„The Horror of Dolores Roach“: Amazon-Comedy spielt geschickt mit Urängsten – Review

„Six Feet Under“-Star Justina Machado brilliert als Serienmörderin wider Willen

Marcus Kirzynowski
Rezension von Marcus Kirzynowski – 06.07.2023, 17:30 Uhr

"The Horror of Dolores Roach": Amazon-Comedy spielt geschickt mit Urängsten – Review – "Six Feet Under"-Star Justina Machado brilliert als Serienmörderin wider Willen – Bild: Prime Video

Die Vorstellung, aus Versehen Menschenfleisch zu essen, gehört wohl zu den größten Horrorvisionen. Gedanken an Massenmörder wie Fritz Haarmann kommen einem dabei in den Sinn, der seine Opfer zu Dosenfleisch verarbeitet und nichts ahnenden Kunden verkauft haben soll. Oder die vielfach adaptierte Groschenromanstory von dem Barbier Sweeney Todd, der im London des 19. Jahrhunderts seine Kunden massakrierte und deren Überreste an den benachbarten Pastetenladen weiterreichte. In diese Kategorie Geschichten gehört auch die von Dolores Roach und dem New Yorker Empanada-Imbiss, die uns Amazon Prime jetzt präsentiert.

„Basierend auf einer wahren Geschichte“, wie es der Trailer suggeriert, ist diese schwarzhumorige Comedyserie wohl eher nicht, obwohl die Geschichte keineswegs neu ist. Tatsächlich entwickelte Aaron Mark „The Horror of Dolores Roach“ zuerst für ein Einpersonenstück am Off-Broadway und machte später einen Podcast daraus. Als dritte Version schrieb er nun – diesmal zusammen mit anderen AutorInnen – die Serienfassung, die die Vorgeschichte als Theatererfolg mit in die (Rahmen-)Handlung einbaut.

Denn nach der gelungenen Premiere des Stücks in New York steht plötzlich die echte Dolores Roach (Justina Machado) in der Garderobe der Darstellerin (Jessica Pimentel, „Orange is the New Black“). Sie sieht sich und ihre Geschichte in der blutrünstigen Aufführung falsch widergegeben, denn in Wirklichkeit sei sie doch gar keine eiskalte Serienmörderin und alles nur eine Verkettung unglücklicher Umstände gewesen. Während die Dolores-Schauspielerin um ihr Leben bangt, beginnt die wahre Dolores, ihre Sicht der Ereignisse zu erzählen. Sie war die Freundin eines Drogendealers, der einige Straßenzüge im Stadtteil Washington Heights beherrschte. Bei einer Razzia in der gemeinsamen Wohnung wurde sie verhaftet und – weil sie die Schuld auf sich nahm, statt ihre große Liebe zu belasten – zu einer 16-jährigen Haftstrafe verurteilt, während ihr Geliebter verschwunden blieb.

Kann mit ihren „magischen Händen“ nicht nur gut massieren: Dolores Roach (Justina Machado)Amazon Studios

Mehr als eineinhalb Jahrzehnte später kehrt sie in ein Viertel zurück, das sie nicht wiedererkennt: Statt Dealern und anderen Kleinkriminellen tummeln sich nun Hipster und junge Eltern mit Kinderwägen auf den Straßen des inzwischen gentrifizierten Stadtteils. Ohne eine Spur ihres früheren Lovers, ohne Freunde, ohne Familie und mit nur 200 Dollar Entlassungsgeld weiß Dolores nicht, wohin – bis sie zwischen all den neuen Geschäften und Restaurants eine vertraute Markise entdeckt: der lateinamerikanische Imbiss Empanada Loca existiert noch immer, geführt von Luis (Alejandro Hernandez), dem Sohn des verstorbenen Inhabers, dümpelt allerdings fast ohne Kundschaft vor sich hin. Luis nimmt Dolores sofort bei sich in der Kellerwohnung auf und ermutigt sie auch, dort das anzubieten, was die ausbildungs- und abschlusslose Frau als einziges kann: Massagen.

Dank ihrer „magischen Hände“ kommt sie taatsächlich gut ins Geschäft, aber gerade, als sie denkt, sie wäre auf dem Weg aus der Misere, laufen die Dinge völlig aus dem Ruder: Der Vermieter (herrlich schmierig: Marc Maron aus „GLOW“) beschuldigt sie erst der Prostitution, droht, sie und Luis aus Wohnung und Imbiss zu werfen, wenn sie nicht die völlig überzogene Miete aufbringen und tatscht ihr schließlich während einer Gratismassage noch auf den Hintern. Reflexartig wendet Dolores die Griffe an, die sie im Gefängnis gelernt hat und mit denen man einem Menschen das Genick brechen kann. Als sie wenig später in den Keller zurückkehrt, ist die Leiche verschwunden und der Imbiss voller neuer Kunden. Offenbar hat Luis eine neue Fleischfüllung für seine Teigtaschen gefunden. Und die erweist sich als überaus schmackhaft …

Werden eher zufällig zu „Partners in Crime“: Imbissbetreiber Luis (Alejandro Hernandez) und DoloresAmazon Studios

Aaron Marks Geschichte spielt geschickt mit Urängsten. Wer eben noch eine komplexe Person mit Macht über andere Menschen war, kann im nächsten Moment schon als schlichter Fleischlieferant enden. Die Serie erspart uns zwar Splatterbilder, die offensichtlichen Andeutungen sind aber schon schaurig genug. Der eigentliche Horror des Titels ist, dass ahnungslose Gäste genüsslich die Snacks verschlingen und sich ob des zarten Fleisches wundern. Während Luis keine moralischen Probleme mit seinem Handeln und nur die kulinarische Seite im Blick hat, sieht sich die katholisch erzogene Dolores schon in der Hölle schmoren.

Erst recht, da es nicht bei dem einen Opfer bleibt. Dabei nimmt sie sich immer wieder vor, auf den Pfad des Anstands zurückzufinden und auf keinen Fall Anlass zu geben, wieder im Knast zu landen. Aber während man sich beim ersten Toten noch auf Notwehr oder Unfall berufen könnte, wird einem bei der zweiten wohl kein Richter der Welt mehr glauben. So gehen Luis die Zutaten für sein verfeinertes Rezept nicht mehr aus.

Echt lecker: Luis verwendet nur beste Zutaten für seine Empanadas.Amazon Studios

Justina Machado verkörpert die Titelfigur angenehm vielschichtig. Sie ist einerseits ein Opfer der gesellschaftlichen Umstände, die einer Latina in so einem Stadtteil nie echte Chancen zugestanden haben, wird andererseits gegen ihren Willen zur Täterin und schlägt dadurch auch einen Weg zur Selbstermächtigung ein. Ein bisschen wie ein weiblicher Walter White, aber wesentlich sympathischer. Mit ihrer Stammrolle in „Six Feet Under“ empfahl sich Machado, die äußerlich eher nicht dem Hollywood-Standard entspricht, als ungewöhnliche Hauptdarstellerin. Nach der konventionellen Sitcom-Neuauflage „One Day at a Time“ kann sie hier wesentlich abgründigere Seiten einer starken Frauenfigur zeigen. Umgeben ist Machado von weitgehend unbekannten NebendarstellerInnen – abgesehen von Sängerin Cyndi Lauper in einer Gastrolle -, was der Qualität des Ensembles aber nicht schadet.

„The Horror of Dolores Roach“ funktioniert als schwarzhumorige Comedy genauso gut wie als Porträt der Mikrogesellschaft eines Stadtviertels, in dem alte und neue, wohlhabende und sozial abgehängte Bewohner in einem multikulturellen Umfeld aufeinanderprallen. Die Geschichte könnte auch in Neukölln oder Ehrenfeld spielen, nur den lateinamerikanischen Imbiss müsste man dann wohl durch einen Dönerladen ersetzen. Wir können uns also schon mal auf die nächsten Adaptionen freuen.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten vier Episoden von „The Horror of Dolores Roach“.

Meine Wertung: 3,5/​5

Die achtteilige erste Staffel ist ab Freitag, den 7. Juli komplett bei Amazon Prime Video verfügbar.

Über den Autor

Marcus Kirzynowski ist Düsseldorfer Journalist und Serienfreund; wuchs mit „Ein Colt für alle Fälle“, „Dallas“ und „L.A. Law“ auf; Traumarbeitgeber: Fisher & Sons, County General Notaufnahme; die Jobs auf dem Battlestar Galactica und im West Wing wären ihm hingegen zu stressig; Wunschwohnort: Cicely, Alaska. Schreibt über amerikanische und europäische TV-Serien sowie andere Kultur- und Medienthemen, u.a. für fernsehserien.de und sein eigenes Online-Magazin Fortsetzung.tv.

Lieblingsserien: Six Feet Under, Emergency Room, The West Wing

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • (geb. 1967) am

    Nee, als, ich kann mit der Serie nix anfangen...bin jetzt bei Folge 4 und finde es fast sogar langweilig...so, jetzt wissen wird, dasss Sie ihr Massage Ding dazu nutzt, um unbeliebte Menschen zu er****** und dann machht ihr Kumpel, der Koch was mit denen???
    • (geb. 1976) am

      Endlich ein Amazon Original, welches sehenswert ist

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