Gegen das Vergessen: Mit Demenz auf der Bühne
Folge 1211 (30 Min.)Die Beziehung zu seiner Mutter Beate (87, l.) war für Markus (65, r.) von Konflikten geprägt. Durch die Demenz seiner Mutter ist für ihn ein neues Annähern möglich. Er freut sich, dass sie mit den „Papillons“ im Rampenlicht stehen kann.Bild: Ingo Behring / ZDFElvira ist 87 und hat Demenz. Ihre Töchter erkennt sie kaum mehr – spielt aber im Pflegeheim Theater. Wie führt man ein Stück auf, wenn bei den Beteiligten die Erinnerung verblasst? Texte werden nicht gelernt. Die Lebenserinnerungen der Demenzkranken sind das Skript der Regisseurin. Auf der Bühne stehen die Seniorinnen und Senioren zusammen mit Kindern und Jugendlichen. Die helfen Erinnerungen abzurufen und geben beim Auftritt Sicherheit. Das Theaterprojekt „Papillons“ soll mehr sein als Beschäftigungstherapie: Regisseurin Christine Vogt will das Leben ihrer betagten Mitwirkenden in den Fokus rücken und Brücken zwischen den Generationen schlagen.
In Deutschland leben circa 1,8 Millionen Menschen mit einer Demenzdiagnose. Im öffentlichen Leben kommen sie jedoch kaum vor. Ihre Stimmen, Erfahrungen und Perspektiven fehlen. Das Theaterprojekt möchte das ändern. Eine erfahrene Mitspielerin ist die 87-jährige Elvira Werthmüller. Auch wenn die gelernte Schneiderin das meiste aus ihrer Vergangenheit vergessen hat – auf ihre Leidenschaft, das Jodeln, kann sie noch zurückgreifen. Anfangs fiel es den Töchtern schwer, ihre Mutter aus der hessischen Heimat ins Pflegewohnheim nach Berlin zu holen.
Doch Elvira fand im Kiez schnell Anschluss und mit dem Theater einen Höhepunkt im eher eintönigen Heimalltag. Auf der Bühne blüht sie auf. Tochter Tanja kann durch das Projekt noch einmal an den Lebenserinnerungen ihrer Mutter teilhaben. Zugleich werden neue Erinnerungen geschaffen, die für die Tochter ein wertvoller Schatz sind. Tanja glaubt, dass ihre demente Mutter in diesem Jahr das letzte Mal mit den „Papillons“ auf der Bühne steht: „Sie verschwindet immer mehr.“ Der demenzkranke Ekkehard Walkenhorst lebt ebenfalls im Pflegewohnheim „Am Kreuzberg“.
Früher arbeitete er in Baden-Württemberg als Apotheker. Das Verhältnis zwischen seinem Sohn Oliver und ihm war eher kühl. Seit Oliver seinen Vater nach Berlin geholt hat, nähern sich die beiden Männer wieder an. Dass sein Vater Theater spielen würde, wäre früher undenkbar gewesen, erzählt der Sohn. „Mit den ‚Papillons‘ spürt er ein Interesse an seiner Person, was ihm sonst nicht mehr oft zuteil wird, weil die Leute glauben, er könne nicht mehr viel. Das ist eine Entwertung als Person, die demente Menschen immer wieder erfahren.
Und das Theater bietet ein Gegenstück dazu.“ Beate ist zum ersten Mal bei einer Aufführung mit dabei. Als sich ihre Demenzerkrankung bemerkbar machte, holten sie die Kinder nach Berlin in eine Einrichtung für Betreutes Wohnen. Doch Beate fehlten dort eine Tagesstruktur und eine Aufgabe. Ihr Sohn Markus hat durch einen Zeitungsartikel vom Theaterprojekt „Papillons“ erfahren und besorgte zusammen mit seiner Schwester einen Platz im Pflegeheim „Am Kreuzberg“. Die Kinder hoffen, dass ihre Mutter, die stets die Aufmerksamkeit suchte, zum Lebensende noch einmal aufblühen und im Rampenlicht stehen kann.
Die beiden haben ihre Mutter, die selbständig in der Modebranche arbeitete, als sehr egozentrischen Menschen in Erinnerung, der viele Entscheidungen zu Lasten der Kinder traf. Die Demenz ihrer Mutter empfinden sie insofern fast als Segen, weil viele Konflikte dadurch ein Ende fanden. Sie konzentrieren sich nun auf die verbleibende Zeit, um ihrer Mutter trotz allem einen schönen Lebensabend zu gestalten. Über das Theater sagen Markus und Annette: „Unsere Mutter scheint wieder wacher und lebendiger, seit sie zur Gruppe gestoßen ist.“ (Text: ZDF)Deutsche TV-Premiere Di. 23.09.2025 ZDF Der Kiosk: Kaffee, Bier und Emotionen
Folge 1212 (30 Min.)Er packt mit an: Emre (26) arbeitet nebenberuflich im Späti seines Bruders.Bild: ZDF und Felix GreifDer Kiosk um die Ecke – für viele ein Stück Heimat. Doch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten müssen immer mehr Kioske schließen. Wie können ihre Betreiber sie am Laufen halten? Quereinsteiger Serdar (28) hat im Frühling 2025 einen Späti in Berlin-Kreuzberg übernommen. Im Ruhrgebiet führt Naciye (46) seit 2015 die „Ballerbude“. Beide wollen ihre Stammkunden binden – und neue dazu gewinnen. Als Serdar die Chance sah, den Späti am Viktoriapark in Berlin-Kreuzberg zu übernehmen, griff er kurzerhand zu. Jetzt steht der ehemalige Vertriebler fast jeden Tag hinterm Tresen und probiert ständig Neues: Wie kann er sein Angebot auf die Kundschaft im Szeneviertel abstimmen? Welche Attraktionen kann er bieten, um seinen Späti besonders zu machen? Unterstützt wird der frischgebackene Familienvater von seinem Bruder Emre (26).
Mit viel Einsatz und Herz steuern die beiden den Späti durch den ersten Sommer. Gelingt es Serdar, sich damit eine Existenz aufzubauen? 2015 stand Naciye (46) zum ersten Mal hinterm Tresen der „Ballerbude“ in Oer-Erkenschwick. Seitdem hat sich viel getan: In dem Laden hat sie ihren zweiten Ehemann Kamil kennengelernt, ihre Söhne Selçuk und Orçun großgezogen und sich mit ihrer offenen und warmherzigen Art eine treue Kundschaft aufgebaut.
Doch obwohl ihr Büdchen brummt, muss sie sich strecken. Inflation und Preissteigerungen schlagen nicht nur ihrer bodenständigen Stammkundschaft auf den Geldbeutel. Ihre vergleichsweise niedrigen Preise kann sie nur mit Mühe halten – doch gerade diese bringen die täglichen Besucher. Gelingt es Naciye, mit der Unterstützung ihrer Familie, ihren Nachbarschaftstreff in die Zukunft zu führen? Im Wechsel von Hauptstadt zu Ruhrpott zeigt „37°“ ein Panorama deutscher Kiosk-Kultur zwischen Trend und Tradition. Behutsam, aber direkt, fängt der Film die Atmosphäre ein: Ungeschminkt, authentisch und nah den Menschen, für die der Kiosk mehr bedeutet als die Gelegenheit für einen schnellen Einkauf.
Hier findet das echte Leben statt – mal lustig, mal hart, immer wahrhaftig. Längst sind Kioske – in NRW „Trinkhallen“ oder „Büdchen“, in Berlin „Spätis“, in Frankfurt „Wasserhäuschen“ – kein selbstverständlicher Teil des Stadtbildes mehr. Gab es vor zehn Jahren noch 44.000, schätzen Experten die Zahl heute auf 24.000. Die Gründe: Konkurrenzdruck durch Discounter mit langen Öffnungszeiten, Personalmangel und Preissteigerungen. Ein Stück Nachbarschaft droht auszusterben. (Text: ZDF)Deutsche TV-Premiere Di. 30.09.2025 ZDF Gemeinsam, laut und wild: Open Flair Festival
Folge 1213 (30 Min.)Bild: ZDF und Marc NordbruchÜber 20.000 Fans kommen seit 40 Jahren in das kleine Städtchen Eschwege zum Open Flair Festival – das nur stattfinden kann, weil die Einwohner über alle Grenzen hinweg zusammenarbeiten. Das war nicht immer so: Anfangs befürchteten viele der 20.000 Einwohner das völlige Chaos. Wie und warum alles anders kam und welche Anstrengungen jedes Jahr neu unternommen werden müssen, damit Fans und Einwohner gemeinsam feiern können, zeigt dieser Film. Alexander, Festivalgründer der ersten Stunde, gilt als cool und abgeklärt, geht aber durch viele Gefühlsbäder: „Nichts, aber auch gar nichts an Freud und Leid ist mir fremd.“ Angefangen hat er 1985 mit der Idee als junger Student im „Zonenrandgebiet“, weil immer mehr junge Leute abwanderten in die Ballungsgebiete.
Aus dem Zirkuszelt mit ein bisschen Kleinkunst und ein paar Klampfen, wurde mit Unterstützung von Stadt und Kreis ein gemeinnütziger Verein und jährliche Open-Air-Festivals. „Statt tote Hose an der Mauer kamen die Toten Hosen auf die Eschweger Bühne.“ Die kulturelle Ausrichtung des Open Flair im eher konservativen Osthessen ist über all die Jahre gleich geblieben: antifaschistisch, antirassistisch, linksliberal.
Über allem schwebte aber „stets das Insolvenz-Gespenst“ und die fehlende Akzeptanz der Bürger. Dann die große Offensive in die Stadt hinein. Aufklärung in Bürgerversammlungen, freier Eintritt für alle Rentner sowie Führungen und Touren für die Bewohner des Altersheimes über das Festivalgelände. „Das war der große Durchbruch“, sagt Alexander. Die älteste Besucherin wurde mit 106 Jahren registriert. Inzwischen verkaufen ganz normale Bürger Getränke aus ihren Wohnzimmerfenstern, räumen einfache Leute ihre Erdgeschosswohnungen leer, um sie für die fünf wilden Tage als Kneipen zu betreiben oder räumen die Dachdecker ihren Betriebshof frei, damit dort vegane Döner und Gemüsebällchen gebrutzelt werden können.
Gitte, Mutter von neun Kindern, ist mittlerweile eine Institution rund um das Festival. Seit das letzte Kind aus dem Haus ist, hat sie für die Festivalwoche eine Kneipe in einem leer stehenden Laden eingerichtet, die längst zum Mythos „Bei Gitte“ geworden ist. „Ich habe es nicht immer leicht gehabt, acht Jungs und ein Mädchen, die musst du erst mal durchbringen“, sagt sie und weiß selbstverständlich wie man auch Rock’n’Roller nachts um drei höflich, aber bestimmt auf den Campingplatz schickt.
So eine Woche mit täglich 100 Punks und Rockfans in ihrer Wohnzimmer-Kneipe sei „ein Kinderspiel“, weil die „alle so freundlich“ sind. Bürgermeister Alexander Heppe unterstreicht die „Besonderheit dieses Ereignisses, das Ausnahmezustand bedeutet“, weil es eben nicht auf der grünen Wiese außerhalb der Stadt, sondern „mittendrin in der Altstadt mit abgesperrten Straßen, vier Bühnen, großer Lautstärke, ungewöhnlichen Menschen und viel Toleranz der Bevölkerung stattfindet“.
Und die muss jedes Jahr aufs Neue erarbeitet werden. Dabei weiß er, dass die 20.000 Besucher aus ganz Deutschland „jede Menge Geld hier lassen, das der strukturschwachen Region guttut“. Deshalb rennt auch er „von Pontius zu Pilatus, damit das so bleibt und immer gut geht“. Dazu passt die Erfolgsgeschichte, dass der Verein Open Flair e. V. Arbeits- und Ausbildungsplätze im Veranstaltungsbereich schafft. „Das alles ist aber jedes Jahr aufs neue bedroht“, weil die Finanzierung immer auf tönernen Füßen steht. (Text: ZDF)Deutsche TV-Premiere Di. 14.10.2025 ZDF Kampf im Kopf – Leben mit Depression
Folge 1214 (30 Min.)Unsichtbar, unterschätzt und oft missverstanden: die Depression. Mehr als fünf Millionen Erwachsene in Deutschland sind aktuell von dieser psychischen Erkrankung betroffen. Michelle, Thorsten und Thomas sprechen offen über ihre Erfahrungen mit Depression und zeigen, wie unterschiedlich die Symptome, Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten sein können, aber auch wie sehr sie das Leben der Betroffenen und ihrer Angehörigen verändern. Mindestens 20 Prozent der Deutschen erleben einmal im Leben eine Depression, so das Bundesgesundheitsministerium. Wer eine Depression hat, ist nicht einfach nur „ein bisschen traurig“ – die Depression ist eine ernsthafte Störung der mentalen Gesundheit.
Michelle (33) ist alleinerziehend, berufstätig und kämpft nicht nur mit depressiven Phasen, sondern auch mit Schuldgefühlen ihren Kindern gegenüber und dem Druck, im Alltag zu funktionieren. Ihre Depression ist für Außenstehende kaum sichtbar: Sie lächelt und funktioniert, obwohl sie innerlich oft leer ist. Schon mit 20 Jahren erhält sie die Diagnose Depression. In der Therapie lernt Michelle, was ihr in den schweren Phasen guttut: Sport, Sauna – kleine Auszeiten nur für sich. Ihre Mutter versucht, für sie da zu sein, kann die Krankheit aber nicht verstehen.
Thorsten (58), Betriebswirt und leidenschaftlicher Feuerwehrmann, ist seit Jahren gefangen in seiner Depression. Zurückgezogen lebt er bei seinen Eltern, hat durch die Krankheit nicht nur seinen Job, sondern auch seine Familie verloren. Die klassische Therapie – Medikamente und Psychotherapie – hat bei ihm nicht angeschlagen: Thorsten gilt als therapieresistent. Doch seine Mutter gibt nicht auf und stößt bei ihren Recherchen auf die Transkranielle Magnetstimulation (TMS) an der Charité Berlin. Die TMS hilft rund 50 Prozent der Patienten mit therapieresistenter Depression.
Kann sie auch Thorsten helfen? Thomas (41) hatte eigentlich alles erreicht: Topjob bei einem globalen Technologieunternehmen, eine Familie und gesellschaftliche Anerkennung. Scheitern gehörte in seinem Leben nicht zu seiner Vita. Doch dann der Zusammenbruch. Von außen hat keiner erkannt, wie es in ihm aussah – bis er nicht einmal mehr lesen konnte. Zwei Aufenthalte in der Psychiatrie folgten. Erst als er erkennt, dass er nie wieder „der Alte“ sein wird, beginnt die Heilung und er krempelt sein Leben komplett um. Seine Frau ist dabei immer an seiner Seite. (Text: ZDF)Deutsche TV-Premiere Di. 21.10.2025 ZDF