Zum Start der zweiten Staffel „Dark“: Zeitreise-Drama liefert Countdown zur Apokalypse – Review

Jantje Friese und Baran bo Odar gehen ihren mutigen Weg weiter

Marcus Kirzynowski
Rezension von Marcus Kirzynowski – 20.06.2019, 19:19 Uhr

„Dark“ – Bild: Netflix
„Dark“

SPOILERWARNUNG: Dieser Artikel zur zweiten Staffel von „DARK“ setzt die erste Staffel als bekannt voraus. Netflix hat zu Reviewzwecken für die zweite Staffel vier (von acht) Episoden zur Verfügung gestellt.

Die erste Staffel der ersten deutschen Netflix-Serie „Dark“ endete mit einem der gewagtesten, aber auch genialsten Cliffhanger der jüngeren Seriengeschichte: Nachdem zuvor bereits mehrere Hauptfiguren des Zeitreise-Mysterydramas auf verschiedenen ihnen fremden Zeitebenen verloren gegangen waren, traf es nun die zentrale Figur selbst. Jonas Kahnwald (Louis Hofmann) landet auf einer neu eingeführten Zeitebene, im Jahr 2052, also 33 Jahre in der Zukunft der Haupthandlungsebene, in einem postapokalyptischen Setting. Das Atomkraftwerk, das die ganze Staffel über bedrohlich über der Kleinstadt Winden emporragte, war explodiert und die Überlebenden wirkten, als seien sie geradewegs aus den Terminator-Filmen entlaufen. So etwas muss man sich als Serienmacher erst einmal trauen, insbesondere wenn es um eine deutsche Serie geht. Aber wenn man den Showrunnern Jantje Friese und Baran bo Odar eines nicht absprechen konnte, war es sowieso Mut.

Mehr als eineinhalb Jahre mussten Fans auf die Fortsetzung warten und es dauert eine Weile, bis man angesichts des ausufernden Figurenensembles auf mittlerweile vier Zeitebenen (eine fünfte kommt nun noch hinzu) wieder halbwegs durchblickt, wer eigentlich wer ist. Als Hilfsmittel zur Gedächtnisauffrischung sei die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift Serien Magazin empfohlen, die stammbaumartige Übersichten der wichtigsten Familien mit Fotos der Schauspieler der Figuren in den Jahren 1953, 1986 und 2019 enthält.

Auch in der Serienhandlung ist seit dem Ende von Staffel eins Zeit vergangen, allerdings nur acht Monate. Das erklärt leidlich, warum einige der jugendlichen Darsteller inzwischen doch deutlich älter aussehen. Eine Einblendung zu Anfang lässt uns wissen, dass Winden in der Gegenwart des Jahres 2020 nur noch wenige Tage von der atomaren Apokalypse entfernt ist. Allerdings wiederholen sich diese Einblendungen später – dem ablaufenden Countdown entsprechend angepasst – auch auf den früheren Zeitebenen. Und der mysteriöse Oberbösewicht Noah (Mark Waschke) raunt, bald werde sich „der letzte Zyklus“ vollenden. Heißt das also, dass die Zeit danach aufhört oder alles wieder von vorne anfängt? Ob und wie der Super-GAU des AKWs in der knappen Zeit verhindert werden kann, scheint jedenfalls die zentrale Frage der zweiten Staffel zu sein.


Zunächst einmal muss sich Jonas aber in der unwirtlichen Zukunft mit der paramilitärisch organisierten Bande junger Menschen arrangieren, die ihn im ersten Staffelfinale aufgegriffen hatte. Er erfährt, dass die Ruine des AKWs noch ein großes Geheimnis birgt. Im Sommer 2020 übernimmt ein von auswärts kommender Kommissar (Sylvester Groth, zuletzt großartig in „Deutschland 86“) als Leiter einer neuen Sonderkommission die Ermittlungen in den Windener Vermisstenfällen. Zur Erinnerung: Neben diversen entführten Kindern sitzen inzwischen ja nicht nur Jonas in der Zukunft, sondern auch Mikkel im Jahr 1986 und dessen Vater Ulrich im Jahr 1953 fest. Bei seinen neuen Kollegen stößt der Kommissar auf Ablehnung, insbesondere Charlotte Doppler (Karoline Eichhorn) scheint seine Ermittlungen eher zu behindern. Sie hat nämlich mittlerweile längst durchschaut, dass in Winden viel mehr abgeht, als man einem Außenstehenden plausibel vermitteln könnte.

Das muss auf schockierende Weise auch Hannah Kahnwald (Maja Schöne) erfahren, als ein ungepflegter mittelalter Mann die Tür zu ihrem Haus aufschließt und sich als ihr verschwundener Sohn Jonas vorstellt. Neben dem von Groth gespielten Außenseiter kann – auf einer anderen Zeitebene – auch der bereits pensionierte Kommissar Egon Tiedemann (Christian Pätzold) das Ermitteln nicht lassen. Dabei stößt der sture Ex-Polizist nicht nur auf allerlei Ungereimtheiten, sondern auch auf einen von ihm bereits 33 Jahre zuvor befragten Tatverdächtigen, der zu seiner großen Überraschung immer noch in der Psychiatrie sitzt – und Egon erklärt, dessen kurz bevorstehendes Todesdatum aus der Zeitung zu kennen …


Es ist schon faszinierend, wie Jantje Friese mit ihren Koautoren alle Fäden in der Hand hält, ohne den Überblick über die unzähligen Verknüpfungen zu verlieren. Allerdings wirkt das Ganze inzwischen doch manchmal etwas überkonstruiert. Der Fortgang der Handlung leidet an manchen Stellen unter dem Bemühen, allen Figuren(beziehungen) gerecht zu werden. Einige der tollen Schauspieler der ersten Staffel kommen dabei in den ersten vier Folgen der zweiten viel zu kurz: Jördis Triebel, aber vor allem Oliver Masucci, der als Mikkels Vater Ulrich bislang nur einmal grimmig und schweigend in die Kamera gucken durfte. Insgesamt leidet zumindest die erste Hälfte der Fortsetzung unter den typischen Problemen einer zweiten Staffel: In der ersten waren die Autoren noch frei, eine ganze Welt zu entwerfen, als Zuschauer beobachtete man fasziniert, wie sich diese nach und nach entfaltete und die Beziehungen zwischen den Figuren und den unterschiedlichen Zeitebenen deutlich(er) wurden. Die Folgestaffel muss nun aus all den eingeführten Beziehungen etwas machen, ohne die Erwartungen der Fans zu enttäuschen. Die Handlungen müssen vorangetrieben werden, ohne gleichzeitig schon zu viel des Mysteriums zu verraten – schließlich soll es ja auch noch eine dritte (und finale) Staffel geben. So ziehen sich die neuen Episoden teilweise doch ganz schön.


Worauf sich die Serie und Regisseur bo Odar nach wie vor verstehen, ist Atmosphäre. So gibt es in jeder Folge eine sehr stimmungsvolle Parallelmontage diverser Handlungsstränge, untermalt von stilvoll ausgewählten Independent-Popsongs. Die Szenenmusik von Ben Frost wiederholt sich allerdings zu häufig und nervt aufgrund ihrer ständigen Präsenz inzwischen mehr, als sie zur Spannungssteigerung beitrüge.

„Dark“ hat nach wie vor eine faszinierende Ausgangsidee und die Macher haben mit Staffel eins bewiesen, dass sie über die Fähigkeiten verfügen, diese auch auszugestalten. Zu Beginn von Staffel zwei scheint nun etwas Sand ins zuvor ebenso reibungslos wie die Zeitmaschinen laufende Getriebe der multiplen Handlungen gekommen zu sein. Es hängt von den weiteren Folgen dieser und dann natürlich insbesondere von der Auflösung des Ganzen in der letzten Staffel ab, ob man am Ende auf „Dark“ nicht nur als eine mutige, sondern auch gelungene deutsche Serie zurückblicken wird.

Dieser Text basiert auf Sichtung der ersten vier Episoden der zweiten Staffel der Serie „Dark“.

Meine Wertung: 3,5/​5


Marcus Kirzynowski
© Alle Bilder: Netflix


Bei Netflix wird die zweite Staffel der Serie „Dark“ mit ihren acht Folgen am 21. Juni 2019 veröffentlicht.

Über den Autor

Marcus Kirzynowski ist Düsseldorfer Journalist und Serienfreund; wuchs mit „Ein Colt für alle Fälle“, „Dallas“ und „L.A. Law“ auf; Traumarbeitgeber: Fisher & Sons, County General Notaufnahme; die Jobs auf dem Battlestar Galactica und im West Wing wären ihm hingegen zu stressig; Wunschwohnort: Cicely, Alaska. Schreibt über amerikanische und europäische TV-Serien sowie andere Kultur- und Medienthemen, u.a. für fernsehserien.de und sein eigenes Online-Magazin Fortsetzung.tv.

Lieblingsserien: Six Feet Under, Emergency Room, The West Wing

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