„Wochen der Grausamkeit“: So will der rbb am Programm sparen

Regionalerer Vorabend, Archivware und mögliche Rückkehr der Programmansagen

Glenn Riedmeier
Glenn Riedmeier – 02.06.2023, 14:44 Uhr

Martina Zöllner, Programmdirektorin des rbb – Bild: rbb/Gundula Krause
Martina Zöllner, Programmdirektorin des rbb

Nach dem Skandal um die ehemalige rbb-Intendantin Patricia Schlesinger wurden drastische Einsparmaßnahmen und eine Überprüfung des rbb-Programmangebots angekündigt. Konkret sollen Einsparungen von 49 Millionen Euro erreicht werden, um die Misswirtschaft von Schlesinger zu kompensieren. Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung sprach die im April als neue Programmdirektorin berufene Martina Zöllner darüber, welche Maßnahmen getroffen werden.

Es werde zum ersten Mal wieder fühlbar über Programm geredet. Mit Schmerzen, mit Sorgen, mit Fragen, aber das war monatelang nicht so – wir haben über uns gesprochen und verarbeitet, was passiert ist, und es war auch ein unglaublicher Zorn unterwegs. Insbesondere das Ermitteln, wo gespart werden soll, seien Wochen der Grausamkeit gewesen. Konkret sei etwa der fiktionale Bereich, für den Zöllner zuvor als Kulturchefin zuständig war, erheblich reduziert worden. Ich bin zuversichtlich, dass wir uns in der Fiktion weiterhin vielleicht ein kleineres besonderes serielles Projekt pro Jahr werden leisten können, so Zöllner. Insbesondere Projekte, die in der Form und in der Erzählweise etwas wagen, seien ihr nach wie vor wichtig. „MaPa“ und „Warten auf’n Bus“ sind zwei Beispiele für vom rbb verantwortete Serien, die von Kritikern gelobt wurden.

Bereits abgedreht ist eine Serie über Alfred Herrhausen, an der der rbb beteiligt ist. Daneben aber wird es 2024 von uns tatsächlich in der Fernseh-Fiktion außer ‚Tatort‘ und ‚Polizeiruf‘ nichts geben, stellt Zöllner in der SZ klar. Danach soll es aber wieder ein bisschen besser werden – vorbehaltlich Entwicklungen wie Inflation und Beitragserhöhung. Im Gegenzug habe sich Zöllner für das Dokumentarische stark gemacht, wo man in der ARD-Gemeinschaft und der ARD Mediathek mit Serien und Filmen viel anzubieten habe – sowohl historische als auch aktuelle Stoffe aus Berlin und aus Ostdeutschland.

Im Zuge der Sparmaßnahmen müsse man sich auf die Grundparameter besinnen, die Zöllner in der Sicherung des regionalen Journalismus und der regionalen journalistischen Aktualität sieht. Wir bekommen unsere Beiträge schließlich von den Menschen, die hier leben. Da hatten wir Defizite vor allem in Brandenburg, darum haben wir tatsächlich ein bisschen Geld von dem Weniger-Geld umgeschichtet und wollen das Reporternetz in Westbrandenburg verdichten.

Im Kern werde der rbb künftig das, was im linearen Fernsehen nach 20:15 Uhr ausgestrahlt wird, so gut wie ausschließlich für eine Erstverwertung in der ARD-Mediathek produzieren. Auf diese Weise werde das Geld für die digitale Transformation genutzt und käme gleichzeitig dem Fernsehen zugute. Wir entwickeln Formate für die ARD-Mediathek – und wiederholen sie im Dritten in der Primetime. Das ist eine neue Logik für das lineare Fernsehen – und es ist ein großer Sprung.

Den Vorabend müsse man stärken, da dies das erweiterte Wohnzimmer für viele angestammte Zuschauer sei und es im Moment während dieser Tageszeit zu viele Übernahmen im Programm gäbe. Zöllner schwebt ein lebendigerer und regionalerer Vorabend vor, in dem local heroes ihren Platz finden sollen – Menschen, die Stadt und Land, Ost und West prägen, die vielleicht nicht immer in die Nachrichten finden. Das Restgeld soll in die Zeit zwischen 20.15 bis 22 Uhr gesteckt werden. Das Schreckensbild, dass das rbb Fernsehen künftig auf den Vorabend reduziert werden muss und danach auf ein anderes Programm umgeschaltet wird, soll nicht eintreten.

Geplant ist zudem ein Live-Dialogformat, das günstig in höherer Schlagzahl zu produzieren sein soll. Allerdings werde man an zwei bis drei Abenden in der Woche nur Archivware zeigen. Da könne man laut Zöllner aber vermitteln, warum man diese oder jene alte Serie aus der DDR zeigt. Und was daran bedeutsam oder eben auch identitätsstiftend ist.

Aufhorchen lässt auch ein anderes Vorhaben: Der rbb denkt über die Wiedereinführung von Programmansagen nach. Das finde ich gar nicht antiquiert, sondern es ist genau das, was nach meiner Ansicht oft fehlt, so Zöllner. In der Zeit nach 22 Uhr sollen außerdem Streams und Mitschnitte von rbb-Veranstaltungen gesendet werden, die bislang für eine Online-Verwertung gedacht waren – etwa der „Talk im Tipi“ am Kanzleramt oder „Die schöne Lesung“ von radioeins und rbb Kultur. Wenn wir uns das trauen, statt eben beliebiger Übernahmen aus dem ARD-Pool, dann finde ich das richtiger.

Selbst Übernahmen von gestreamten Konzerten und anderen Veranstaltungen der Radiowellen seien vorstellbar. Das wird vielleicht in der Quote Auswirkungen haben, es wird aber vielleicht auch Menschen anziehen, die dieses Dritte schon abgeschrieben haben. Klar positioniert sich Zöllner auch bezüglich des Radio-Angebots insgesamt. Da die sechs rbb-Wellen trotz des schwierigen Marktes erfolgreich seien, wolle man keinen der Radiosender abschaffen.

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • (geb. 1987) am

    Die ÖRR haben 21 TV-Sender und 69 Radioprogramme, 16 Ensembles (Big Bands, Chöre, Tanzbaletts) unzählige Internetpräsenzen, 30.000 Angestellte und kostet mehr, als Netflix (7,99) und Disney+ (8,99) zusammen.
    Der ÖRR ist also Bezahlfernsehen und sollte von den Zuschauern auch bezahlt werden.
    Logischer Weise, genau wie Disney, Sky oder Apple TV von denen, die das nicht sehen wollen - nicht!
    Entweder der ÖRR verschlankt sich drastisch (Ein Hauptprogramm (Das Erste) drei Unterprogramme (Arte, 3 Sat, Phönix), vier "Dritte" (Nord, Süd, West, Ost), acht Radioprogramme) bei einem Preis von 5€/Monat - oder der Konsum und das dazugehörige Bezahlen ist freiwillig.
    Das wird auf jeden Fall so kommen. Zu obszön aufgeblasen ist dieser Selbstbedienungsladen, zu einseitig politisch der Inhalt und zu öde das Programm.
    Jeder, der will soll es gucken und bezahlen - jeder, der damit nichts anfangen kann, sollte dies nicht müssen.
    Eigentlich logisch, oder...
    Einzig, eine unabhängige Berichterstattung und Sendungen vom öffentlichen Interesse aller würde eine KLEINE Zwangsgebühr rechtfertigen.
    Aber das Ganze hat auf allen Ebenen so groteske Ausmaße, Kosten und Gehälter angenommen, dass da zwischengehauen werden muss.
    Auf dem letzten CDU Parteitag wurden 58(!) Journalister der ÖRR begrüßt. Alle mit Teams, Anreisen, Ausrüstung, Hotezimmer etc.
    Kann nicht wenigstens der ARD seinen zig Unterprogrammen die Berichterstattung zur Verfügung stellen?
    • (geb. 1999) am

      „Archivware“?
      Alte Serien und Spielfime und Dokus? Immer her damit
      • am

        Mehr europäische serien senden und deutlich weniger seichte deutsche Serien.
        • (geb. 1954) am

          Nach Ansehen von The last Light kann ich nur sagen, dass europäische Serien keinen Deut besser sind als deutsche.
      • (geb. 1976) am

        Klingt doch relativ sinnvoll- Dass hier auch wieder von Einigen ÖRR-Bashing kommt, war zu erwarten. Ich will aber nicht ungarische oder US-Zustände, wo ein Reicher Typ sich die Medien kauft, die dann machen, was er will.
        • (geb. 1954) am

          Wenn mehr dabei rauskommt, warum nicht?
      • am

        Es werden so viele Tatorte- und Polizeiruf- Folgen von anderen "Dritten" produziert. Warum kehrt man nicht zu selbst produzierten Serien wie damals mit nur 7 oder 8 Folgen zurück? Es müssen nicht immer Serien jahrzehntelang produziert werden, denn irgendwann wird es langweilig und öde. Aber auch mit kleinem Budget lassen sich drei oder vier Miniserien im Jahr präsentieren. Und mal ehrlich, diese ganze Krimiplage ist doch thematisch immer derselbe Quark. Programmansagen finde ich persönlich für das ÖR-Fernsehen nicht verkehrt. Den Programmen fehlte seit der Abschaffung immer das persönliche und verbindliche zum Zuschauer. Die Privatsender waren die ersten, die die Ansagen ca. 1992 abschafften, um mehr Platz für Werbung zu schaffen. Warum ARD und ZDF dies taten, hat sich mir nie erschlossen.
        • am

          Der Sender sollte mit seinen seltsamen Sendungen und Moderatoren abgeschaltet werden.
          • am

            Achso weil die Schleswinger Geld rausgeschmissen hat und ansonsten mit dem Rundfunkbeitrag misswirtschaftet braucht es natürlich eine Beitragserhöhung bis man wieder mehr fiktional produzieren kann...
            • (geb. 1966) am

              Ich versteh dieses Gebühren-Bashing nicht. Seit 2013 liegt der pauschale Rundfunkbeitrag bei ca. 18,- Euro.

              Im Vergleich zum Angebot von Prime, Netflix und Co. ist das sowieso unglaublich wenig. Die bieten weder Radio noch Nachrichten noch Reportagen oder Dokumentationen.
              12,- Euro nur für Netflix finde ich im Vergleich extrem teuer.Ich habe keinen einzigen anderen Dienstleister, der in den letzten 10 Jahren seine Beiträge oder Gebühren nicht erhöht hat. Sogar der Sportverein musste gelegentlich seinen Mitgliedsbeitrag erhöhen.
              Das schlechter werdende Programm ist ja gerade eine Folge dieser Unterfinanzierung. Eigentlich hätte der Beitrag jedes Jahr an die Inflation angepasst werden müssen.
              Die Gehälter der Intendanten sind im Vergleich zur Privatwirtschaft eher niedrig. Lediglich die Versorgungsbezüge sind sehr hoch. Das soll die vergleichweise niedrigen Aktivbezüge ausgleichen. Das ist meiner Meinung nach zwar unklug, aber bezogen auf die Geamtausgaben für die Medienproduktionen fällt das kaum ins Gewicht.
              Mir persönlich ist schon das Radioprogramm 20,- Euro im Monat wert.
            • (geb. 1978) am

              Danke für den sachlichen Beitrag! Das Radioprogramm wäre mir zwar keinen Euro wert, aber Streaming Anbieter bezahle ich auch nicht.
              Alle dritten Programme müssten mal ihr Angebot überprüfen und ggf. den Nostalgie-Faktor alter Serien in den Archiven nutzen oder das gute alte Testbild wieder einführen.

          weitere Meldungen