Dokumentation in 2 Teilen, Folge 1–2

  • Es waren keine professionellen Wochenschaukameramänner, die die Bilder vom Alltag im Südwesten Deutschlands während der NS-Zeit festhielten. Es waren Hobbyfilmer, die das normale Leben in diesem Land, jenseits der offiziellen NS-Propaganda, mit ihren kleinen Kameras abbildeten: auf 8 oder 16mm-Film und – das ist die eigentliche Sensation – in Farbe! Eine Familie schmückt den Weihnachtsbaum, ein junger Mann trainiert am Expander seinen Bizeps, zwei Jungs lassen auf abgemähtem Feld ihren Drachen steigen! Immer wieder entführen die Bilder in eine verlorene Welt: Der Beruf des Köhlers war damals schon so gut wie ausgestorben, doch ein Hobbyfilmer hat festgehalten, wie er den Kamin seines kunstvoll geschichteten Holzkohlemeilers am Brennen hält.
    Auch eine „Kartoffelhexe“ kennt heute kaum noch jemand: Stolz präsentiert ein Bauer, wie die „Erdäpfel“ von einer drehenden Spindel mit langen Zinken aus dem Boden geholt werden. Doch bei aller Privatheit, die Politik ist allgegenwärtig in den Aufnahmen der Amateurfilmer: Beiläufig blitzt das NSDAP-Parteiabzeichen am Revers.
    Von jedem öffentlichen Gebäude, von jedem Ausflugsdampfer grüßt die Hakenkreuz-Fahne – und an beinahe jedem Wochenende gibt es irgendwo einen Umzug mit Marschmusik: zum 1. Mai, zum Erntedankfest, zum Kreistag der NSDAP. Für die SWR Dokumentation „Der Südwesten in Farbe – Amateurfilme von 1936–1944“ hat Autor Jan N. Lorenzen Archive und Sammlungen nach seltenen Filmaufnahmen durchsucht. Die Amateurfilme zeigen den Alltag der Menschen zur Zeit des Nationalsozialismus, was sie bewegte und was für sie so wichtig war, dass sie es filmisch festhalten wollten – in Farbe.
    Der Film erzählt die Jahre von 1936, als die ersten Farbfilme auf den Markt kamen, bis zum Kriegsbeginn 1939. Er erzählt von einem Land, das glaubt, glücklich zu sein, von Familien, die Ausflüge machen und Feste feiern. Während sich die nahende Katastrophe nur in wenigen Aufnahmen ankündigt, ist der Nationalsozialismus immer präsent – ob am 1. Mai 1937 in Heidenheim, wo die Voith GmbH sich stolz mit einem Wagen und der Aufschrift „Unsere Arbeit dem Führer“ präsentiert, oder beim Fasching in Aalen, wo der US-Präsident lächerlich gemacht und die Juden „nach Palästina“ gewünscht werden.
    Bei aller scheinbaren Leichtigkeit entsteht das bedrückende Bild einer Gesellschaft, durchdrungen vom Geist des Nationalsozialismus. Es sind Bilder von berückender Schönheit, als würde die Welt der Pfalzgrafen und Kurfürsten für einen letzten glücklichen Moment wieder auferstehen: Im Juni 1939 wird im Schlosspark von Schwetzingen noch einmal das Sommernachtsfest gefeiert. Durch kriegsbedingten Aktenverlust ist nicht mehr zu rekonstruieren, welches Stück zur Aufführung gelangt und welche Musik dazu gespielt wird.
    Nur so viel scheint klar: Der Gott der Natur und der Fruchtbarkeit stellt heiratsfähigen Mädchen hinterher … Nur wenige Wochen später ein vollkommen anderes Bild, diesmal festgehalten von Paul Stober, einem in Offenburg ansässigen Fotografen. Mobile Lautsprecherwagen verkünden den Kriegsbeginn. Auf der Straße verfolgen die Offenburger die ersten Meldungen vom Frontverlauf. In ihren Augen glaubt man Unsicherheit fast Ängstlichkeit zu erkennen. Was wird die Zukunft bringen? (Text: SWR)
    Deutsche TV-PremiereSo 12.05.2019SWR Fernsehen
  • Die SWR-Dokumentation „Der Südwesten in Farbe – Amateurfilme von 1936–1944“ erzählt vom südwestdeutschen Alltag während des zweiten Weltkrieges: Es sind Bilder voller Gegensätze. Die ersten, die im Südwesten Deutschlands den Krieg zu spüren bekommen, sind die Bewohner eines fast 500 Kilometer langen Abschnitts von der Schweizer Grenze bis nach Aachen. Bereits ein paar Tage vor Kriegsausbruch erhalten sie den Evakuierungsbefehl. Binnen weniger Stunden müssen sie ihre Heimat verlassen. Es sind einzigartige Bilder, die der Heimatforscher und Kreiskulturstellenleiter Otto Reinacher aus Haltingen bei Lörrach von der Räumung der sogenannten „Roten Zone“ hinterlassen hat: Wie Flüchtlinge, mit vollbeladenen Pferdewagen und traurigen Gesichtern, ziehen die Betroffenen an der Kamera vorbei, während sich die Wehrmacht zeitgleich des Verteidigungsstreifens an der Grenze zu Frankreich bemächtigt.
    Während ein unbekannter Landser den Soldatenalltag in der „Roten Zone“ festhält, choreografiert ein schwäbischer Filmemacher seine Familie beim Weihnachtsfest für eine slapstickartige Inszenierung. Während in Reutlingen die Soldaten des heimatlichen Regimentes nach der Niederlage Frankreichs zur Siegesparade empfangen werden, bannt der Kinobetreiber Friedrich Michel die Himbeerernte rund um Heidenheim auf Zelluloid.
    Während es den Luftbildaufklärer und Hobbyfilmer Paul Strähle aus Schorndorf bis nach Jugoslawien und in die Ukraine verschlägt, macht ein Konditor aus Esslingen Urlaub mit seiner Familie auf einem Bauernhof im Schwarzwald. Das Grauen, das den Südwesten Deutschlands dann am Ende des Krieges erreicht, zeigen die privaten Filmaufnahmen nicht. Ab 1943 wird es für die Amateurfilmer fast unmöglich an Farbfilmrollen zu kommen. (Text: SWR)
    Deutsche TV-PremiereSo 12.05.2019SWR Fernsehen

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