„’nissa“: Warum Enissa Amani eine zweite Chance verdient – Review

Neue Comedyshow startet heute Abend bei ProSieben

Glenn Riedmeier
Rezension von Glenn Riedmeier – 01.12.2016, 10:30 Uhr

Enissa Amani in „’nissa – Geschichten aus dem Leben“ – Bild: ProSieben/Screenshot
Enissa Amani in „’nissa – Geschichten aus dem Leben“

ProSieben wäre mal wieder ein Erfolg vergönnt. Denn im Gegensatz zu vielen anderen Mitbewerbern ruht sich der Sender nicht auf althergebrachten Formaten aus, sondern experimentiert frohen Mutes mit neuen Sendungskonzepten und gibt unverbrauchten Gesichtern eine Chance. Gerade 2016, dem ersten Jahr der Post-Raab-Ära, hat ProSieben viel im Show-Bereich ausprobiert. Davon war einiges verzichtbar („Match Factor“, „Risky Quiz“, „Deutschland tanzt!“), anderes hingegen erfreulich unkonventionell und anarchisch („Das ProSieben Auswärtsspiel“, „Die beste Show der Welt“, „Applaus und Raus!“).

Im Frühjahr 2016 strahlte ProSieben „Studio Amani“ aus, eine Personality-Show mit Comedy-Durchstarterin Enissa Amani. Trotz eines Einstands mit weit überdurchschnittlichen Einschaltquoten fiel das Format vielerorts in der Kritik durch (wenngleich wir durchaus Potenzial in der Show sahen -> TV-Kritik). In den Folgewochen schwankten die Quoten stark, ein wirklicher Misserfolg war die achtteilige Show jedoch nicht. ProSieben stellte unmittelbar klar, dass man weiter mit Amani zusammenarbeiten werde, entschied sich aber letztendlich nicht für eine Fortsetzung von „Studio Amani“. Stattdessen sollte ein neues Format entworfen werden, das besser auf die Stärken der deutsch-persischen Komikerin zugeschnitten sein soll. Herausgekommen ist „’nissa – Geschichten aus dem Leben“. Die ersten beiden Folgen sind heute Abend, 1. Dezember, ab 22:30 Uhr zu sehen. Am 15. Dezember folgt das zweite Doppelpack ab 23:30 Uhr.

„’nissa“ kommt im Vergleich zum Vorgänger nicht nur aufgrund der kürzeren Folgendauer (30 Minuten) schlanker rüber. Aufgezeichnet wurde die Sendung nicht mehr in einem vollgepackten Fernsehstudio, sondern im altehrwürdigen Kölner Gloria-Theater, in dem jeden Abend Kabarett-, Theater- und Konzertveranstaltungen stattfinden. Das Format konzentriert sich auf Stand-up-Comedy, also der Kunst, mit der sich Amani in den vergangenen Jahren einen Namen gemacht hat. Jede der vier Folgen steht unter einem Oberthema: Karriere, Lügen, Glaube und Stress. Rund 20 Prozent der Sendung machen Kurzsketche aus, die thematisch passend zwischen die Stand-up-Teile gestreut werden. Unterstützt wird die Komikerin hierbei von den Schauspielerinnen Nora Tschirner, die Enissas beste Freundin verkörpert, und Sabine Vitua als Enissas Psychotherapeutin. Amani selbst schlüpft außerdem in die Rolle ihrer eigenen Mutter und schildert so Erlebnisse aus ihrer Kindheit.

Nora Tschirner (r.) unterstützt Enissa Amani (l.) in den Sketchen. ProSieben/​Willi Weber


Vor allem in ihrer Paradedisziplin, der Stand-up-Comedy, kann Amani punkten und spannt gekonnt den Bogen zwischen ihrem Tussidasein und gesellschaftlichen Themen. Der Untertitel „Geschichten aus dem Leben“ ist passend gewählt, denn der Comedienne kommt es nicht darauf an, einen Schenkelklopfer nach dem anderen abzufeuern, sondern Alltagsbeobachtungen aus ihrer Sicht nachzuerzählen und so die Absurdität dahinter aufzudecken. Die kurzen Sketche zwischendurch sind mal mehr, mal weniger amüsant und wären gar nicht unbedingt notwendig gewesen, da sie den Fluss des Stand-up-Monologs eher stören als unterstützen. Insgesamt ist bei „’nissa“ allerdings eine deutliche Steigerung zu „Studio Amani“ zu beobachten. Weg ist überflüssiger Ballast wie eine vollgepackte Studiokulisse, der Sidekick-DJ, Talkgäste oder reportageartige Einspielfilme. Stattdessen steht Enissa Amani als charmant-derbe Komikerin im Mittelpunkt, die zwischen den Kulturen wandelt und in beeindruckendem Sprechtempo ordentlich in alle Richtungen austeilt. Sie erklärt unter anderem, weshalb sie der BILD-Zeitung keine Interviews gibt, wie sie mit intellektuellem Publikum umgeht und weshalb reduziertes Handy-Datenvolumen eines der größten Verbrechen an der Menschheit ist.

Es bleibt zu hoffen, dass auch genügend Zuschauer Enissa Amani eine zweite Chance geben werden. „Studio Amani“ war sicherlich nicht rundum gelungen, doch die teilweise arg frauenfeindlichen und rassistischen Hasskommentare einiger User in den sozialen Netzwerken waren unverhältnismäßig. Das sogenannte Hate-Watching scheint jedoch zum Volkssport geworden zu sein, und wenn eine Sendung dann auch noch auf dem heiligen ehemaligen „TV total“-Sendeplatz gezeigt wird, haben verprellte Raab-Fans, die dessen TV-Abschied immer noch nicht verdaut haben, erst recht einen Anlass, um ihrem Unmut freien Lauf zu lassen. Dies bekam zuletzt auch Oliver Polak zu spüren, der mit „Applaus und Raus!“ ebenfalls sein Glück am späten Montagabend versuchte. In jedem Fall ist es zu begrüßen, dass ProSieben im Grunde Nischenformate einem Mainstreampublikum zugänglich machen will und mit Amani und Polak zwei Sendergesichter verpflichtet hat, die polarisieren und Ecken und Kanten haben. Glattgebügelte Moderatoren ohne Wiedererkennungswert gibt es im deutschen Fernsehen schließlich genug.

Zur Person Enissa Amani:
Als Kind flüchtete Enissa Amani mit ihrer Familie nach Deutschland. Bevor sie ins Comedy-Geschäft einstieg, studierte sie zunächst Jura und Literatur. Parallel nahm sie an einigen Schönheitswettberben teil und gewann auch diverse Miss-Titel. Seit 2013 tritt sie als Stand-up-Komikerin auf und absolvierte binnen kurzer Zeit zahlreiche TV-Auftritte, darunter bei „TV total“, „NightWash“ und „Nuhr im Ersten“. Darüber hinaus ist Amani Teil der „RebellComedy“, ein Kollektiv aus jungen Stand-up-Comedians, die ein mulitikultureller Hintergrund verbindet. Noch mehr Bekanntheit erlangte sie durch ihre Teilnahme an der achten „Let’s Dance“-Staffel, bei der sie 2015 den vierten Platz belegte. Im gleichen Jahr erhielt sie den „Deutschen Comedypreis“ als beste Newcomerin. Kurz darauf erhielt sie mit „Studio Amani“ ihre erste TV-Show. Eine Blitzkarriere, die rückblickend vielleicht etwas zu schnell verlief und Erwartungen an Amani weckte, die sie (noch) nicht erfüllen konnte. Derzeit tourt sie mit ihrem ersten Soloprogramm „Zwischen Chanel und Che Guevara“ durch Deutschland, in dem sich die „persische Volker Pispers mit Marilyn Monroes Kleid“ humorvoll mit den „Parallelen zwischen Nietzsches Philosophie und Kim Kardashians Arsch“ auseinandersetzt. Kürzlich spielte sie sogar ihre erste Show auf Englisch in London.

Über den Autor

Glenn Riedmeier ist Jahrgang ’85 und gehört zu der Generation, die in ihrer Kindheit am Wochenende früh aufgestanden ist, um stundenlang die Cartoonblöcke der Privatsender zu gucken. „Bim Bam Bino“, „Vampy“ und der „Li-La-Launebär“ waren ständige Begleiter zwischen den „Schlümpfen“, „Familie Feuerstein“ und „Bugs Bunny“. Die Leidenschaft für animierte Serien ist bis heute erhalten geblieben, zusätzlich begeistert er sich für Gameshows wie z.B. „Ruck Zuck“ oder „Kaum zu glauben!“. Auch für Realityshows wie den Klassiker „Big Brother“ hat er eine Ader, doch am meisten schlägt sein Herz für Comedyformate wie „Die Harald Schmidt Show“ und „PussyTerror TV“, hält diesbezüglich aber auch die Augen in Österreich, Großbritannien und den Vereinigten Staaten offen. Im Serienbereich begeistern ihn Sitcomklassiker wie „Eine schrecklich nette Familie“ und „Roseanne“, aber auch schräge Mysteryserien wie „Twin Peaks“ und „Orphan Black“. Seit Anfang 2013 ist er bei fernsehserien.de vorrangig für den nationalen Bereich zuständig und schreibt News und TV-Kritiken, führt Interviews und veröffentlicht Specials.

Lieblingsserien: Twin Peaks, Roseanne, Gargoyles – Auf den Schwingen der Gerechtigkeit

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • am

    Vergleich mit Pispers - bißchen hochgegriffen.

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