BBC streicht Maulkorb-Erlass nach Missbrauchsskandalen

Konsequenzen aus den Vorgängen um Jimmy Savile und Stuart Hall

Stefan Genrich
Stefan Genrich – 03.05.2013, 18:12 Uhr

Stuart Hall – Bild: en.wikipedia/GFDL/Seiferluke
Stuart Hall

Langsam ändert die BBC ihre hausinterne Stillhaltepolitik nach den Aufsehen erregenden Missbrauchsskandalen und kündigt an, dass Respekt und angemessenes Verhalten die Angestellten und Freiberufler bei ihrer Arbeit für den Sender stärker leiten sollen und anderseits die bislang üblichen Schweigevereinbarungen in Arbeits- und Honorarverträgen entfallen werden. Unerwartet trifft diese Entscheidung mit einer aktuellen Entwicklung zusammen: Der einst beliebte Sportkommentator und Präsentator von „Spiel ohne Grenzen“ für das Vereinigte Königreich, Stuart Hall, hat vor Gericht zugegeben, zwischen Mitte der 1960er und 1980er Jahre 13 junge Mädchen sexuell bedrängt zu haben. Er wurde Anfang Dezember 2012 verhaftet, nachdem die Öffentlichkeit schockiert auf Enthüllungen reagiert hatte, denen zufolge der 2011 verstorbene Fernsehstar Jimmy Savile in mindestens 400 Fällen Kinder sexuell missbraucht haben soll.

Die BBC bemüht sich nun im eigenen Hause weiter um Aufklärung und informiert die Medien und ihr Publikum unaufgefordert. So gibt sie gleich mehrere Pressemitteilungen zur Entwicklung der Missbrauchsskandale heraus und zitiert – sich von ihrem früheren Star absetzend – etwa den Hauptankläger der Krone für den Nordwesten: Nazir Afzal beschreibt Stuart Hall in den BBC-Verlautbarungen schlicht als „opportunistisches Raubtier“ und fügt hinzu, dass dieser „sowohl in der Öffentlichkeit als auch im Privatleben zuerst unter freundlichen Vortäuschungen näher rücken würde, um dann den rechten Augenblick abzuwarten, bis das Opfer isoliert war“. Der Sender will also nichts mehr mit Stuart Hall zu tun haben und erklärt deshalb: „Bei uns bekommt er keinen Job mehr!“

Die BBC rettet ihre eigene Haut durch eine enge Kopoperation mit der Polizei, Sympathiebekundungen für gestresste Zeugen und eine professionelle Berichterstattung – was nicht immer der Fall bei den Missbrauchsskandalen gewesen ist, in die Prominente aus dem eigenen Haus verstrickt sind: Der ehemalige Generaldirektor Mark Thompson steht nach wie vor in der Kritik, dass Führungskräfte nach Jimmy Saviles Tod einen kritischen Beitrag über die weit reichenden Vorwürfe gegen diesen im BBC-Magazin „Newsnight“ im Herbst 2011 verhindert hätten (fernsehserien.de berichtete). Sein Nachfolger George Entwistle stolperte nach nur zwei Monaten Ende 2012 nicht nur ebenfalls über diese Panne, sondern auch über einen weiteren TV-Eklat: „Newsroom“ hatte einen Ex-Politiker mit unhaltbaren Argumenten des Kindesmissbrauchs bezichtigt.

Trotz schlimmer Vorfälle herrschte bis vor einigen Monaten im renommierten Sender schon traditionell ein Gentleman’s Agreement, über moralisch fragwürdige Vorfälle wie sexuelle Belästigung nach Möglichkeit hinwegzusehen. Wann begriff die BBC, dass Prominente unter ihrer Flagge durch Bedrängung oder sogar Missbrauch irgendwann die Grenze zur Straftat überschritten? Opfer sexueller Belästigung im Sender fanden nicht zuletzt dadurch wenig Gehör, dass sämtliche Mitarbeiter eine auch sonst übliche Klausel in ihren Verträgen unterschrieben hatten, über interne Vorgänge zu schweigen. Dieser generelle Maulkorberlass soll fallen, verkündet die BBC. Schließlich sei diese Regel im Rückblick keinesfalls eingeführt worden, um den offenen Austausch von Erfahrungen zu verhindern, heißt es in einer Pressemitteilung. Künftig werde die BBC nur noch zweckdienliche Vertrauensvereinbarungen nutzen.

Gleichzeitig werde die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt ihre „Politik zu Mobbing und Belästigungen in Übereinstimmung mit den Gewerkschaften überholen“, stellt die BBC Konsequenzen aus den fürchterlichen Ereignissen in Aussicht, die wiederum längst nicht am Ende angekommen sind: Die Staatsanwaltschaft ermittelt weiter in diesem Sumpf gegen durch die BBC zu Ruhm gelangte Prominente wie den 70-jährigen Komiker Freddie Starr, der vor wenigen Tagen zum zweiten Mal verhaftet worden ist. Während der weiteren Untersuchung auf Kaution frei ist Radio- und TV-Moderator Dave Lee Travis, der in Deutschland zwischen 1967 und 1969 zusammen mit Uschi Nerke den legendären „Beat-Club“ präsentierte.

Stuart Hall räumte seine Schuld vor Gericht vor einigen Tagen ein und ist gegen Kaution wieder auf freiem Fuße, bevor er am 17. Juni seine Strafe erfährt. Der heute 83-Jährige kann den Sturz in die Tiefe nicht durch seine ehemalige Popularität abbremsen. In besseren Zeiten rückte der Radiomoderator ins Rampenlicht des Fernsehens. National bekannt wurde er seit 1972 als Gastgeber für die nationalen Vorentscheidungen „It’s a Knockout“ zu dem europäischen Renner „Spiel ohne Grenzen“, die er wiederum exklusiv für das britische TV-Publikum kommentierte. In den frühen Siebzigern kamen die Fußball-Show „Quiz Ball“ und später weitere Erfolgsformate hinzu. Bis zu seiner Verhaftung blieb er zumindest im Radio mit Fußballreportagen im Geschäft, und die Queen hatte ihn im gleichen Jahr mit dem hohen ‚Order of the British Empire‘ ausgezeichnet.

Kommentare zu dieser Newsmeldung

    weitere Meldungen