„GLOW“: Wem „Orange is the New Black“ gefallen hat, wird „GLOW“ sicher auch mögen – Review

Netflix-Serie bleibt Jenj Kohans Stil treu

Marcus Kirzynowski
Rezension von Marcus Kirzynowski – 22.06.2017, 17:30 Uhr

Gemischte Damen-Truppe: „GLOW“ – Bild: Netflix
Gemischte Damen-Truppe: „GLOW“

Es klang ebenso schräg wie vielversprechend, als die einschlägigen Medienseiten vermeldeten, Netflix habe eine Musical-Comedy-Serie über eine Frauen-Wrestling-Gruppe in den 1980er Jahren bestellt. Zumal als ausführende Produzentin Jenji Kohan dahinter steckte, die mit der Dramedy „Orange is the New Black“ bewiesen hat, dass sie es wie kaum eine andere versteht, hemmungslose Komik mit gesellschaftlich wichtigen Themen zu verbinden. Das Musical-Element wurde zwischenzeitlich fallengelassen, aber man kann ja nicht alles haben. In der siebten Folge wird dann übrigens doch noch gesungen.

„GLOW“ basiert auf einer gleichnamigen TV-Show, die in den 80ern tatsächlich im Rahmen des Syndication-Systems auf zahlreichen US-Sendern gelaufen ist. Show war dabei allerdings weniger im amerikanischen Sprachgebrauch als Serie zu verstehen, sondern eher in dem Sinn, wie der Begriff auch in Deutschland verwendet wird: Die Sendung zeigte Kämpfe der real existierenden Frauen-Liga „Gorgeous Ladies of Wrestling“ (abgekürzt eben G.L.O.W.), gemischt mit Sketchen und Songs – also mehr WWE als „Friday Night Lights“. Die Netflix-Serie „Glow“ wiederum ist eine „richtige“, also fiktionalisierte TV-Serie, die – mehr oder weniger lose an die damalige Produktion angelehnt – einen Blick hinter die Kulissen wirft. In zunächst zehn jeweils rund halbstündigen Folgen werden wir Zeugen, wie die Darstellerinnen gecastet werden, das Konzept der Show entwickelt wird und welche Konflikte währenddessen unter den Beteiligten vor und hinter der Kamera entstehen.

Marc Maron als machohafter G.L.O.W.-Produzent Sam Sylvia

Die Serie beginnt mit Ruth Wilder (sympathisch und komisch: Alison Brie, Pete Campbells Ehefrau in „Mad Men“), einer (nicht mehr ganz) jungen Schauspielerin in Los Angeles, die mal wieder erfolglos an einem Casting teilnimmt. Eines ihrer Probleme: Es gibt Mitte der 80er einfach keine anspruchsvollen Rollen für Frauen in Hollywood – und Ruth ist zu ehrgeizig, um sich mit ein, zwei Sätzen als Sekretärin abspeisen zu lassen. Zudem entspricht die forsch auftretende Frau mit den brünetten Haaren nicht so ganz dem Schönheitsideal, dass die Filmindustrie fordert. Also hat sie schon länger kein Engagement mehr bekommen und muss sich, wie so viele ihrer Berufskollegen, den Lebensunterhalt mit Kellnern verdienen – was aber auch nicht ausreicht, um die Miete pünktlich bezahlen und den Kühlschrank füllen zu können. Ein reichlich schräges Gespräch auf der Damentoilette mit einer Casterin hinterlässt bei dieser zumindest einen so starken Eindruck, dass sie Alison kurz darauf den Tipp gibt, zu einem Vorsprechen zu gehen, bei dem dann allerdings erst einmal gar nicht gesprochen werden muss. Eher gepost und grimmig geguckt. In einer schäbigen Halle suchen der Regisseur Sam Sylvia (Marc Maron) und sein Produzent Akteurinnen für ihre geplante Wrestlingshow, mit der sie an den Erfolg der Männerligen anknüpfen wollen. Das war nun nicht gerade das, was sich die junge Schauspielerin vorgestellt hatte, ihr wird aber schnell bewusst, dass dieses schräge Projekt ihre letzte Chance sein könnte, doch noch den Durchbruch zu schaffen.

„Glow“ atmet unübersehbar den Geist von Jenji Kohans Frauenknastserie, auch wenn sie selbst diesmal nicht die Serienschöpferin ist. Mit Carly Mensch ist aber eine ehemalige Autorin und Produzentin von „OITNB“ unter den beiden Erfinderinnen, ebenso wie Mensch hat zudem auch die zweite, Liz Flahive, bereits bei „Weeds“ mit Kohan zusammengearbeitet. Auch „Glow“ ist eine Serie, die sich in erster Linie um eine größere Gruppe von Frauen dreht (wenn auch längst nicht um eine so ausgedehnte), von denen die meisten nicht gerade gängigen Rollenbildern entsprechen. Wie im Frauengefängnis Litchfield finden sich auch in der Wrestlingtruppe afro-amerikanische, asiatische und hispanische Frauen, dicke und dünne, arme und solche aus der Mittelschicht, solche, die die Gesellschaft eher als „normal“ einstufen würde und andere, die völlig durchgeknallt scheinen. Dabei fällt es in den ersten Folgen noch schwer, sich einzelne Nebenfiguren einzuprägen. Im Laufe der Zeit stechen aber insbesondere die coole Afro-Amerikanerin Cherry Bang (Sydelle Noel) heraus, die das Trainig der Wrestling-Novizinnen übernimmt, sowie die untersetzte Indigene Carmen Wade (Britney Young). Dann gibt es noch Sheila (Gayle Rankin), die sich gar nicht erst eine Bühnenpersona ausdenken muss, da sie sich innerlich eh wie eine Wölfin fühlt und auch entsprechend kleidet und schminkt („Ich weiß, dass ich ein Mensch bin, aber innen drin bin ich ein Wolf.“), die introvertierte Justine (Britt Baron), die man heute wohl als Goth bezeichnen würde, und einige andere. Und, als zweite weibliche Hauptfigur, Debbie Eegan (Betty Gilpin), am Anfang noch Ruths beste Freundin, recht bald aber schon erbitterte Gegenspielerin (hinter diesem Wandel steckt natürlich ein Mann) und die Einzige in der Truppe, die bereits eine halbwegs erfolgreiche TV-Karriere vorzuweisen hat. Wobei das in der Welt von „Glow“ heißt: eine Hauptrolle in einer Daily Soap, bevor sie sich als Hausfrau und Mutter in die heimischen vier Wände zurückgezogen hat. Debbie (und in geringerem Maße auch Ruth) erfüllt hier in etwa die Funktion, die Taylor Schillings Piper Chapman in „OITNB“ hat: eine Identifikationsmöglichkeit für das US-amerikanische (und sicher auch das deutsche) Mainstreampublikum zu bieten. Während viele Weiße wahrscheinlich eine Serie gar nicht erst ansehen würden, die von Anfang an den Fokus auf Angehörige ethnischer Minderheiten legt, ist es über diesen Umweg möglich, dann eben doch von deren Alltagserfahrungen und Sichtweisen zu erzählen.

Ruth (Alison Brie, 2. v. l.) und die neuen Kolleginnen halten nach dem ersten Training Kriegsrat

Die einzige wichtige männliche Figur ist bislang Sam, ein eher leidlich erfolgreicher Regisseur, der allerdings nicht unter mangelndem Selbstvertrauen leidet. Vielmehr hält er seine bisherigen Filme für sehr gelungen, wenn es sich bei den Horror-B-Movies auch in Wahrheit eher um Mach- als um Meisterwerke handelt. Der wenig empathisch und großmäulig auftretende Mann, der äußerlich die Sorte Mensch verkörpert, die in Hollywood (und in der westlichen Welt insgesamt) noch heute meist das Sagen hat (männlich, weiß, mittleres Alter, Macho) offenbart jedoch schon zur Mitte der Staffel auch sensiblere Seiten. So ist er letztlich ein einsamer Mann, der mittels Video-Kontaktbörsen (eine Art Vorläufer des Online-Datings) nach einer Lebenspartnerin sucht. Und auch sein persönliches Verhältnis zu den Darstellerinnen, insbesondere zu Ruth, entwickelt sich in eine interessante Richtung weiter.

Vom Tonfall her bietet „Glow“ genau jene Mischung aus offensivem Humor und leiseren Momenten, die wir aus „Orange is the New Black“ kennen, wobei ersterer hier weniger vulgär ausfällt. Die ernsteren und emotionalen Elemente erreichen zwar noch nicht die Tiefe von Kohans Erfolgsserie, die Anlagen dafür sind aber eindeutig zu erkennen. Auch „OITNB“ brauchte ja seinerzeit einige Folgen, um richtig in die Gänge zu kommen. Stilistisch bietet hier das Setting natürlich die Gelegenheit, auf der 80er-Retrowelle mitzuschwimmen, die uns in Deutschland etwa die Rückkehr des Yps-Magazins für Erwachsene oder der „Formel Eins“-Musikshow beschert hat. Zum Glück werden geschmacklose Föhnfrisuren und Schulterpolster hier aber nicht zum Selbstzweck. Wichtiger sind da schon die für das Jahrzehnt typischen Pop- und Rocksongs (von Tears for Fears bis zu diversen Hardrockkrachern à la Whitesnake), die stilsicher eingesetzt werden. Ein nicht ganz unwichtiges Element ist auch die Erotik, wie bei einer Serie über Frauenwrestling wohl auch zu erwarten. Was Nacktheit betrifft, geht „Glow“ sogar noch ein bisschen über das von „OITNB“ Gewohnte hinaus, ohne dass es wie bei manchen HBO- oder Starz-Serien ins Unangenehme abrutscht. Insgesamt bieten die ersten Episoden eine gelungene, wenn auch noch nicht richtig fesselnde Mischung aus Camp, Retrocharme und zeitlosen Themen wie Gleichberechtigung, weibliche Selbstermächtigung und Solidarität. Echte Überraschungen gibt es allerdings nicht. Kohan diversifiziert mit der von Mensch und Flahive entwickelten Serie also ihr Produktsortiment, ohne dieses wesentlich weiterzuentwickeln. Ein wenig wie nach dem Motto: „Wenn Ihnen ‚Orange is the New Black‘ gefallen hat, ist ‚Glow‘ sicher auch etwas für Sie.“

Dieser Text basiert auf Sichtung der ersten sieben Episoden der Serie „GLOW“.

Meine Wertung: 3,5/​5

Marcus Kirzynowski
© Alle Bilder: Netflix

„Glow“ startet am Freitag, dem 23. Juni 2017 gegen 9:00 Uhr deutscher Zeit weltweit bei Netflix. Die erste Staffel umfasst zehn Episoden

Über den Autor

Marcus Kirzynowski ist Düsseldorfer Journalist und Serienfreund; wuchs mit „Ein Colt für alle Fälle“, „Dallas“ und „L.A. Law“ auf; Traumarbeitgeber: Fisher & Sons, County General Notaufnahme; die Jobs auf dem Battlestar Galactica und im West Wing wären ihm hingegen zu stressig; Wunschwohnort: Cicely, Alaska. Schreibt über amerikanische und europäische TV-Serien sowie andere Kultur- und Medienthemen, u.a. für fernsehserien.de und sein eigenes Online-Magazin Fortsetzung.tv.

Lieblingsserien: Six Feet Under, Emergency Room, The West Wing

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