„Eine Billion Dollar“: Wenn Rosamunde Pilcher Dan Brown adaptiert hätte – Review

Paramounts Andreas-Eschbach-Adaption enttäuscht erzählerisch und inszenatorisch

Marcus Kirzynowski
Rezension von Marcus Kirzynowski – 22.11.2023, 17:30 Uhr

Der Cast von „Eine Billion Dollar“ – Bild: Paramount+
Der Cast von „Eine Billion Dollar“

Irgendwann wird Giovanni ‚John‘ Fontanelli durch die Straßen irren, während um ihn herum die zivilisierte Welt zusammenbricht: bürgerkriegsähnliche Zustände, brennende Häuser, das ganze bekannte Pipapo. Dieses Chaos wird er selbst ausgelöst haben – unabsichtlich, denn eigentlich wollte er doch nur Gutes tun. Aber es ist eben gar nicht einfach herauszufinden, was das „Gute“ ist, wenn man über Nacht überraschend zum reichsten Menschen der Welt geworden ist.

Die Grundidee der deutschen Miniserie „Eine Billion Dollar“ nach dem gleichnamigen Roman von Andreas Eschbach ist faszinierend: Ein Durchschnittstyp erfährt, dass er der Alleinerbe des größten existierenden Vermögens ist. Von einem Tag auf den anderen lastet auf ihm die unerträgliche Verantwortung, es zum Wohle der Menschheit einzusetzen. Leider nutzen die Drehbuchautoren Stefan Holtz und Florian Iwersen („Die Ibiza Affäre“) das erzählerische Potential dieser Idee kaum und setzen mehr auf billige Action-Effekte und ein soapiges Ambiente. So fühlt sich die Produktion für Paramount+ eher wie eine deutsch-italienische Version des „Denver-Clans“ an.

Wenn wir John Fontanelli (Philip Froissant, Kaiser Franz Joseph in „Die Kaiserin“) kennenlernen, ist er Fahrradkurier in Berlin. Alleine diese ersten Szenen, die ihn als Figur einführen, versammeln so ziemlich alle Hauptstadt-Klischees der vergangenen Jahrzehnte: John ist jung, dynamisch, sorglos, brettert ohne Rücksicht auf Verkehrsregeln durch Mitte und auch problemlos Treppen runter, seine Freizeit verbringt er mit Partys, Komasaufen und One-Night-Stands. Eines Tages steht ein Anwalt vor seiner Wohnungstür, nachdem John sich mühsam seinen Weg durch leere Flaschen und Schnapsleichen gebahnt hat. Der Beauftragte verlangt eine DNA-Probe und eine Unterschrift, John sei ein potentieller Erbe. Ein paar Tausend Euro gibt es als Aufwandsentschädigung bar auf die Hand. Was dann folgen soll, kann sich John noch nicht ansatzweise ausmalen.

Vom oberflächlichen Hedonisten zum Weltenretter: John Fontanelli Paramount+

Als die Verwandtschaft durchs Labor bestätigt ist, geht es für John sofort nach Italien. Die Familie Vacchi verwaltet dort seit 500 Jahren ein Vermögen und hatte den Auftrag, zu einem exakten Zeitpunkt den dann jüngsten volljährigen Nachkommen des Erblassers zu ermitteln. Der Zeitpunkt ist jetzt gekommen und da man im Italien des 17. Jahrhunderts erst mit 25 volljährig wurde, ist John der Alleinerbe – allerdings nur, weil jemand, der in der Erbfolge vor ihm stand, bereits endgültig aus dem Weg geschafft wurde. Bei der Erbschaft handelt es sich um die titelgebende Billion Dollar – also tausend Milliarden. Mit der unvorstellbaren Summe ist die Prophezeiung verbunden, der Erbe solle sie nutzen, um die Welt zu retten.

Sobald John und damit die Handlung in Italien angekommen sind, kippt die Serie endgültig in Richtung „Dan Brown für Arme“. Die Vacchis residieren in fensterlosen, aber luxuriös eingerichteten Katakomben und haben dort neben uralten Pergamenten auch riesige Bildschirme, auf denen aus weltweiten entfernten Verwandtschaftsverhältnissen Johns Daten inklusive Foto herausdestilliert werden wie ein Gendefekt aus einer DNA-Sequenz. Patriarch Cristoforo Vacchi (Orso Maria Guerrini) wirkt wie der Pate persönlich und spricht gebrochen Englisch mit starkem Akzent wie auch alle anderen männlichen Familienmitglieder und Mitarbeiter (obwohl etwa Erdal Yıldız Deutschtürke ist und sich den italienischen Pseudoakzent wohl erst antrainieren musste). Zum Glück hat wenigstens Enkelin Franca (Alessandra Mastronardi) gutes Englisch gelernt. Auch sonst scheint sie die Einzige zu sein, deren Handeln nicht komplett von Eigeninteressen und einem Überschuss Testosteron bestimmt wird.

Ungleiche Partnerschaft: Franca Vacchi (Alessandra Mastronardi, l.) wird zu Johns Vertrauter. Paramount+

Natürlich weiß John erstmal nichts mit dem Geld anzufangen außer noch mehr Partys und noch mehr One-Night-Stands. Und natürlich lebt er ab sofort gefährlich, denn er hat Italien noch nicht verlassen, da trachten ihm schon die Ersten nach dem Leben. Natürlich kann er sich auch vor eigenen LeibwächterInnen nicht sicher fühlen und ohnehin ist im Grunde alles ganz schlimm. Die Verantwortung halt, die auf den Schultern eines armen Multimilliardärs lastet – Bill Gates kann wahrscheinlich ein Klagelied davon singen. Aber John verliert nicht seinen Mut und seinen Optimismus, denn er ist ja schließlich ein Sunnyboy. So spielt ihn auch der Hauptdarsteller: mit glattem Äußeren und ungefähr eineinhalb Gesichtsausdrücken.

Von den im Trailer geteaserten großen Themen und wirtschaftsphilosophischen Fragen ist zumindest in den beiden Auftaktfolgen nur sehr wenig zu sehen. Etwa, wenn John erste Überlegungen anstellt, wie er nun sein Erbe einsetzen könnte, um den Hunger in der Welt zu stoppen. Wenn 800 Millionen Menschen täglich hungern, wäre ihnen auch nicht dauerhaft geholfen, wenn er die Billion einfach unter ihnen aufteilen würde – dann bekäme jeder nur etwas mehr als 1000 Dollar.

Wer jedoch nach Trailer und Vorspann, in dem neben dem von US-Geldscheinen bekannten Freimaurersymbol mit dem Auge und der Pyramide auch Ronald Reagan mit einer finanzpolitischen Rede auftaucht, kapitalismuskritische Überlegungen erwartet hat, wird angesichts der Oberflächlichkeit der Handlung schnell ernüchtert. Wenn John mal versucht, sich in ökonomische Themen einzulesen (mit Unmengen von ausgebreitetem Papier statt etwa digital!), landet nach 30 Sekunden ein Hubschrauber, weht die Unterlagen durcheinander und es kann wieder die nächste Partysequenz starten.

John weiß nichts Rechtes mit seinem neuen Reichtum anzufangen. Paramount+

So wirkt die ganze Produktion schon nach kurzer Laufzeit wie eine budgettechnisch aufgeblasene Version eines Rosamunde-Pilcher-Fernsehfilms oder einer beliebigen deutschen Vorabendserie von ARD oder ZDF. Gerade ein international agierender Streamingdienst wie Paramount+ könnte seine Mittel doch besser einsetzen, um Geschichten zu inszenieren, die sich von diesem Einerlei abheben. Stattdessen bekommen wir hier wie aus einem PR-Film entnommene Totalen von italienischen Städten und Landschaften, hölzerne Dialoge, vorhersehbare Wendungen, unzureichend charakterisierte Figuren und schwache schauspielerische Leistungen. Wenn doch wenigstens Tom Hanks mal um die Ecke käme, um das Ganze auf mittleres Dan-Brown-Niveau zu heben.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten beiden Episoden von „Eine Billion Dollar“.

Meine Wertung: 2,5/​5

Die sechs Folgen der Miniserie stehen ab Donnerstag, den 23. November auf Paramount+ zum Abruf bereit.

Über den Autor

Marcus Kirzynowski ist Düsseldorfer Journalist und Serienfreund; wuchs mit „Ein Colt für alle Fälle“, „Dallas“ und „L.A. Law“ auf; Traumarbeitgeber: Fisher & Sons, County General Notaufnahme; die Jobs auf dem Battlestar Galactica und im West Wing wären ihm hingegen zu stressig; Wunschwohnort: Cicely, Alaska. Schreibt über amerikanische und europäische TV-Serien sowie andere Kultur- und Medienthemen, u.a. für fernsehserien.de und sein eigenes Online-Magazin Fortsetzung.tv.

Lieblingsserien: Six Feet Under, Emergency Room, The West Wing

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • (geb. 1976) am

    Nach dem Trailer hatte ich damit gerechnet. Der doch recht gute Roman (wenn auch mit ein paar Längen und inhaltlich nicht immer unangreifbar) wird wie so oft in ein Deppenformat gepresst. Schon die "Anpassungen" bei den Vacchis sind so unnötig wie hanebüchen und widersprechen dem Buch diametral.
    • (geb. 1959) am

      Ich kene das Buch und hätte mir gewünscht es nie zu lesen aber so langsam verblassen die erinnerungen und ich mag nicht das der Protagonist, am schluss germordet wird, und sein mörder ihm sagt das es hätte so kommen müssen,  was für ein langweilliger Müll

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