Sind Hässlich und Schön unvereinbare Gegensätze? Wie könnte dann der abstoßende Quasimodo wahre innere Schönheit besitzen? Victor Hugo zeigt, dass die beiden Konzepte keineswegs in starrem Widerspruch zueinanderstehen, sondern ein Spannungsfeld bilden, das in alle Lebensbereiche hineinwirkt. Ihm gelingt es, in seinen Geschichten die Verbindung zwischen dem Grotesken mit dem Erhabenen darzustellen. In seinen Werken beschäftigt er sich mit der Faszination des Dunklen und des Hässlichen, und das in einer Epoche, in der die Literatur am Ideal der Schönheit orientiert war. Doch diese Antithese von Hässlich und Schön löst sich auf, wenn Hugo beschreibt, wie aus dem Grotesken das Erhabene hervorgehen kann. Manche seiner literarischen Figuren tragen karikaturhafte Gesichtszüge, sind mysteriöse, dunkle
Zwergengestalten, mit denen sich der Schriftsteller identifiziert. Hugo propagiert das Formlose, oder eher: die aktive Missbildung. Es geht um die Irritation der Linien, das Gegenprogramm zur geraden Linie. In seinem berühmten historischen Roman „Der Glöckner von Notre-Dame“ verfasst Hugo eine Art Lobeshymne an die entstellte Hauptfigur Quasimodo: „Du bist so schön hässlich, wie ich in meinem Leben niemand gesehen habe, und verdientest nicht bloß zu Paris, sondern auch zu Rom Papst zu sein.“ In dem Roman lässt sich Hugos Abneigung gegen ästhetische Ideale, gegen gesellschaftliche Hierarchien und gegen Gott erkennen. Er feiert die Freiheit und Individualität der Menschen, und diese Einzigartigkeit und Vielfalt beschreibt er als eine Folge grotesker Äußerlichkeiten und Charakteristika. (Text: arte)