In der zweiten Folge „Kurzzeitschwester“ scheint das Glück zunächst greifbar. Philipps Mutter Heike liegt erschöpft auf dem Krankenhausbett und hält endlich ihr zweites leibliches Kind Tim in den Armen. Ihr Traum, irgendwann eine große Familie zu haben, scheint mit den beiden leiblichen Söhnen und Pflegetochter Vanessa nun perfekt. Doch es soll alles ganz anders kommen. „Ich war schon eine sehr ängstliche Mama.“, berichtet Mutter Heike mit zitternder Stimme rückblickend auf die komplizierte Schwangerschaft. Die vielen vorhergegangenen Fehlgeburten setzen ihr noch immer zu. Sie ist voller Sorge und Angst um Tims Gesundheit. Mit Pflegetochter Vanessa gibt es immer häufiger Schwierigkeiten. Die Familie gibt Heike dafür die Schuld, von ihrem Mann fühlt sie sich allein gelassen, die Nerven liegen blank. Die Situation spitzt sich so sehr zu, dass Philipps Eltern eines Tages eine schwerwiegende Entscheidung treffen: Sie bringen Vanessa zurück ins Kinderheim. Seit diesem Tag hat die Familie Vanessa nie wiedergesehen. Dieser Bruch hat bis heute tiefe Wunden bei allen Beteiligten hinterlassen. Als Philipp nun das ganze Bild rund um Vanessas Verschwinden kennt, will er sie unbedingt wiederfinden. Doch: Will Vanessa das auch? Die dreiteilige Doku-Serie „Kurzzeitschwester“ zeigt den Filmemacher bei seiner aufwühlenden Suche nach seiner verlorenen Schwester und gewährt dabei tiefe Einblicke in das bewegende Gefühlsleben einer Familie, die bis heute mit einer schicksalhaften Entscheidung zu kämpfen
hat. Rückblende. 2002 ist Philipp fünf Jahre alt, seine Schwester Vanessa vier. Sie spielen zusammen, streiten zusammen, laufen Händchen haltend durch den Garten. Sie sind Geschwister und doch irgendwie nicht: Sie verbringen gemeinsame Urlaube in Frankreich, feiern Karneval mit den Eltern, basteln mit dem Großvater. Bis zu dem Moment, in dem Vanessa plötzlich aus Philipps Leben verschwindet. Sechs Jahre ist Philipp damals alt. Genaueres weiß der heute 24-Jährige nicht. Das Thema wurde zum Tabu in seiner Familie, denn Vanessa, die als Pflegekind zu den Lipperts kam, wurde nach zweieinhalb Jahren wieder abgegeben, entgegen aller guten Vorsätze der Familie, Vanessa bei sich aufwachsen zu lassen. In „Kurzzeitschwester“ begibt sich Philipp Lippert 17 Jahre nach Vanessas Verschwinden auf die Spuren seiner Familiengeschichte. Er versucht, die Beweggründe zu verstehen, warum seine Eltern Vanessa damals zurückgegeben haben. In intensiven und emotionalen Gesprächen arbeitet Philipp die Familiengeschichte mithilfe seiner Eltern und Großeltern auf. Dabei begegnet er den Traumata seiner Eltern und erfährt zum ersten Mal von ihren (Selbst-)Vorwürfen und Ausflüchten und ihrer Angst vor Kritik von außen. „Kurzzeitschwester“ zeigt seltene und intime Einblicke in das soziale Konstrukt Familie: Es geht um generationsübergreifende Traumata, unterbewusste Wünsche, Schuldgefühle und Versagensängste. Und um Philipps großen Wunsch, seine eigene Familiengeschichte aufzuarbeiten und Vanessa nach all den Jahren wiederzufinden. Wird es ihm gelingen? (Text: NDR)
Deutsche TV-PremiereDi. 01.06.2021NDRDeutsche Streaming-PremiereDi. 27.04.2021ARD Mediathek