Länder – Menschen – Abenteuer Vom Schnee bis zu den Palmen – Mit dem Zug durch Graubünden
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Vom Schnee bis zu den Palmen – Mit dem Zug durch Graubünden
Pünktlich wie ein Uhrwerk ist die Rhätische Bahn in den Nationalfarben der Schweiz, Rot und Weiß, unterwegs in einer spektakulären Landschaft: Sie verbindet auf ihrem Weg durch Graubünden Alpenpässe und Schluchten, Orte und Ingenieursleistungen, Schnee und Palmen. Vor allem aber Menschen und ihre Geschichten. Ihr Ziel jenseits der schroffen Gipfel ist Italien. Die Bahnstrecke führt von Chur durch die Bergwelt des mondänen St. Moritz, vorbei an pittoresken Bahnstationen und zuletzt über das Berninamassiv bis ins italienische Tirano. Bei der Alpenüberquerung windet sie sich durch die Gebirgswelt vom Albulatal und Berninamassiv, führt durch 55 Tunnel und über 196 Brücken. Eine Strecke, so berühmt und schön, dass die UNESCO sie zum Weltkulturerbe erklärt hat. Im Zug und entlang der Schienen begegnet man Menschen, die so vielfältig und eigen sind wie die Landschaften Graubündens. Menschen wie Arnold Weber. Er ist Steward im Zug. Er weiß, was Passagiere wollen, wenn sie am frühen Morgen staunend aus dem Fenster in die schöne Bergwelt schauen. Einen Kaffee und Gipfeli zum Beispiel. Seine rollende Minibar hält für fast jeden Fahrgast das Richtige parat. Alle anderen gewinnt er mit seiner guten Laune. Die ist ebenso unbeirrbar wie ansteckend. Andere Menschen sind da deutlich wortkarger. Walter Wohlschlager zum Beispiel. Er hat einen großen Teil seines Lebens unter der Erde verbracht. Er ist Vorarbeiter beim Neubau des Albulatunnels. Die Herausforderungen sind gewaltig. Mitten im laufenden Betrieb der Albulabahn wird nebenan eine neue Tunnelröhre gesprengt und ausgebaut. Und das alles im hochalpinen Gelände. Semira Bontognali bekommt davon kaum etwas mit. Sie wohnt in einem Haus am Hang so einsam, dass es im Winter oft nur mit dem Schlitten oder Schneeschuhen erreichbar ist. Im Tal darunter liegt der traditionsreiche Edelskiort St. Moritz. Semira ist dort aufgewachsen und wurde eine
Spitzentriathletin. Profisportlerin wollte sie aber nicht werden, dann hätte sie ihr geliebtes Engadiner Tal ja verlassen müssen. Und das kann sie sich nicht vorstellen. Sie will in der Bergwelt rund um St. Moritz wohnen bleiben und ihre Kinder dort aufwachsen sehen. Ein Stück weiter passiert der Zug den Hof von Werner Wohlend, Spitzname „Wohli“, Berufung „Pferdeflüsterer“. Auf seinem Hof lebt eine Pferdeherde von 50 Tieren. Zusammen mit zwei der erfahrensten Pferde beherrscht Wohli die jahrhundertealte Tradition des Holzrückens. In den steilen Berghängen werden die gefällten Bäume nur mit Pferdekraft bis zur nächsten Straße gezogen. Jede Maschine würde hier zerstörerische Erosionen hervorrufen. Wohli und seine Pferde erhalten die Natur und ermöglichen Forstwirtschaft an schwer zugänglichen Hängen. Wenn der höchste Punkt des Schweizer Streckennetzes, der Berninapass, überwunden ist, geht es langsam wieder bergab Richtung Italien. Nicht ohne Stopp bei Primo Semadeni. Sein Buffet, das Streckenrestaurant an der Alp Grüm, ist nur zu Fuß oder mit dem Zug erreichbar. Eine logistische Herausforderung, denn jedes Stück Gemüse, Fleisch oder Brot muss mit der Bahn hinauf gebracht werden. Eine gute Planung ist da entscheidend. Erst recht, wenn das Wetter plötzlich besser wird und alle die Sonnenterrasse stürmen. Lokführer Stefan Lüthi kommt hier fast täglich vorbei. Er liebt den einsamen Job vorne im Führerhaus. Und die Fahrt aus dem Hochgebirge hinab ins sonnige Italien wird ihm nie langweilig. Kurz vor der Ankunft passiert die Bahn die Kastanienhaine des Valposchiavo, dem letzten Zipfel der Schweiz vor der italienischen Grenze. Nicolo Paganini und seine Freunde sammeln hier eine Kastaniensorte, die nur in diesem Tal wächst. Sie rösten sie, wie es schon seit Jahrhunderten gemacht wird. Für sie ist es einfach das beste Leben, das sie sich vorstellen können, hier am Ende der vielleicht schönsten Bahnstrecke der Welt. (Text: NDR)