Unsere Geschichte Folge 90: Als die Wessis nach M-V kamen – Der Nordosten nach der Wende
Folge 90
Als die Wessis nach M-V kamen – Der Nordosten nach der Wende
Folge 90 (45 Min.)
Von einer „sehr wilden Zeit“ sprechen alle, die 1990 und in den folgenden Jahren in Mecklenburg-Vorpommern am Aufbau einer neuen Gesellschaft mitgearbeitet haben. Mit der Vereinigung von Ost und West wurde die DDR abgeschafft und damit die alten Strukturen. Planwirtschaft wurde durch die Marktwirtschaft ersetzt, die Treuhand wickelte Zehntausende Volkseigene Unternehmen ab, eine gänzlich neue Ordnung wurde entwickelt. Es war eine intensive Zeit Anfang der 1990er-Jahre für viele Helfer aus dem Westen, für Richter, Künstler und Investoren, aber auch ein Eldorado für Abzocker und kriminelle Strippenzieher. So gibt es heute Anerkennung für die damals geleistete Unterstützung der „Wessis“, aber auch Kritik an denjenigen, die sich vor allem die eigenen Taschen gefüllt haben. Auf die Träume des Aufbruchs folgten schwere Enttäuschungen. Die anfangs große Euphorie der „Ossis“ war vielerorts schnell verflogen. Doch trotz solcher Rückschläge hat Mecklenburg-Vorpommern in vielen Bereichen bis heute eine enorme Entwicklung hingelegt. Eine funktionierende Justiz nach westdeutschem Vorbild wurde aufgebaut, der Kampf um Kultur hat mancherorts Erfolg gehabt und auch Ostdeutsche haben als Unternehmer den Sprung in den Kapitalismus geschafft und führen heute funktionierende Betriebe. Der Gestütsbesitzer Friedhelm Mencke aus Ganschow zum Beispiel, der nach hartem Kampf mit der Treuhand den Betrieb doch noch übernommen, knapp eine Pleite verhindert und schließlich den Betrieb zum größten Gestüt in Mecklenburg-Vorpommern entwickelt
hat. Oder der Richter Reinhard Wagner aus Hamburg, der im Herbst 1990 nach Schwerin ging, um dabei zu helfen, die Justiz neu aufzubauen, gemeinsam mit seinen ostdeutschen Kollegen. Heute im Rückblick spricht er „von den besten Jahren in meiner Laufbahn“. Auch Sonja Hilberger aus Westberlin gibt ein Beispiel für gelungene Aufbauarbeit ab: 1990 kam die junge Schauspielstudentin nach Rostock und gemeinsam mit ihren ostdeutschen Kommilitonen protestierte sie gegen die Schließung der Rostocker Schauspielschule, dank des Engagements der Studenten mit Erfolg. Die Schauspielschule wurde nicht abgewickelt. Doch eine große Zahl an „Wessis“ ist damals nicht aus edlen Motiven nach Mecklenburg-Vorpommern gekommen. Vielmehr haben diese „Glücksritter“ das schnelle Geld gewittert, die mangelnde behördliche Kontrolle der ersten Jahre skrupellos ausgenutzt und sich persönlich bereichert. Auch in Verwaltung und Politik gab es Entscheider wie zum Beispiel einen Staatssekretär aus dem Finanzministerium Schwerin, der Bestechungsgelder kassiert haben soll. Auch die Vorkommnisse rund um die Werftindustrie in Mecklenburg-Vorpommern Anfang der 1990er-Jahre sorgen bis heute für wütende Erinnerung an der Küste. Der Niedergang der Werften ist untrennbar mit dem Bremer Vulkan verbunden und der Figur Friedrich Hennemann. In der Dokumentation werden die Befindlichkeiten sowohl der westdeutschen Aufbauhelfer als auch der ostdeutschen Richter, Unternehmer und Künstler vorgestellt, die Hoffnungen, Überzeugungen und Erwartungen der Menschen aus Ost und West. (Text: NDR)