Staffel 1, Folge 1–3

Staffel 1 von „Meine Kindheit  …“ startete am 08.01.2010 im WDR.
  • Staffel 1, Folge 1 (45 Min.)
    Meine Kindheit im Ruhrgebiet: Die Geschichten aus einer vitalen Region, die oft genug vom Schicksal gebeutelt wurde. Von ihren Kindertagen erzählen Menschen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Die aber alle eins gemeinsam haben – ihre Liebe zum Revier.
    „Wer damals nach dem Krieg einen Fußball hatte, der hatte 20 Freunde. Heute haben 20 Jungens jeder einen Fußball, aber keinen hat einen Freund.“ So zumindest sieht es Siegfried Börger, der 1938 in Bochum geboren wurde. In der Not spielte er damals auch mit einer Blechdose auf der Straße. Spielzeug war lange Mangelware, das war auch noch in den 1950er Jahren so.
    Siegfried war noch klein, als im November 1944 die Bomben der Alliierten fielen und Bochum in Schutt und Asche legten. Er kann sich noch heute gut an die angstvollen Stunden im Bunker erinnern: „Aber der Bunker, der war stabil und mit Nischen für die Familien ausgebaut, den hatten Bergleute gebaut, die verstehen was von Bunkern“, sagt Börger heute und blickt dabei auch mit einem gewissen Stolz in die Kamera.
    Zum Glück kam sein Vater noch im Jahr 1945 aus französischer Gefangenschaft zurück. Und dann ging gleich der Wiederaufbau los. Die Väter nahmen Schüppe und Spitzhacke in die Hand, die Mütter versuchten, aus Kartoffelschalen und Schweineschwarte eine Suppe zu zaubern. Wenn die Eltern nicht aufpassten, dann spielte Siegfried Börger mit den Kumpels in Bombertrichtern oder hantierte mit zurückgelassener Weltkriegsmunition: „Zum Glück bin ich noch am Leben, andere sind dabei in die Luft geflogen.“
    Erinnern sich die Menschen aus dem Revier an diese Zeit, dann erzählen sie auch von Zusammenhalt und Solidarität. Siegfried Börger berichtet von seiner Schulfreundin, einer Bauerntochter. War er zu Besuch auf dem Hof in der Nachbarschaft, dann bekam er auch schon mal einen Löffel in die Hand gedrückt und durfte mitessen, wenn die Pfanne mit Bratkartoffeln auf den Tisch kam. „Da war richtig was drin“, bestätigt auch Börgers Freund Willi Reiz mit leuchtenden Augen. Bewegt erzählen beide aus ihren Leben, und wenn die Erinnerungen einmal Streiche spielen, dann wird vor laufender Kamera auch herzhaft gestritten.
    Eine etwas andere Kindheit erlebte Dieter Ebel, der 1957 in Duisburg geboren wurde. Er kennt die Nachkriegszeit nur aus den Erzählungen der Eltern. Für ihn war das Behelfsheim, in dem er aufwuchs, der schönste Platz auf Erden. Außer wenn die Mutter am samstäglichen Badetag in der Küche zwei Stühle zusammen schob und die große Zinkwanne darauf abstellte. Hatte der kleine Dieter Glück, dann durfte er als erster in die Wanne. Hatte er aber Pech, dann durfte er erst nach seiner Schwester ins selbe Wasser steigen.
    Der Bochumer Schauspieler Ralf Richter, Jahrgang 1960, wuchs mit sieben Geschwistern auf. Gemeinsam terrorisierten sie nach Kräften den Vater, einen erfolgreichen Architekten des Wiederaufbaus, berichtet er. Die arme Mutter konnte sich kaum gegen die „Richter-Bande“ wehren. Nur sonntags, wenn einmal alle Kinder zu fassen waren, gab es eine Standpauke. Ralf Richter machte später eine Schreinerlehre, dachte dabei aber eher an das Herstellen von Haschpfeifen als an Fensterbau – durchgehalten hat er trotzdem. Die Schauspielerei und wilde Nächte in Bochums legendärer Szenekneipe „Der Punkt“ folgten.
    In den 1970er Jahren wurden aber nicht nur Ralf Richters Haare länger, auch Dieter Ebels erzählt von dem Ärger, den er hatte, als sein Chef im Postamt von ihm verlangte, die schulterlangen Haare abzuschneiden. „Aber auf die Matte sind die Mädchen damals voll abgefahren, und außerdem hatten meine Helden von Led Zeppelin auch ’ne Mähne, abschneiden kam nicht in die Tüte!“ (Text: WDR)
    Deutsche TV-PremiereFr 08.01.2010WDR
  • Staffel 1, Folge 2 (45 Min.)
    „Lommer jonn“, beginnt Ulla Hahn ihren Roman „Das verlorene Wort“. Es ist die Aufforderung des Großvaters, hinunter an den Rhein zu gehen, zu träumen, zu phantasieren. Das ist das „Rhein-Gefühl“, das bleibt.
    Für die Menschen vom Rhein ist der Strom ein Teil des Lebens. Wer hier groß wird, vergisst den Fluss nie: die flirrende Luft im Sommer und die leichte Brise, die dennoch über die Ufer weht. Die immer währende Bewegung des Wassers, die Gerüche, der Sand, die Kiesel – die Weite des Blickes. Aber auch die Gefahren des Stroms sind stets gegenwärtig. Der Fluss verändert sich und bleibt doch immer derselbe. Wie die Menschen, die dort leben.
    Die Schriftstellerin Ulla Hahn wächst im Städtchen Monheim zwischen Köln und Düsseldorf auf. „Der Rhein war immer mein Sehnsuchtsstrom“, schwärmt sie. Ihre Kindheit und Jugend hat sie in zwei großen erfolgreichen Romanen erzählt. Es ist eine Kindheit, in der der Fluss, die Weiden, die Pappeln und die idyllischen Auen eine zentrale Rolle spielen. Sie geben dem Mädchen den Raum, der Enge des Elternhauses zu entfliehen.
    Der heute 73-jährige Werner Monschau aus Königswinter erinnert sich an seine ersten Schwimmübungen, in einer Zeit, als es mit der Wasserqualität des Rheins nicht gerade zum Besten stand: „Es gab eine Stelle, wo es seicht war. Da habe ich meine ersten Schwimmzüge gemacht. Da mündete so ein Kanal in den Rhein, und damals gab es noch keine Kläranlagen. Da schwamm so allerlei herum. Aber wir haben uns nicht daran gestört.“
    „Wenn mein Vater uns am Rheinufer Karl-May-Bücher vorlas, dann wurde der Rhein zum Mississippi. Manchmal war er auch die Wolga oder der Don. Der Rhein ist Kulisse. Was Schöneres gibt es ja gar nicht“, schwärmt Rolly Brings. Rolly entstammt dem linken kölschen Proletarier-Milieu. In den 50er Jahren zieht sein Vater mit ihm und seinem Bruder regelmäßig zum Zelten ans Kölner Rheinufer. Hier spielen die Kinder am Wasser, die Eltern erzählen, machen Musik. Aus Rolly Brings wird nach seinen Jahren auf See ein Arbeiter am Ford-Fließband, dann ein Lehrer. Aber immer ist er auch Sänger und Mundartdichter, für den der Rhein so etwas wie das Leitmotiv seines Lebens ist.
    „Wir hatten die schnellste Flussfähre Europas – da waren wir stolz. Das war doch was!“ Bei der Schiffstaufe im Jahr 1962 steht der kleine Wilfried Schmickler ganz vorne in der ersten Reihe. Er ist acht Jahre und das Örtchen Hitdorf am Rhein – heute ein Ortsteil von Leverkusen – ist seine Welt. Der Hafen, das Sägewerk, die Kirche und ein Stück stromauf das Bayerwerk. Darum kreist das Leben in Hitdorf. Da ist der Rhein das Tor zur Welt.
    Anfang der 1970er Jahre stehen Peter und Stephan Brings aufgeregt am Bootsteg des Wassersportklubs „Blau-Weiß Köln“ in Rodenkirchen. Es ist ihre erste Trainingsstunde und es geht direkt mit dem Kajak auf den Rhein. Die Aufgabe: mit dem Paddelboot einmal den riesigen Brückenpfeiler der Autobahnbrücke umrunden. Für Jahre wird der Rhein zum Revier der Brings-Brüder. Sie paddeln mitten auf dem Strom, wo die Wellen so hoch sind, dass die Kajaks in den Tälern verschwinden. „Für uns war das Paddeln auf dem Rhein ein Riesen-Abenteuer. Man wird von den Wellen gegen die Brückenpfeiler gedrückt, da bekommt man fürchterlich Angst. Da spürt man, was der Rhein für eine Kraft hat“, erinnert sich Stephan Brings. Noch heute zieht es die erfolgreichen Kölschrocker immer wieder an den Fluss. (Text: WDR)
    Deutsche TV-PremiereFr 15.01.2010WDR
  • Staffel 1, Folge 3 (45 Min.)
    Im deutsch-niederländischen Grenzgebiet erlebte man als Kind die wechselhafte deutsche Geschichte alles in allem ein wenig anders, vielleicht sogar intensiver als im Rest der Republik. Heute, fünfzig Jahre nach Kriegsende, stehen an den ehemaligen Grenzen nur noch die Reste von Wechselstuben und verwitterten Zollhäuschen.
    Im Unterröckchen schmuggelte die ehemalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt ein Viertelpfund Kaffee über die deutsch-niederländische Grenze.
    Familie Schmidt wohnte in Aachen an der Vaalserstraße unweit des Grenzübergangs, und jede Woche ging Ulla mit ihrer Großmutter „auf die andere Seite“ zum Einkaufen auf dem Vaalser Markt. Der Hinweg wurde zu Fuß bestritten, der Rückweg erfolgte aufgrund der zusätzlichen „Belastung“ mit dem Bus.
    Wer im Grenzgebiet aufwuchs, kam in den 1950er und 60er Jahren unweigerlich mit Schmuggel in Berührung. Ob Kaffee, Butter, Zigaretten oder Petroleum – kaum ein Kind, das nicht mithalf, den Lebensstandard auf der „anderen“ Seite ein wenig zu heben. Vor allem in den Nachkriegsjahren, als die Mütter die Kaffeebohnen dreimal brühten und es montags und dienstags Resteessen gab.
    Auch die legalen Genüsse wie „fluffiges“ Weißbrot, Pommes Frites in der Tüte und Aniszucker gehören zu den Kinderträumen vieler Grenzbewohner. Noch heute schwärmt der Ex-Fußballnationalspieler Rainer Bonhof, aufgewachsen in Emmerich am Rhein, von der Schokoladenbutter, die seine Tante aus den Niederlanden mitbrachte. Ein „Festtag“ für die ganze Familie. Rainer Bonhof war übrigens der erste deutsche Nationalspieler, der eingebürgert wurde. Denn ursprünglich besaß er – seine Eltern waren Niederländer – einen niederländischen Pass. Den deutschen bekam er, nachdem er für Deutschland in der Jugendnationalmannschaft gegen Holland gespielt und das 1:0 geschossen hatte. „Rainer“, so hieß es damals, „auf dich werden wir in Zukunft nicht mehr verzichten können.“
    Nirgendwo anders kristallisieren sich die Unterschiede zwischen den Nachbarn noch heute so klar wie im Fußball. Franz van der Grinten, Jahrgang 1967, erinnert sich an das Endspiel der Fußballweltmeisterschaft 1974: Deutschland gegen Holland. Der Jubel im elterlichen Garten war groß, einen Steinwurf weiter auf der holländischen Seite war Totenstille. Die entsprechenden Witze erzählt man sich im Grenzgebiet noch heute: Warum haben die holländischen Kinder so große Ohren? Damit ihre Mütter sie daran hochziehen können, um ihnen jenseits der Grenze den Weltmeister zu zeigen.
    Weiter zurück reichen die Erinnerungen des Bauernsohns Franz Gommans, Jahrgang 1927. Er musste erleben, wie die Grenze im Herbst 1939 mit einem breiten Stacheldrahtverhau abgeriegelt wurde. Nachbarschaftliche und verwandtschaftliche Beziehungen wurden abrupt unterbrochen. Als er 1945 aus dem Krieg nach Hause kehrte, stand der elterliche Hof im „Niemandsland“, in der Sperrzone. Obwohl man sich in den Grenzregionen nach dem Krieg schnell wieder als Nachbarn empfand, haftete den Zöllnern, Hunden, Zäunen und Barrieren in den Augen der Kinder immer etwa Unheimliches an.
    Heimliche Spiele im Wald jenseits der grünen Grenze gehörten zur Mutprobe. Noch in den 1960er Jahren erzählte man den Kindern in Selfkant, der westlichsten Gemeinde Deutschlands, dass kurz hinter dem Ortsschild ein großer Bretterzaun komme – und dahinter das Nichts. Mit diesem Glauben wuchs auch der heutige Bürgermeister Herbert Corsten auf. Als 13-jähriger verdiente er ein kleines Vermögen mit Lebensmitteln, die er bis zum 31. Juli 1963 in einer Scheune hortete. Denn als „der Selfkant“ am nächsten Tag wieder zu Deutschland gehörte, fielen die Zollgebühren weg. Adenauer hatte den Niederlanden die Region für 280 Millionen Gulden abgekauft. (Text: WDR)
    Deutsche TV-PremiereFr 22.01.2010WDR

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