Legion – Review

„Fargo“-Schöpfer Noah Hawley überzeugt mit Inszenierung einer charakterzentrierten Superheldenserie – von Marcus Kirzynowski

Marcus Kirzynowski
Rezension von Marcus Kirzynowski – 09.02.2017, 11:00 Uhr

David (Dan Stevens) und Syd (Rachel Keller) in „Legion“

Nicht nur im Kino sind Adaptionen von Superheldencomics weiterhin ein Erfolgsgarant. Auch im Serienbereich bauen das CW-Network und der Streamingdienst Netflix ihre Versionen des DC- respektive des Marvel-Universums weiter aus. Dabei setzt The CW auf bekannte Helden wie „Flash“ und „Supergirl“, während Netflix eher Figuren aus der zweiten und dritten Reihe der Marvel-Comics wie „Jessica Jones“ und „Luke Cage“ zu eigenen Serienehren verhilft. Inhaltlich und stilistisch ähneln sich die Serien auf beiden Seiten untereinander jeweils stark – es ist letztlich immer mehr vom immer Gleichen. Eine Serie, wie sie Kabelsender FX jetzt mit Legion vorlegt, ist da ein echter Lichtblick.

Formal spielt auch diese Serie im Marvel-Universum, genauer gesagt im X-Men-Umfeld. Erzählerisch und künstlerisch hat sie aber kaum etwas mit den anderen Marvel-Serien gemein. Die Hauptfigur, die in den Comics den Heldennamen Legion trägt, ist David Heller (Dan Stevens) und in der TV-Fassung alles andere als ein strahlender Held. Der junge Mann wurde schon als Kind als schizophren diagnostiziert und ist zu Beginn Patient in einer psychiatrischen Klinik. Früher behauptete er, telekinetische Fähigkeiten zu haben, also Gegenstände nur durch seine Gedanken beeinflussen zu können – was er inzwischen aber abstreitet. Sein Leben ändert sich rapide, als auf seiner Station eine neue Patientin ankommt: Die Begegnung mit der wunderschönen Syd Barrett (großartig: die schon aus „Fargo“ bekannte Rachel Keller) ist Liebe auf den ersten Blick: Als Zuschauer hört man fast den Blitz einschlagen. Auch Syd zeigt David ihre Sympathie, besteht aber darauf, nicht berührt werden zu wollen. David hält sich in dieser Hinsicht auch lange zurück – bis Syd entlassen werden soll. Dann kann er es sich jedoch nicht länger verkneifen, seine Angebetete zu küssen, was fatale Folgen für ihre Umgebung hat, denn auch Syd verfügt über eine merkwürdige Fähigkeit: den Körperwechsel. Die nun Entlassene ist in Wahrheit David im Körper der jungen Frau. Als die Rückverwandlung einsetzt, ist er schon längst auf der Flucht.

Nicht nur wegen des Themas kann man die Serie am besten mit einem Wort zusammenfassen: abgefahren. So verrückt wie die Fähigkeiten der Helden sind auch die Erzählweise und Inszenierung. Statt einer geradlinigen Handlung entwirft Serienschöpfer Noah Hawley eine vor und zurück springende Geschichte, bei der zudem oft nicht klar ist, ob das Gezeigte der Realität entspricht oder nur der inneren Perspektive des Protagonisten. Da wandern Figuren gemeinsam durch Davids visualisierte Erinnerungen, als wären sie auf dem Holodeck der Enterprise, beobachten Erinnerungen innerhalb von Erinnerungen und taucht immer wieder ein alptraumhaftes Wesen auf, das scheinbar nur David sehen kann. Wenn er alleine ist, erscheint ihm regelmäßig eine gute Freundin (Aubrey Plaza), die eigentlich schon tot ist, um ihm Ratschläge zu geben. Was Symptom seiner angeblichen psychischen Krankheit ist, was Ausdruck seiner „Gabe“ und ob David überhaupt im klinischen Sinn schizophren ist, wird immer wieder in Frage gestellt.

Syd (Rachel Keller) in „Legion“

Stilistisch wirkt insbesondere der gut einstündige Pilot, den Hawley nicht nur geschrieben, sondern auch selbst inszeniert hat, eher wie ein innovativer Indiefilm als wie ein herkömmlicher Serienauftakt. Er selbst nennt David Lynch als Referenz für seine Herangehensweise. Neben schnellen Montagen und schrillen Farben gibt es auch schon mal eine perfekt choreographierte Tanzsequenz im Irrenhaus. Dazu einen Soundtrack, auf dem sich ein eher obskures Stück der Rolling Stones („She’s a Rainbow“ aus ihrer psychedelischen Phase, als Quasi-Themesong für Syd) mit französischen Chansons abwechselt. Wie schon bei seiner gefeierten „Fargo“-Serienadaption zeigt Hawley zudem eine große Liebe für skurrile Details, etwa eine Drogen-Inhalationshilfe in Form eines riesigen Froschs. Vor allem zeichnet den Piloten aber aus, dass man als Zuschauer nie damit rechnen kann, was als Nächstes passieren wird.

So springen Handlung und Stimmung ständig zwischen verschiedenen Genres hin und her: vom Psychothriller zur Liebesgeschichte zum Agenten-Verschwörungsdrama und zurück. Den eigentlichen Rahmen der Serie etabliert der Pilot erst ganz zum Schluss, wenn mal eben noch vier Hauptfiguren auf einen Schlag eingeführt werden: eine Gruppe von Mutanten, die David unter ihre Fittiche nimmt, und die in einer abgelegenen Anlage im Wald lebt. Als deren Chefin fungiert die Psychotherapeutin Melanie Bird (Jean Smart, emmynominiert für ihre Rolle als Matriarchin eines Gangsterclans in der zweiten „Fargo“-Staffel), eine Art weibliches Pendant zu Patrick Stewarts Professor Xavier in den „X-Men“-Filmen. Gemeinsam mit dem Gedächtniskünstler Ptonomy Wallace (Jeremie Harris) versucht sie, Davids Psyche zu ergründen und ihm zu helfen, seine Kräfte zu kanalisieren.

Anders als die meisten anderen Superhelden-Adaptionen in Kino und Fernsehen ist „Legion“ eher charakterzentriert. Im Mittelpunkt stehen zwei Figuren, deren übernatürliche Fähigkeiten mehr Fluch als Segen sind, da sie sie nicht kontrollieren können. Wie der Hulk ist David hilflos seinen Kräften ausgeliefert, die bei ihm aber psychischer Natur sind. Seine große Liebe ist dadurch gestraft, ihren Freund nie körperlich berühren zu dürfen. Dieses tragische Element, das gleichermaßen an die Figurenkonstellationen in „Pushing Daisies“ wie in „Dark Angel“ erinnert, spielt die Serie schon in den ersten Folgen auf emotional packende Weise aus. Bei dem interessanten Gedankenexperiment des Körpertauschs kommt aber auch der Humor nicht zu kurz, wenn sich das Paar über seine jeweiligen Erfahrungen im Körper des/​der Anderen austauscht.

Auch wenn die Folgen 2 und 3 das hohe Niveau nicht ganz halten können, das Hawley mit dem Piloten vorgelegt hat, ist „Legion“ ein wilder Trip, der einfach Spaß macht. Mit der Comicvorlage hat die Serie bislang wohl nicht allzu viel gemeinsam, was eingeschworene Marvel-Fans vielleicht als Etikettenschwindel empfinden mögen. Allen, die mit den herkömmlichen Serien über dunkle Rächer und knallbunte Helden in Latexkostümen nicht viel anfangen können und einfach eine originelle Serie mit interessanten Figuren und ungewöhnlichem Stil suchen, sei sie aber wärmstens empfohlen.

Dieser Text basiert auf Sichtung der ersten drei Episoden der Serie.

Meine Wertung: 4/​5

Marcus Kirzynowski
© Alle Bilder: FX Networks

Über den Autor

Marcus Kirzynowski ist Düsseldorfer Journalist und Serienfreund; wuchs mit „Ein Colt für alle Fälle“, „Dallas“ und „L.A. Law“ auf; Traumarbeitgeber: Fisher & Sons, County General Notaufnahme; die Jobs auf dem Battlestar Galactica und im West Wing wären ihm hingegen zu stressig; Wunschwohnort: Cicely, Alaska. Schreibt über amerikanische und europäische TV-Serien sowie andere Kultur- und Medienthemen, u.a. für fernsehserien.de und sein eigenes Online-Magazin Fortsetzung.tv.

Lieblingsserien: Six Feet Under, Emergency Room, The West Wing

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