„Moon Knight“: Neue Marvel-Serie hat Potenzial, schwankt aber zu sehr zwischen düster und komisch – Review

Bücherwurm mit dissoziativer Identitätsstörung zieht mit seinem grimmigen Alter Ego in den Kampf

Rezension von Christopher Diekhaus – 29.03.2022, 18:30 Uhr

Im Anzug des übermenschlich starken Moon Knight räumt Steven alias Michael (Oscar Isaac) auf. – Bild: Marvel Studios 2022
Im Anzug des übermenschlich starken Moon Knight räumt Steven alias Michael (Oscar Isaac) auf.

Zumindest einige der bei Disney+ veröffentlichten Marvel-Serien zeichnen sich durch eine ausgeprägte, den Kino-Blockbustern ferne Experimentierfreude aus. Das Paradebeispiel schlechthin ist „WandaVision“, eine Mischung aus Superheldendrama und Meta-Sitcom, die den Zuschauer mit allerhand frischen Ideen überrascht. Die bislang letzte auf der Streaming-Plattform zugänglich gemachte Produktion „Hawkeye“ präsentiert sich im Vergleich deutlich weniger kreativ und wagemutig. Mit dem sechsteiligen Marvel-Projekt „Moon Knight“ wird es nun zwar wieder etwas ungewöhnlicher, steht doch im Zentrum ein Antiheld, der an einer dissoziativen Identitätsstörung leidet. Tonal wirkt die Serie in den ersten vier Folgen, die der Presse vorab bereitgestellt wurden, aber etwas zu unentschlossen, um durchgehend zu fesseln.

Wie in vielen Horrorfilmen über Menschen, die plötzlich an ihrer Wahrnehmung zu zweifeln beginnen, versetzt uns die von Jeremy Slater („The Umbrella Academy“) auf Basis der Moon-Knight-Comicfigur entwickelte Geschichte in die Perspektive des Geschenkartikelverkäufers Steven Grant (Oscar Isaac), der in einem Londoner Museum arbeitet. Nicht selten taucht er dort, zur Verärgerung seiner Chefin Donna (Lucy Thackeray), verspätet auf, da er in der Nacht häufig keine Ruhe findet. Seltsame Blackouts und Visionen sind ständige Begleiter. Um nicht mehr an anderen Orten aufzuwachen als seinem Bett, kettet er sich mit einer Fußfessel an einen Pfosten in seiner Wohnung. Jeden Morgen fühlt er sich dennoch seltsam gerädert, ohne genau zu wissen, warum.

Nicht nur er, auch der Zuschauer wundert sich, was hier vor sich geht. Die Antwort schält sich nach einem mysteriösen Ausflug in ein putziges Alpendorf langsam heraus. Zunächst staunt Steven allerdings nicht schlecht, als er in dem kleinen Ort einer seltsamen Zeremonie beiwohnt: Unter den Augen der Einheimischen tötet ein Mann namens Arthur Harrow (Ethan Hawke) eine alte Frau, weil sie angeblich in Zukunft etwas Böses tun wird – das haben ihm sein magischer Gehstock und die auf seinen Unterarm tätowierte Waage verraten. Nur Augenblicke später findet sich Grant als Gejagter wieder. Der Grund: Ein offenbar magisches Artefakt, ein goldener Skarabäus, befindet sich plötzlich in seinem Besitz, und Steven kann, obwohl er es versucht, Harrow den Gegenstand nicht aushändigen.

Ausgeschlafen sieht Steven (Oscar Isaac) nicht gerade aus. Marvel Studios 2022

„Moon Knight“ schleudert den Protagonisten in eine rätselhafte Situation, baut Spannung auf und lässt das Ganze in eine wilde Verfolgungsjagd münden, die dann mit Holzhammerhumor eingefärbt wird. So flüchtet der völlig überforderte Steven mit einem quietschbunten Süßigkeiten-LKW, während auf der Tonspur „Wake Me Up Before You Go-Go“ von Wham! erschallt. Marvels oft treffsicheres Auflockerungskonzept in allen Ehren. In diesem Fall erscheinen die Scherze und ironischen Einschübe jedoch oft etwas zu gewollt und passen nicht recht zur Verfassung der Hauptfigur. Grant erkennt nämlich kurz nach der verrückten Alpenepisode, dass eine sogenannte dissoziative Identitätsstörung für seine Aussetzer verantwortlich ist. In seinem Körper haust auch der grimmige Söldner Marc Spector (ebenfalls Oscar Isaac), der sich als Avatar des ägyptischen Mondgottes Khonshu (in der englischen Version gesprochen von F. Murray Abraham) vorstellt, mit dessen Hilfe er in die Rolle des übermenschlich starken Moon Knight schlüpfen kann und um jeden Preis Arthur Harrow Einhalt gebieten will. Dieser wird nämlich von einem fanatischen Glauben an die Göttin Ammit getrieben, steht einer Art Sekte vor und plant, das Böse auf ebenso fragwürdige wie radikale Weise auszumerzen.

Ein Antiheld mit verschiedenen Persönlichkeiten ist nicht die schlechteste Voraussetzung, um über das übliche Wir-retten-die-Welt-Muster hinauszukommen. Mit Oscar Isaac steht ein absolut fähiger Darsteller zur Verfügung, der die Gegensätze zwischen Steven und Michael in seinem Spiel anschaulich herausarbeitet. Den in der Originalfassung mit britischem Akzent sprechenden Museumsmitarbeiter zeichnet er als sanftmütigen, tollpatschigen Nerd, während er Spector als unerschrockenen Draufgänger interpretiert. Im Falle Stevens bewegt sich der für die Miniserie „Show Me a Hero“ mit einem Golden Globe prämierte Isaac aber manchmal gefährlich nah an der Grenze zur Karikatur. Für zusätzliches dramatisches Potenzial im Ringen zwischen den beiden Identitäten sorgt Michaels zupackende Nochgattin Layla (May Calamawy), die sich ihrem Kampf gegen Harrow anschließt. Sowohl der romantische Aspekt als auch das Geheimnis rund um den Tod ihres Vaters könnten in den Folgen fünf und sechs noch interessante Auswirkungen haben.

Stevens/​Michaels komplexes Seelenleben nimmt „Moon Knight“ immer mal wieder kurz in den Blick. Jeremy Slater und die Regisseure – Mohamed Diab („Clash“) hat vier, das Indie-Gespann Justin Benson und Aaron Moorhead („Synchronic“) zwei Episoden orchestriert – interessieren an der besonderen Konstitution jedoch vor allem die visuellen und inszenatorischen Möglichkeiten. In dieser Hinsicht lassen sich die Macher einiges einfallen. So findet die Kommunikation zwischen den zwei Persönlichkeiten fast durchweg über reflektierende Objekte, etwa Spiegel, statt. Wie oben schon beschrieben, dient die brüchige Selbstwahrnehmung außerdem dazu, wiederholt Ebenen und Orte zu wechseln und die anfängliche Verwirrung des Protagonisten auf den Betrachter zu übertragen.

Arthur Harrow (Ethan Hawke) ist wild entschlossen, das Böse mit Hilfe der Göttin Ammit zu tilgen. Marvel Studios 2022

Was „Moon Knight“ von manchem Marvel-Kinostreifen positiv unterscheidet, ist der rätselhafte, von seiner früheren Verbindung zu Mondgott Khonshu negativ geprägte Antagonist, den in Ethan Hawkes eher zurückgenommener Performance eine sakrale Aura umweht. Arthur Harrow wird selten laut, redet zumeist bedächtig und strebt nicht – so sieht es jedenfalls aus – nach der Weltherrschaft, sondern will das Böse ein für alle Mal besiegen. Drastische Methoden nimmt er dabei in Kauf und wirft mit seinem Vorhaben beinahe philosophische Fragen auf.

Trotz guter Ansätze und Ideen fühlt sich die neue Disney+-Serie nach zwei Dritteln ihrer Laufzeit allerdings ein wenig zusammengewürfelt an. Klassische Horrormotive, schnittige Actionszenen, etwas Romantik, „Indiana Jones“-Anleihen, eine Prise „Die Mumie“, ein Hauch „Minority Report“ und der unvermeidliche Marvel-Witz vermischen sich zu einer nicht immer runden Erzählung, die am Ende der vierten Folge aber eine äußerst spannende Wendung nimmt. Womöglich schaffen es die beiden letzten Kapitel tatsächlich noch, „Moon Knight“ den entscheidenden Kick zu geben.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten vier von insgesamt sechs Episoden der Serie „Moon Knight“.

Meine Wertung: 3/​5

Die erste Folge der Serie „Moon Knight“ wird am 30. März bei Disney+ veröffentlicht. Im Wochenrhythmus erscheinen dann die restlichen Episoden.

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • (geb. 1964) am

    Mir gefällt die Serie beisher sehr gut.

    In dem Artikel hat sich allerdings ein Fehler eingeschlichen. "Marc" - die Söldner-Identität von Moon Knight - wird hier mehrfach als "Michael" bezeichnet.
    • am

      Ich habe die 1. Folge gesehen und war kurz davor abzuschalten. Eine chaotische Fahrt ohne Struktur.
      • am

        Aus anderen Quellen hab ich bisher nur Gutes gehört und für jeden Marvel-Fan ist es sowieso ein Must see. Ich bin gespannt!
        • am

          Marvel war nach Endgame beendet...
        • am

          Was ein Blödsinn!

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