„Haus aus Glas“: Götz Schubert und Juliane Köhler als Eltern einer dysfunktionalen Familie – Review

arte-/​ARD-Serie über Entführungen, Traumata und Geheimnisse kann nur teilweise überzeugen

Marcus Kirzynowski
Rezension von Marcus Kirzynowski – 04.01.2024, 16:39 Uhr (erstmals veröffentlicht am 27.12.2023)

„Haus aus Glas“ – Bild: arte/Michel Vertongen
„Haus aus Glas“

Die Miniserie beginnt mit einer Panikattacke, die Emily Schwarz (Sarah Mahita) im Zug bekommt. Mitten in der Nacht ist ihr frisch angetrauter Ehemann aus dem Abteil verschwunden, zunehmend beunruhigt läuft sie von Abteil zu Abteil, aber Chris (Aram Arami) bleibt unauffindbar. Als sie vergeblich versucht hat, die Zugtüren zu öffnen, bricht sie zusammen. Knapp sechs Episoden später wird sie noch direkter retraumatisiert, als eben jener Ehemann sie in einer dunklen Toilette einsperrt. Nur kleine Lüftungslöcher lassen etwas Tageslicht herein. Ähnlich wie die Löcher, die ihre Entführer in die Kiste gebohrt hatten, in der sie als Kind gefangen war.

Zwischen diesen beiden Panikattacken liegen eine Hochzeit, eine Suche, eine finanzielle Katastrophe und die Enthüllung zahlreicher Familiengeheimnisse und Verletzungen, die die Familie Schwarz nie offen angesprochen hat. Sie mag in einem „Haus aus Glas“ leben, wie der Serientitel verrät, aber transparent ist in dieser Familie gar nichts, schon gar nicht die Gefühle. Als Zusehende erfahren wir über sechs Folgen der ARD-/​arte-Produktion hinweg, wie viel hier wirklich im Argen liegt.

Zur Hochzeit der jüngsten Tochter Emily kommen erstmals seit längerer Zeit wieder alle vier erwachsenen Geschwister der Unternehmerfamilie im Elternhaus zusammen. Patriarch Richard (Götz Schubert) leitet die Gießerei, die den Schwarzens ihren Reichtum beschert hat. Dieser hatte aber auch fürchterliche Folgen, als Emily als kleines Mädchen entführt und erst nach Tagen gegen ein Lösegeld freigelassen wurde. Seitdem ist die heute junge Frau schwer traumatisiert, kann kaum alleine auf die Straße gehen. Aber auch ihre Geschwister leiden immer noch darunter, dass sich für die Eltern alles nur um die bedauernswerte Emily dreht. Felix (Merlin Rose), der einzige Sohn, hat sich sogar schon vor Jahren nach Kanada abgesetzt und den Kontakt weitgehend abgebrochen.

Zerstritten: Vater Richard (Götz Schubert) und Sohn Felix (Merlin Rose) arte/​Michel Vertongen

Emilys Auserwählter Chris soll die finanziell angeschlagene Gießerei modernisieren. Ausgerechnet am Tag nach der Hochzeit offenbart Richard seinen Kindern, dass er auch die ganze Firma übernehmen soll – und stößt damit seine älteste Tochter Eva (Stefanie Reinsperger) vor den Kopf, die bisher als natürliche Nachfolgerin galt. Während sich Felix einen Anwalt nimmt, um seine Rechte zu wahren, kann sich die mittlere Tochter Leo (Morgane Ferru) nicht dazu durchringen, möchte sie doch die Familie nicht zerstören. „Die ist doch längst kaputt“, erwidert ihre Schwester Eva. Ach Quatsch, meint daraufhin Leo, sie kenne keine andere Familie, die so zusammenhalte. Als dann auch noch Chris auf der Hochzeitsreise aus dem Zug verschwindet, wird dieser Zusammenhalt auf eine noch härtere Probe gestellt. Das mysteriöse Verschwinden – es gibt keine Hinweise auf eine erneute Entführung – ruft alte Traumata wieder hervor, die das Verbrechen an Emily damals verursacht hat.

Während nun alle Familienmitglieder tagelang auf engem Raum in der luxuriösen, aber auch abgeschotteten Villa aufeinanderhocken, fächert sich eine Fülle von einzelnen Problemen auf, die sie mit sich herumschleppen. Manche davon unterscheiden sich nicht groß von denen, die die Figuren in Vorabendserien so haben: Die in einer lesbischen Beziehung lebende Eva versucht, schwanger zu werden, Leo streitet sich mit ihrem Ex-Mann um den gemeinsamen Sohn …

Familientreffen mit neuem Schwiegersohn (M.) und Kumpel arte/​Michel Vertongen

Schnell wird aber klar, dass noch tiefere Störungen unter der Oberfläche verborgen liegen. Ob es Leo ist, die ohne Tabletten nicht einschlafen kann, die seltsame Beziehung zwischen Richard und seiner Gattin Barbara (Juliane Köhler), die sadomasochistische Züge trägt, oder Felix, der als Jugendlicher seinen besten Freund krankenhausreif geschlagen hat, was Richard nur mit einem deftigen Schmerzensgeld unter den Tisch kehren konnte. So wie überhaupt jeder ein Geheimnis vor Eltern und Geschwistern respektive Kindern hat. Etwa die im Alltag so unsichere Emily, die ein heimliches Doppelleben als selbstbewusste Influencerin bei Youtube führt. Oder Felix, der eine Familie in Kanada hat.

Viel Stoff also für nur sechsmal 45 Minuten, und in ihrer Häufung wirken diese ganzen Nöte und Geheimnisse auch schon fast unfreiwillig komisch. Interessanter als jede einzelne Figurengeschichte ist aber die Psychologie zwischen den Geschwistern. Hier gelingen den Autorinnen um Esther Bernstorff vor allem am Ende einige schöne Szenen, wenn der Druck ein wenig von Felix und seinen drei Schwestern abgefallen ist und sie sich gegenseitig mit Farbe bemalen, wie ihre künstlerisch ambitionierte Mutter es vor Jahrzehnten einmal mit ihnen gemacht hat, um ein Kunstwerk zu schaffen. Vorher fragt man sich allerdings mehr als einmal, warum die Familienmitglieder nicht einfach offen miteinander sprechen. In ihrer Dysfunktionalität erinnert der Schwarz-Clan manchmal schon an die typischen Familien aus HBO-Serien, erreicht dabei aber leider weder die inhaltliche Relevanz noch die inszenatorische Brillanz etwa von „Six Feet Under“ oder „Succession“.

Doppelleben mit Perücke: Emily als Influencerin Milli*star arte/​Guillaume van Laethem

Vielmehr ist die Handlung zu vollgestopft, wirken die Thrillerelemente etwas aufgesetzt, wo es den Autorinnen doch offensichtlich eher darum geht, das psychologische Porträt einer Familie zu entwerfen. In Szene gesetzt hat das der erfahrene Kino- und Fernsehregisseur Alain Gsponer routiniert, aber ohne größere Überraschungen. Schon bemerkenswerter ist die Besetzung: Götz Schubert hat bereits in „KDD – Kriminaldauerdienst“ bewiesen, dass er ein Ensemble anführen kann, sein Patriarch ist herrlich schroff und verletzend. Juliane Köhler ist als leicht verhuschte verkannte Künstlerin etwas unter Wert eingesetzt. Die drei Schwestern sind alle auf ihre Art faszinierend, wobei besonders Morgane Ferru ihrer Leo eine interessante Diskrepanz zwischen äußerer Frohnatur und innerer Zerbrochenheit verleiht. Merlin Rose bemüht als Bruder Felix hingegen zu sehr den immer gleichen Leidensblick.

Einige Wendungen und Enthüllungen sind leider arg unglaubwürdig. Wer bereit ist, darüber hinwegzusehen und generell deutsche Serien mag, kann sich hier durchaus viereinhalb Stunden gut unterhalten lassen. Allzu große psychologische Erkenntnisse sollte man sich von diesem Drama aber nicht erwarten.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der kompletten Miniserie „Haus aus Glas“.

Meine Wertung: 3,5/​5

Alle sechs Episoden sind ab dem 28. Dezember bei arte.tv abrufbar und laufen am Donnerstag, den 4.Januar ab 20:15 Uhr bei arte. Im Ersten sind jeweils zwei Folgen am 9. und 10. Januar ab 20:15 Uhr sowie am 12. Januar ab 22:20 Uhr zu sehen.

Über den Autor

Marcus Kirzynowski ist Düsseldorfer Journalist und Serienfreund; wuchs mit „Ein Colt für alle Fälle“, „Dallas“ und „L.A. Law“ auf; Traumarbeitgeber: Fisher & Sons, County General Notaufnahme; die Jobs auf dem Battlestar Galactica und im West Wing wären ihm hingegen zu stressig; Wunschwohnort: Cicely, Alaska. Schreibt über amerikanische und europäische TV-Serien sowie andere Kultur- und Medienthemen, u.a. für fernsehserien.de und sein eigenes Online-Magazin Fortsetzung.tv.

Lieblingsserien: Six Feet Under, Emergency Room, The West Wing

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • am via tvforen.de

    Puh, entweder werde ich zunehmend zum Misanthropen oder die Charaktere waren allesamt als Unsympathen angelegt.
    Thematisch eher eine Daily Soap, vom kompletten Gehalt her hätte man es auch auf 100 Minuten Spielfilmlänge komprimieren können.

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