiser Nero, als eine in Gewalt endende Ur-Geschichte der Mutter-Sohn-Beziehung einflicht, ist literarisch ambitioniert. Und doch geht die Geschichte auf großartige Weise auf. Eine Geschichte, die nicht nur von äußerer Gewalt erzählt, sondern auch von der physischen, hormonellen Gewalt, die im Körper vieler Frauen immer wieder tobt.
Empfehlung von Denis Scheck: „Alles, was ich über Liebe weiß, steht in diesem Buch“ von Elke Schmitter:
Eher trocknen Ozeane aus, eher zerbröseln Berge zu Sand und eher steht die Sonne am Himmel still, als dass unglücklich Liebende vom Objekt ihrer Zuneigung lassen. Von dieser Erfahrung einer schmerzhaft unerwiderten Liebe erzählt Elke Schmitter in ihrem berückend klugen Roman. Dabei hatte alles so perfekt begonnen. Helena ist Künstlerin und trifft auf einer Silvesterparty in Berlin den Musikphilosophen Levin. Man kommt sich näher, man versteht sich blind, zumindest scheint es so, man seufzt nicht wie in Goethes „Werther“ „Klopstock!“, sondern „Luhmann!“, sonst ist aber alles Jubel, Verheißung und Glück. Beide sind Gehirntiere, hochreflektiert, therapieerfahren und psychologisch versiert.
Das schützt Helena jedoch nicht davor, sich heillos in diesen Levin mit dem Samuel-Beckett-Gesicht und der sanften Stimme zu verlieben und seine Gegenliebe auch dann noch zu suchen, als sein Interesse an ihr erlischt, er den Kontakt abbricht und sie ghostet. Über das Drama der Liebe scheint alles erzählt. Doch wie schon Heinrich Heine wusste: „Es ist eine alte Geschichte, / Doch bleibt sie immer neu; / Und wem sie just passieret, / Dem bricht das Herz entzwei.“ Wer glücklich liebt, mag dieses Buch als Erinnerung lesen, dass dieses Glück nicht selbstverständlich ist. Wer unglücklich liebt, als Trost – und als Mahnung, dass es immer noch schlimmer kommen kann.
Außerdem in „Druckfrisch“: Musik der ladinischen Singer-Songwriterin Maria de Val und Denis Schecks erfrischend pointierte Revue der Spiegel-Bestsellerliste, diesmal Belletristik. (Text: ARD)Deutsche TV-Premiere So. 23.02.2025 Das Erste Deutsche TV-Premiere ursprünglich angekündigt für den 16.02.2025Folge 212
30 Min.Chimamanda Ngozi Adichie über vier Frauenleben in einer Männerwelt. Mehr als zehn Jahre nach ihrem Welterfolg „Americanah“ blickt Chimamanda Ngozi Adichie nun erneut in einem großen Roman auf Rassismus und Frauenfeindlichkeit in den USA. In „Dream Count“ erzählt sie die Geschichten von vier farbigen Frauen, einer Schriftstellerin, ihrer besten Freundin, ihrer Cousine und ihrer Haushälterin. In Temperament und sozialer Stellung höchst verschieden, vereint sie doch ihre existenzielle Erfahrung in einer von Männern dominierten Welt. Arrogant, übergriffig, gewalttätig sind die Männer, aber sie sind in diesem großartigen Buch allenfalls Nebenfiguren.
Es ist kein Buch über Männer, sagt die Autorin – aber eines für Männer. Und für Frauen sowieso. (S. Fischer Verlag) Andreas Maier über die fatalen Denkmuster von Gut und Böse. Wie war es in der westdeutschen Provinz der 70er, 80er, 90er Jahre? Andreas Maier erzählt im nunmehr zehnten Roman seiner Familiengeschichte aus der Wetterau über stupide Fernsehunterhaltung und merkwürdige DDR-Verwandtschaft, über Ronald Reagan und Saddam Hussein. Vor allem aber erfährt sein junger Protagonist namens Andi, dass wir Menschen immer und überall die Welt in Gute und Böse einteilen – vom Kalten Krieg bis zum Familienzwist.
Und er fragt sich, wie eine Welt wäre, in der wir dieses fatale Schema überwinden oder einfach, wie sein geistig beeinträchtigter Onkel es vormacht, still und leise unterlaufen. (Suhrkamp Verlag) Denis Scheck empfiehlt „Ich lebe und ihr seid tot“, Emmanuel Carrères Romanbiografie über einen weltberühmten Unbekannten: Philip K. Dick. „Blade Runner“ oder „Total Recall“ hießen seine irrwitzigen Geschichten, die aber erst durch die Hollywood-Blockbuster berühmt wurden. Dick war ein Prophet der Paranoia – und ist damit aktueller denn je. (Matthes und Seitz Verlag). Und wie immer die kritische Revue der meistverkauften Bücher in Deutschland, diesmal die SPIEGEL- Bestsellerliste Sachbuch. (Text: ARD)Deutsche TV-Premiere So. 30.03.2025 Das Erste Folge 213
30 Min.„Die Rückseite des Lebens“ von Yasmina Reza (Hanser): Sie ist ein Star der französischen Literatur. Ihre Werke „Kunst“, „Drei Mal Leben“ und „Der Gott des Gemetzels“ gehören zu den meistgespielten Theaterstücken weltweit. Yasmina Reza gibt nur selten Interviews, doch Druckfrisch hat sie nun ein Rendezvous gewährt. Rund 40 Gerichtsprozesse hat Yasmina Reza in den vergangenen Jahren besucht. Aus Neugier und auf der Suche nach den Geschichten, die das wahre Leben schreibt. Von etwa 20 dieser Prozesse berichtet sie in ihrem neuen Erzählband.
Meist nüchtern und schnörkellos. Und gerade das macht viele der Episoden so trostlos-erschütternd, so unmittelbar grausam: Da ist die Ehefrau, die ihren Mann erschießt und im Garten verscharrt, in dem die Kinder spielen. Da ist der nette Nachbar, der das Erbe alter Damen erschleicht und ihnen anschließend Gift untermischt. Es sind aber auch prominente Prozesse, die Reza beobachtet hat: Zum Beispiel den um Frankreichs Ex-Präsidenten Nicolas Sarkozy, der sich wegen Korruption verantworten musste.
Immer sind es Kippmomente des Lebens, von denen diese Prozesse und nun auch Yasmina Reza erzählen? Welche letzte Provokation führt zum Ungeheuerlichen? Welche Demütigung löst die Rache aus? Welches Ereignis verändert alles? Reza kombiniert ihre Gerichtsreporte mit ungekannt privaten eigenen Erinnerungen. Meist handelt es sich auch hier um Momente, die ihrem Leben und Erkennen der Welt eine neue Wendung gegeben haben. „Das Geheimnis der Wolken“ von Vincenzo Levizzani (HarperCollins): Er möchte „den Kontakt zu unserem Wolkenuniversum wiederherstellen“ – der italienische Physiker und Atmosphärenforscher Vincenzo Levizzani erklärt das, was uns fast jeden Tag am Himmel begleitet: die Wolken am Himmel.
Sie sind flüchtig und wandelbar und deshalb so schwer in wissenschaftliche Berechnungsmodelle zu fassen wie kaum ein anderes Naturphänomen: die Wolken. Und doch ist die Sehnsucht uralt, durch die Beobachtung der Wolken das Wetter vorhersagen zu können. Vincenzo Levizzani ist Forschungsleiter am Institut für Atmosphärenwissenschaften und Klima in Bologna und hat all sein Wissen über Cumulus- und Cirus-Wolken, Hydrometeore, Multizellen und Zyklone in einem unterhaltsamen, allgemeinverständlichen Buch vereint.
Denn die Erforschung des Himmels ist nicht nur für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von Belang. „Ist uns eigentlich bewusst“, fragt Levizzani gleich zu Beginn, „dass wir den größten Teil unseres Lebens unter einer Wolkendecke verbringen?“ Wolken sind immer da, auch wenn der Himmel strahlend blau erscheint. Levizzani erklärt, warum keine Wolke der anderen gleicht, was man über ihre Entstehung weiß und wie Wolken und Klimawandel miteinander korrespondieren könnten.
Empfehlung von Denis Scheck: „Der große Gatsby“ von F. Scott Fitzgerald (Manesse Verlag): Es ist einer der verführerischsten Romane der gesamten Weltliteratur. Er bietet einen Blick hinter die Kulissen des amerikanischen Traums, ja für viele ist er so etwas wie die Entschlüsselung der DNA der USA: „Der große Gatsby“. Er erzählt von Geld und Liebe und dem mühseligen und oft leidvollen Weg auf der Suche nach beidem.
Dabei ist es ein unglaublich schmaler und atemberaubend elegant konstruierter Roman, gerade mal 176 Seiten, quasi Kondensliteratur. Vor exakt 100 Jahren, im April 1925, ist der Roman erstmals erschienen. Und jetzt liegt er in einer wunderbaren Neuübersetzung von Bernhard Robben sowie in einer von Horst Lauinger üppigst kommentierten und von Claudius Seidl klug benachworteten Prachtausgabe im Manesse Verlag vor. Am Ende von „Der große Gatsby“ lesen wir von der berühmtesten Unfallflucht der Weltliteratur.
Eine Frau stirbt nach einem Autounfall. Der vermeintliche Täter, ein Superreicher, wird von ihrem Ehemann erschossen. Vor diesem Showdown erzählt Fitzgerald eine Liebesgeschichte: Jay Gatsby ist ein Mann, der nach oben will – auch, weil er ins Bett will mit Daisy Buchanan, einer Frau aus der amerikanischen Oberschicht. Deshalb rafft er in Zeiten der Prohibition auf mehr als zwielichtige Weise ein Vermögen zusammen. Doch Daisy hat sich in der Zwischenzeit einem anderen zugewandt, der sein Vermögen ererbt hat.
Der eigentliche Held dieses Romans ist aber nicht der große Gatsby. Auch nicht seine angehimmelte Daisy. Der Held ist der Erzähler Nick Carraway, genauer gesagt seine Erzählerstimme, in der Bewunderung für Chuzpe und Aufstiegswillen, aber auch Menschenfreundlichkeit, moralische Integrität und Sinn für Schönheit zusammenkommen – eben all das, was einmal den amerikanischen Traum ausmachte. Außerdem in Druckfrisch: Ein Text des Dichters und Schriftstellers Rolf Dieter Brinkmann. Er wäre im April 2025 85 Jahre alt geworden. Und Denis Schecks erfrischend pointierte Revue der Spiegel-Bestsellerliste, diesmal Belletristik. (Text: ARD)Deutsche TV-Premiere So. 13.04.2025 Das Erste Folge 214
30 Min.Deutsche TV-Premiere So. 25.05.2025 Das Erste
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