Die Geschichte des Südwestens Folge 6: Wie wir Krieg und NS-Herrschaft erlebten
Folge 6
Wie wir Krieg und NS-Herrschaft erlebten
Folge 6 (45 Min.)
Bischof Johannes Baptista Sproll (Günter Clemens) ist entsetzt: das Reichskonkordat verordnet die Zusammenarbeit zwischen Katholiken und Nationalsozialisten in Deutschland.
Bild: SWR/Torbjörn Karvang
Auch im Südwesten gewinnen die Nationalsozialisten ab den 1920er-Jahren an Zulauf. Nachdem sie 1933 an die Macht gelangen, versprechen sie Urlaub für jedermann und beeindrucken mit Prestige-Projekten wie dem Bau der Autobahn von Frankfurt nach Heidelberg. Eine vielbejubelte „Großtat“ ist die Wiedereingliederung des Saargebietes ins Deutsche Reich im Jahr 1935. Gegen die Ausgrenzung und Verfolgung von Andersdenkenden, politischen Gegnern, Juden, Sinti und Roma protestieren nur wenige. Die „Aktion T4“, der tausendfache Mord an behinderten Menschen beginnt 1940 im Südwesten, im Schloss Grafeneck auf der Schwäbischen Alb. Und auch die systematische Deportation der Juden beginnt mit der sogenannten „Wagner-Bürckel-Aktion“ im Südwesten. Am 21. und 22. Oktober 1940 werden mehr als 6.500 Juden aus Baden und der Saarpfalz in das südfranzösische Internierungslager Gurs deportiert. Die meisten von ihnen werden später in den Vernichtungslagern im Osten ermordet. Im Krieg werden viele Städte im Südwesten durch alliierte Bombenangriffe schwer zerstört, Tausende sterben. Zurück bleiben traumatisierte Überlebende, die nicht wissen, wie es weitergehen soll. Josef Bürckel, Lehrer und Gauleiter: Der Pfälzer ist NSDAP-Anhänger der ersten Stunde und bald hoher NS-Funktionär. Er „erfindet“ die „Deutsche Weinstraße“, um die Winzer in der Pfalz zu unterstützen. Und er ist beteiligt an der „Rückgliederung“ des Saarlandes und an der „Wiedervereinigung Österreichs“ mit dem Deutschen Reich. 1940 initiiert er zusammen mit dem badischen Gauleiter Robert Wagner die Deportation der Juden aus dem Elsass, dem Saarland, aus Lothringen, Baden und der Pfalz nach
Gurs. Johannes Baptista Sproll, Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart: Er ist ein Gegner des NS-Regimes und wendet sich engagiert gegen Hitlers Ausgrenzungs- und Vernichtungspolitik. Johanna Geissmar, Kinderärztin in Heidelberg und „Engel von Gurs“: Weil sie Jüdin ist, wird ihr die Kassenzulassung entzogen. Sie muss ihre Praxis schließen. 1940 wird sie nach Gurs transportiert und von dort nach Auschwitz, wo sie ermordet wird. Wie wir wohlhabend und eins wurden: Nach dem Zweiten Weltkrieg steht der Südwesten vor einer ungewissen Zukunft. Die Wirtschaft liegt am Boden, tausende Flüchtlinge und Vertriebene müssen aufgenommen und integriert werden. Doch schneller als gedacht geht es wirtschaftlich wieder aufwärts. Einheimische, Neubürger und „Gastarbeiter“ werden zum Motor des Wirtschaftswunders, das dem Südwesten Wohlstand und politische Stabilität beschert. Menschen aus aller Welt finden in den neuen Bundesländern Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Saarland ein neues Zuhause und machen den Südwesten zu einer bunten und lebenswerten Region. Franz Bachert ist 16, als er nach dem Krieg als Flüchtling aus der Batschka in Serbien (Donauschwaben) nach Stuttgart kommt. Anders als viele Erwachsene, die der alten Heimat nachtrauern findet er sich bald zurecht. Bachert ist leidenschaftlicher Fußballspieler. Das erleichtert die Integration nach dem Krieg. Fevzi Cetin kommt 1966 als „Gastarbeiter“ aus der Türkei nach Stuttgart. Heute fährt er höchstens im Urlaub noch in seine ehemalige Heimat. Mittlerweile fühlt er sich als Deutscher. David Borntrager kommt als Soldat aus Virginia in die Pfalz. Lange arbeitet er im Germersheimer US-Army Depot. Dann verliebt er sich in eine Pfälzerin und findet in der Pfalz eine neue Heimat. (Text: SWR)