Dänemark hat Land unter. Zuerst sieht man das Wasser in den Städten noch nicht, aber das Grundwasser steigt unaufhaltsam und dessen Abpumpen verschlingt immer höhere Summen. Unterdessen haben die Niederlande in naher, nicht weiter bestimmter Zukunft ihren ökonomischen Kollaps bereits hinter sich, Millionen Niederländer sind auf der Flucht. Die dänische Regierung fasst deshalb den ungewöhnlichen Entschluss, ihr Land aufzugeben. Die komplette Bevölkerung soll in drei Phasen in andere Staaten evakuiert werden. Das menschenleere Dänemark soll danach zum größten Windpark der Welt werden.
Es ist ein Gedankenexperiment zum drängenden Thema Klimawandel, dass der dänische Erfolgsregisseur Thomas Vinterberg („Das Fest“, „Der Rausch“) in seiner Miniserie „Families Like Ours – Nur mit Euch“ durchexerziert. Wie realistisch es ist, darüber lässt sich streiten, denn wohl noch nie in der Weltgeschichte hat eine Regierung das eigene Land so aufgegeben wie hier dargestellt. Dass es in absehbarer Zeit tatsächlich auch in europäischen Ländern zu Massenfluchten wegen überfluteter Regionen kommen könnte, ist aber nicht von der Hand zu weisen. Was das für die Betroffenen bedeutet, erzählt Vinterberg in sieben Episoden anhand einer ganz normalen Familie.
Interessant daran ist, dass es sich eben nicht um eine arme Familie aus einem Entwicklungs- oder Bürgerkriegsland handelt, sondern diesmal um wohlhabende weiße EU-Bürger. Durch den Beschluss der Regierung sind sie gezwungen, innerhalb weniger Wochen ihr komplettes bisheriges Leben einschließlich ihrer Besitztümer aufzugeben: Ihr Eigenheim verliert wie alle Immobilien im Land schlagartig jeglichen Wert, Arbeitsstellen und Freunde müssen verlassen werden und auch die geschiedenen Eltern der Abiturientin Laura (Amaryllis April August) soll es in verschiedene Himmelsrichtungen verschlagen – ohne die Möglichkeit, sich regelmäßig zu besuchen.
Hin- und hergerissen zwischen Mutter Fanny (Paprika Steen) und Vater Jacob (Nikolaj Lie Kaas): Teenagerin Laura (Amryllis August) Zentropa Entertainments/StudioCanal/CANAL+/TV 2/ARD Degeto Film/Per Arnesen
Wer ein hohes Bildungsniveau und Kontakte ins westliche Ausland hat wie Vater Jacob (Nikolaj Lie Kaas), schafft es relativ problemlos, einen guten neuen Job in Paris inklusive Aufenthaltsgenehmigung und großer Wohnung im Stadtzentrum zu bekommen. Wer aber schon länger krank und arbeitsunfähig ist wie Lauras Mutter Fanny (Paprika Steen), dem wird von der staatlichen Behörde nur ein Wohnplatz im Sieben-Bett-Zimmer in einem Vorort von Bukarest angeboten.
Hin- und hergerissen zwischen beiden Elternteilen ist Laura: Einerseits hätte sie dank guten Abis einen Studienplatz an der renommierten Sorbonne in Paris sicher und könnte dann bei Vater, Bruder und Stiefmutter Amalie (Helene Reingaard Neumann) bleiben, andererseits will sie ihre psychisch angeschlagene Mutter nicht alleine in Rumänien lassen. Und dann ist da noch ihr Mitschüler Elias (Albert Rudbeck Lindhardt), in den sie sich ausgerechnet jetzt verlieben musste und der eigentlich nach Finnland will. Auch Jacobs Schwager Nikolaj (Esben Smed Jensen, „Follow the Money“) und dessen Lebenspartner Henrik (Magnus Millang, „Der Rausch“) stehen vor zunehmenden Problemen. Ein Konflikt zwischen Henriks Bruder und dessen Arbeitern führt zu Gewaltausbrüchen mit dramatischen Folgen.
Erste Liebe in schwierigen Zeiten: Laura und Elias (Albert Rudbeck Lindberg) Zentropa Entertainments/StudioCanal/CANAL+/TV 2/ARD Degeto Film/Per Arnesen
Die Lage spitzt sich im Verlauf der sieben rund 50-minütigen Folgen langsam, aber deutlich zu. Anfangs scheint alles noch fast in geordneten Bahnen zu verlaufen, bedenkt man das Ausmaß dieser Ausnahmesituation. Von vereinzelten Demonstrationen abgesehen, fügt sich die Bevölkerung in ihr Schicksal und die dänische Bürokratie läuft bei der Abwicklung des eigenen Landes so reibungslos wie ein deutsches Jobcenter (zeigt sich allerdings im Einzelfall auch genauso empathielos). Nicht überall sind die dänischen Migranten erwünscht, aber alle finden irgendwo in Europa einen Platz. Was aber, wenn enge Angehörige oder die große Liebe ans andere Ende des Kontinents flüchten müssen und man sich kurzfristig entscheidet, doch bei ihnen sein zu wollen? Diese Erfahrung machen Laura und Elias, die sich irgendwann jeweils alleine im polnischen Niemandsland wiederfinden und der Willkür von Schleusern und Milizen ausgeliefert sind.
Was man als Deutscher sonst nur aus Filmen oder Reportagen über arabische oder afrikanische Flüchtlinge kennt, geschieht hier nun in einem interessanten Perspektivwechsel weißen DänInnen, die froh sein können, eine Schwarzarbeit als Kellnerin in Bukarest oder Reinigungskraft in Paris zu bekommen. Vinterberg und sein Koautor Bo Hr. Hansen zeigen einfühlsam, welche Folgen Flucht für die Psyche und die Beziehungen der Betroffenen hat. In Zeiten wie diesen, in denen Spitzenpolitiker davon träumen, alle Grenzen für „irreguläre“ Migranten zu schließen und Geflüchtete von vielen generell nur noch als Problem angesehen werden, ist diese menschliche Perspektive wichtiger denn je. Es sind eben keine gesichtslosen „Massen“ oder „Wellen“, die hier in die Nachbarländer „strömen“, sondern Menschen wie du und ich mit Familien, Hoffnungen, Plänen und Ängsten.
Flucht zu Fuß mit Schlitten: Elias sagt Dänemark für immer Lebwohl Zentropa Entertainments/StudioCanal/CANAL+/TV 2/ARD Degeto Film/Per Arnesen
Vinterberg inszeniert diese verschiedenen, miteinander mal enger, mal loser verbundenen Schicksale schnörkellos und unspektakulär, wie es vom Mitbegründer der Dogma-Bewegung nicht anders zu erwarten war. Dabei kommen ihm vor allem seine in realistischen Dramen erfahrenen DarstellerInnen zugute, mit denen er meist schon vorher zusammengearbeitet hat, etwa mit Kaas in „Die Idioten“ oder mit Steen in „Das Fest“, wie auch mit Thomas Bo Larsen, der hier Fannys Bruder aus der Arbeiterschicht spielt. Aber auch die Newcomer August und Lindhardt, hier als zentrales junges Liebespaar, überzeugen durch ihre einfühlsame Darstellung.
Weniger gelungen sind die teils doch arg konstruierten Figurenkonstellationen und die ständigen Planänderungen Lauras, die erst nach Paris übersiedeln will, dann nach Bukarest, dann wieder nach Paris und dann …Sie ahnen es. So bringt sie sich durch ihre Entschlüsse in letzter Minute eigentlich eher selbst in missliche Lagen, als es die äußeren Umstände tun, was die Aussage der Serie etwas verwässert. Auch andere Protagonisten schwanken manchmal recht unglaubwürdig zwischen übertriebener Gelassenheit im Auge des Orkans und plötzlichen (zu) heftigen Reaktionen. Dazu kommt noch ein leichtes übersinnliches Element, das überhaupt nicht zum sonst realistischen Tonfall passt.
Die Idylle dauert nicht mehr lange: Henrik (Magnus Millang) und Nikolaj (Esben Smed) Zentropa Entertainments/StudioCanal/CANAL+/TV 2/ARD Degeto Film/Per Arnesen
Über diese kleinen Unebenheiten im Drehbuch kann man aber hinwegsehen, da es sich insgesamt um eine interessant erzählte und gut gespielte Dramaserie mit wichtigem aktuellen Thema handelt. Größere Action ist hier allerdings nicht zu erwarten. Eindrücklich sind am Ende die Bilder des durchfluteten Kopenhagens, die von historischen Aufnahmen, unter anderem der Siegesfeiern nach dem Weltkrieg unterbrochen werden. Auch unser Wohlstand ist nicht für alle Zeiten gesichert.
Dieser Text basiert auf der Sichtung der kompletten Miniserie „Families Like Ours“.
Meine Wertung: 3,5/5
Die siebenteilige Miniserie ist ab Freitag, den 21. Februar in der ARD Mediathek verfügbar. Am gleichen Abend laufen die ersten vier Episoden ab 23:10 Uhr im Ersten, die letzten drei folgen am 22. Februar ab 23:40 Uhr.
Über den Autor
Marcus Kirzynowski ist Düsseldorfer Journalist und Serienfreund; wuchs mit „Ein Colt für alle Fälle“, „Dallas“ und „L.A. Law“ auf; Traumarbeitgeber: Fisher & Sons, County General Notaufnahme; die Jobs auf dem Battlestar Galactica und im West Wing wären ihm hingegen zu stressig; Wunschwohnort: Cicely, Alaska. Schreibt über amerikanische und europäische TV-Serien sowie andere Kultur- und Medienthemen, u.a. für fernsehserien.de und sein eigenes Online-Magazin Fortsetzung.tv.