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  • In der Gutachterfalle: Wenn die Justiz am Ende ist

    „Was kann mir schon passieren? – ich bin ja gesund“, so dachte Ilona Haselbauer. Wegen eines Nachbarschaftsstreits stand sie vor Gericht. Sie soll ihre Hausmeisterin mit einem Einkaufswagen verletzt haben. Haselbauer bestreitet das energisch. Dem Richter wird es zu bunt, er will ein psychiatrisches Gutachten. Der Gutachter kommt zu dem Schluss: „Querulatorische Persönlichkeitsstörung! – Das mit dem Einkaufswagen ist erst der Anfang, weitere und noch gefährlichere Straftaten sind zu erwarten.“ Eine anmaßende, schwer zu belegende Behauptung, so erscheint es.
    Aber wenn ein Gutachter so etwas schreibt, dann hat das Folgen: Haselbauer gilt nun als „vermindert schuldfähig“ und als „Gefahr für die Allgemeinheit“. „Als ich das Gutachten gelesen habe, dachte ich, es geht um einen anderen Menschen. – Das bin ich nicht!“, so Haselbauer. Der Richter entscheidet, dass die damals 51-jährige Sozialpädagogin in eine forensische Klinik muss. Die Gesellschaft müsse vor ihr geschützt werden. Sage und schreibe sieben Jahre wird sie weggesperrt. Haselbauer mag bisweilen unbequem oder auch rabiat sein.
    Aber eine ernsthafte Gefahr? Sieben Jahre Freiheitsentzug? Man kann es kaum glauben, aber es ist wahr! Und sie ist kein Einzelfall – ähnlich ist es auch Michael Perez ergangen: Der junge Mann ist ebenfalls seit sieben Jahren in der Forensik – bis heute. Seine Straftat: ein Faustschlag in das Gesicht des Sohns seines Vermieters. Die beiden hatten seit langem Streit, der immer weiter eskalierte. Seine Schwester kämpft seit zwei Jahren um seine Entlassung: „Das steht doch in überhaupt keinem Verhältnis mehr! Ich habe Angst, dass mein Bruder sich aufgibt“, fürchtet Bianka Perez.
    Es gibt wohl eine ganze Reihe von Gutachtern, die Menschen ohne lange zu zögern als „schuldunfähig“ oder „vermindert schuldfähig“ einstufen. Auch bei Bagatelldelikten. Wohl wissend, dass das häufig bedeutet, dass sie für viele Jahre im Maßregelvollzug landen. Die Schwere der Tat spielt da keine Rolle. Moralische Bedenken oder auch wissenschaftliche Standards werden teilweise ausgeblendet, so scheint es. Persönliches Gerechtigkeitsempfinden, Antipathie, Angst vor Rückfällen und auch die Erwartungen der Auftraggeber spielen offensichtlich eine große Rolle.
    Da viele Richter psychiatrische Gutachten nicht oder nur selten kritisch hinterfragen, machen sie die Gutachter zu den eigentlichen Richtern. Das ist vor allem
    deshalb bedenklich, weil Fehlgutachten nicht die Ausnahme, sondern fast die Regel sind, wie ein Studie vermuten lässt: In 85 Prozent der untersuchten Fälle wurde die Gefährlichkeit von entlassenen Straftätern falsch eingeschätzt – nämlich viel zu hoch.
    Diese Erfahrung musste auch Nico machen. Er hat als Jugendlicher ein paar Mal jüngere Kinder gefesselt – und wurde als „tickende Zeitbombe“ bezeichnet, obwohl er sich nach den Taten nichts Gravierendes mehr zuschulden kommen ließ. Der Richter winkte die Gutachten Jahr für Jahr durch. Es ist „sehr, sehr schwer sich gegen die Empfehlungen eines psychiatrischen Gutachters auszusprechen“, erklärt eine Richterkollegin. „Trotzdem müssen wir jedes Gutachten kritisch prüfen!“ Viele Richter tun das nicht – und dann ist schnell ein Leben zerstört: Nico war insgesamt 14 Jahr in der Forensik! Nun will er Schadensersatz und Schmerzensgeld.
    Seine Anwältin macht ihm wenig Hoffnung: „Gutachter werden nicht zur Rechenschaft gezogen.“ Diese Erfahrung musste auch Eberhard Herrmann machen: Der erfolgreiche Geschäftsmann ist vor den Folgen eines vermeintlichen Fehlgutachtens ins Ausland geflohen. Zwanzig Jahre lang hat er gegen seinen Gutachter prozessiert. Der Psychiatrie-Professor hat Herrmann nie persönlich gesprochen, diagnostiziert aber aufgrund von Schilderungen eine „gefährliche Manie“.
    Warum haben Gutachter eine solche Macht? Wer kontrolliert die Gutachter – und die Vergabe von Gutachteraufträgen? Wie wird die Qualität von Gutachten überprüft? Fragen, die sich nicht erst seit dem spektakulären Fehlgutachten von Gustl Mollath stellen. Tagtäglich werden Menschen falsch begutachtet – und weggesperrt. Die ehemalige Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger hat in den letzten Monaten ihrer Amtszeit die Weichen für eine Gutachterreform gestellt. Eine Reform, die Macht und Willkür der Gutachter einschränken und für mehr Gerechtigkeit sorgen sollte.
    Sie liegt dem Justizministerium vor und wird kontrovers diskutiert. Fehlt die Bereitschaft, wirklich etwas zu ändern? Fest steht: Diejenigen, die es betrifft haben keine Lobby! Aber fest steht auch: Die Zahl der in der Forensik untergebrachten Menschen hat sich in den letzten zwanzig Jahren nahezu verdoppelt. Es kann jeden treffen! Bianka Perez, die Schwester des jungen Mannes, der wegen eines Faustschlags in der Psychiatrie ist, bringt es auf den Punkt: „Man ist der Gutachterwillkür absolut ausgeliefert. Ein Kampf gegen Windmühlen! Ich hoffe nur, dass Michael durchhält.“ (Text: EinsPlus)
    Deutsche TV-PremiereMi 09.12.2015SWR Fernsehen

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