Die jungen Absolventen der Königlichen Akademie der Schönen Künste in Antwerpen Ann Demeulemeester, Martin Margiela und Dries Van Noten geben in den 90er Jahren mit ihrer Vorstellung von Mode den Ton an und verwerfen die Vorstellungen von Sex und Glamour, die den Modeschöpfern des vorangehenden Jahrzehnts so sehr am Herzen lagen. Sie stehen für eine intellektuelle, ernsthafte und nüchterne Mode, die sich selbst als „Anti Fashion“ bezeichnet. Die belgischen Modedesigner lassen sich in Paris nieder und treffen dort auf eine weitere Verfechterin der Anti Fashion, die Japanerin Rei Kawakubo. Ihre Mode ist schwarz, die Schnitte sind streng, passend zur wirtschaftlichen, politischen (Erster Golfkrieg) und sozialen (Aids-Epidemie) Situation dieser Zeit. In den USA führt dieses Umfeld zur Entstehung des Grunge – vertreten durch Musikbands wie Nirvana und Pearl Jam -, der auf den Laufstegen seinen Niederschlag bei Marc Jacobs für Perry Ellis und bei Anna Sui findet. Gleichzeitig macht ein neuer Figurtyp von sich reden, der sich völlig von den wohlgeformten Proportionen der 80er Jahre unterscheidet. Kate Moss, ein gerade einmal 16 Jahre junges englisches Model mit androgynem Körper, wird zur Werbe-Ikone für Calvin Klein, dessen schlichte Kreationen von jungen Leuten mit blassem Teint und Augenringen getragen werden. An die Stelle von Grace Jones und Tina Turner, die das Superweib der 80er Jahre verkörperten, treten nun Popstars wie Kim Gordon von der Gruppe Sonic Youth und Patti Smith, die später auch Inspirationsquelle für Modeschöpferin Ann Demeulemeester werden soll. Minimalismus ist Trumpf, und das verkörpert in dieser Zeit
niemand besser als Helmut Lang, dessen Kollektion „Trash and Elegance“ heißt. Lang verlässt Ende der 90er Jahre Paris und geht nach New York. Dort macht ihn sein skizzenhafter und umrissbetonter Stil zum Liebling der Amerikanerinnen. Er besitzt so viel Einfluss, dass es ihm sogar gelingt, den internationalen Fashion-Kalender für die Vorstellung der neuen Kollektionen so ändern zu lassen, dass die Saison fortan in New York eröffnet wird. Schon bald beginnen auch die großen Konzerne, sich für die junge Modeschöpfergeneration zu interessieren. Für eine stattliche Summe gehen die Labels von Helmut Lang und Jil Sander – eine weitere Vertreterin des Minimalismus – in den Besitz der Prada-Gruppe über, während die Jeans-Spezialisten von Diesel das Modehaus Margiela kaufen. Ganz und gar nicht minimalistisch, aber dafür genauso rebellisch, sind die jungen Talente des Central Saint Martins College of Art and Design in London, darunter John Galliano und Alexander McQueen, die mit ihrer sprühenden Kreativität frischen Wind in die Modewelt bringen. Der Aufstieg dieser Modeschöpfer, der in die gleiche Zeit fällt wie der Aufstieg der berühmten Gruppe Young British Artists – zu der etwa Damien Hirst, die Chapman-Brüder, Tracey Emin und Sam Taylor-Wood zählen – macht London zur führenden Talentschmiede, aus der sich die altehrwürdigen französischen Modehäuser auf der Suche nach frischem Blut gerne bedienen. So engagiert die LVMH-Gruppe zuerst John Galliano und später Alexander McQueen, um die Prêt-à-porter-Kollektionen von Dior beziehungsweise von Givenchy zu entwerfen. Die Industrialisierung der Mode ist nicht mehr aufzuhalten. (Text: arte)