„The Stolen Girl“: Entführungsthriller mit „Andor“-Star Denise Gough macht es sich zu einfach – Review

Verschwinden einer Neunjährigen im Zentrum der Romanadaption

Christopher Diekhaus
Rezension von Christopher Diekhaus – 15.04.2025, 13:41 Uhr

Der Hauptcast von „The Stolen Girl“ (von links nach rechts): Holliday Grainger, Denise Gough und Ambika Mod – Bild: Disney+
Der Hauptcast von „The Stolen Girl“ (von links nach rechts): Holliday Grainger, Denise Gough und Ambika Mod

„The Stolen Girl“, eine Verfilmung von Alex Dahls Roman „Playdate“, spielt mit einer der größten elterlichen Angstvorstellungen: Was, wenn mein Kind spurlos verschwindet? Selbst wer keinen eigenen Nachwuchs hat, dürfte sich gut hineinfühlen können in den Albtraum, den in der britischen Miniserie das Ehepaar Elisa (Denise Gough, „Star Wars: Andor“) und Fred Blix (Jim Sturgess, „Home Before Dark“) durchleben muss. Zeit zur Eingewöhnung in die Story-Welt lässt uns Schöpferin Catherine Moulton („Then You Run“) nicht. Schon nach wenigen Minuten ist das Entführungsszenario etabliert, das fortan die Spannung hochhalten soll. Den Fuß gleich aufs Gaspedal zu stellen, kann wirkungsvoll sein. In diesem Fall geht die Rechnung allerdings nur bedingt auf. „The Stolen Girl“ erlaubt sich in seinen fünf Kapiteln zu viele erzählerische Nachlässigkeiten, um aus der griffigen Prämisse mehr als einen an der Oberfläche bleibenden 08/​15-Thriller zu machen.

Etwas skeptisch ist Elisa anfangs schon, als ihre Tochter Lucia (Beatrice Cohen) darum bittet, bei ihrer neuen Schulfreundin Josie (Robyn Betteridge, „My Lady Jane“) zu schlafen. Immerhin wäre das für die Neunjährige die erste Übernachtung ohne ihre Eltern. Josies Mutter Rebecca (Holliday Grainger, „C.B. Strike“) scheint kein Problem damit zu haben. Und als Elisa sieht, in welch prächtigem Eigenheim die Familie residiert, sind alle Zweifel weggewischt. Wer so wohnt, glaubt sie, kann eigentlich nur ein vertrauenswürdiger Mensch sein!

Chefermittlerin Shona Sinclair (Bronagh Waugh, links), Elisa Blix (Denise Gough) und ihr Ehemann Fred (Jim Sturgess) treten nach dem Verschwinden vor die Presse. Disney+

Am nächsten Tag kommt dann aber der große Schock: Rebecca bringt Lucia nicht zur verabredeten Zeit zurück. Elisa und Fred suchen daher noch einmal die Villa auf – und erfahren von einer Putzkraft, dass es sich bei dem luxuriösen Bau um ein Mietferienhaus handelt. Die umgehend alarmierte Polizei beruft daraufhin eine Pressekonferenz ein, auf der sich Elisa direkt an Rebecca wendet. Rasch zeichnet sich ab, dass Lucias Entführung akribisch geplant wurde. Doch warum hat es ausgerechnet sie getroffen?

Diese Frage beschäftigt auch die Lokaljournalistin Selma Desai (Ambika Mod, „Zwei an einem Tag“), die ihrem Vorgesetzten Kaleb Negasi (Michael Workeye, „This is Going to Hurt“) bereits früh sinngemäß versichert: Es hat immer mit der Geschichte der Mutter zu tun! Offenbar verfügt sie über ein starkes Bauchgefühl. Ein bisschen weit hergeholt scheint es allerdings schon, als sie allein anhand von Elisas Social-Media-Historie beunruhigende Rückschlüsse zieht. Irgendwie mit der Sache zu tun hat außerdem ein im Gefängnis sitzender Mann namens Marcus Turner (Xavier Samuel, „Apple Cider Vinegar“), der Zeitungsberichte über den Entführungsfall in seiner Zelle sammelt.

Mit Blick auf Freds anwaltliche Tätigkeit als Hintergrund der Tat müssen wir an dieser Stelle nicht lange um den heißen Brei herumreden. Denn die Serie gibt sich keine große Mühe, zu verschleiern, dass seine Nähe zu Personen aus der Unterwelt nur eine falsche Fährte ist. „The Stolen Girl“ dreht sich in erster Linie um die Mutterfiguren und verortet den Auslöser für das Kidnapping im persönlichen Bereich. Das lässt sich spätestens nach der zweiten Episode sagen.

Die Journalistin Selma Desai (Ambika Mod) beweist einen guten Riecher. Disney+

Wie es im Krimi- und Thriller-Genre üblich ist, bringt Lucias Verschwinden unschöne Wahrheiten im so perfekt wirkenden Leben der Blix-Familie ans Tageslicht – weshalb Elisa und Fred schon bald an unterschiedlichen Strängen ziehen. Wo es eigentlich sinnvoll wäre, sich gegenseitig zu stärken, entfernen sich die Ehepartner zusehends voneinander. Während der recht profillose Fred immerhin präsent bleibt, fällt der gemeinsame Sohn George (Paulie Bovingdon) fast komplett aus der Geschichte heraus. Bezeichnend: Eine Sozialarbeiterin, die seinetwegen auftaucht, verschwindet ebenso plötzlich, wie sie gekommen ist. Der dramaturgische Sinn? Nebulös!

Erforschen möchte die Serie vor allem die Mutterrolle und die Frage, wie Elisa und Rebecca mit schmerzhaften Erfahrungen umgehen. Kritik richtet sich nicht nur gegen gesellschaftliche Erwartungen, die Mütter massiv unter Druck setzen. Aufgespießt wird in „The Stolen Girl“ auch das Verhalten sogenannter Momfluencerinnen, die ihr Familienleben und damit auch ihre Kinder in den sozialen Medien ins Rampenlicht zerren. Dass die online sehr aktive Elisa nach der Entführung in Eigenregie Kampagnen startet und Aufrufe postet, wird von vielen Seiten negativ gesehen. Verdenken kann man es ihr aber nicht. Denn irgendwie kommt es einem so vor, als bliebe die Polizei weitgehend untätig. Anders als behauptet, drehen die Ermittler um DI Shona Sinclair (Bronagh Waugh, „Ridley“) keineswegs jeden Stein um. Zumindest hat man nie das Gefühl, dass hier mit Hochdruck an dem Fall gearbeitet wird.

Erfolge bei den Nachforschungen hat hingegen in schöner Regelmäßigkeit die Reporterin Selma, der die Serie auch einige belanglose Einblicke ins Privatleben spendiert. Die Drehbücher legen besonders bei vielen ihrer Aktionen eine ärgerliche Bequemlichkeit an den Tag. Natürlich spielt der Faktor Glück auch im journalistischen Alltag eine Rolle. Selma fliegen die Informationen allerdings nur so zu. Ein paar echte Widerstände, ein paar Sackgassen hätte ihre Suche nach Antworten durchaus vertragen können.

Warum entführt Rebecca (Holliday Grainger) die kleine Lucia? Disney+

Ebenfalls nicht ganz plausibel ist Lucias Verhalten, als sie in einem einsam gelegenen Haus im von der Sonne verwöhnten Südfrankreich landet (die Bilder in England sehen etwas grauer aus). Die Angst, die ein Kind, das seinen Eltern entrissen wurde, verspüren müsste, ist in Windeseile verflogen. Und nicht nur das. Die Neunjährige fügt sich auch noch erstaunlich schnell in die ihr zugedachte Rolle ein.

Die Serie hat sicherlich ihre spannenden Momente. Denise Gough und Holliday Grainger gehen ihre Rollen mit dem nötigen Feuer an. Insgesamt hält sich die Sogkraft der Romanadaption jedoch in Grenzen. Zu vorhersehbar sind manche Wendungen. Zu platt geraten einige Enthüllungen, die den Charakteren eigentlich mehr Kontur verleihen sollen. Wenn etwa traumatische Kindheitserlebnisse in der Abschlussfolge im Vorbeigehen in das Geschehen hineingepresst werden, bleibt die verstörende Wirkung eher klein. Irrationales Verhalten begünstigt den leidlich fesselnden Showdown, der – wie so viele Passagen mit Twist- oder Actionanteil – von betont dramatischer Musik begleitet wird. Am Ende ist klar, dass die mit großer Intuition gesegnete Sami schon immer Recht hatte: Du kannst vor deiner Vergangenheit davonlaufen, irgendwann holt sie dich aber ein! Ein Klischee, das mindestens auf die Hälfte aller Krimi- und Thriller-Werke zutrifft …

Dieser Text basiert auf der Sichtung aller fünf Folgen der Miniserie „The Stolen Girl“.

Meine Wertung: 2,5/​5

Die komplette Miniserie „The Stolen Girl“ ist ab Mittwoch, dem 16. April auf Disney+ verfügbar.

Über den Autor

Christopher Diekhaus, Jahrgang 1985, erlebte seine TV-Sozialisation in den 1990er-Jahren. Seine echte Liebe für den Flimmerkasten entbrannte allerdings erst gegen Ende der Schulzeit. Nach seinem Studium landete er zunächst in einer Film- und Fernsehproduktionsfirma. Seit 2013 schreibt Christopher als Freiberufler Film- und Serienkritiken. Das Portal fernsehserien.de unterstützt er seit Ende 2019. Im Meer der Veröffentlichungen die Perlen zu entdecken – diese Aussicht spornt ihn immer wieder an. Insgeheim hofft er, irgendwann eines seiner in der Schublade liegenden Drehbücher zu verkaufen. Bis er den Oscar in Händen hält, sichtet und rezensiert er aber weiter fleißig die neuesten Serien.

Lieblingsserien: Devs, Lass es, Larry!, Severance

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • am

    Die Serie macht schon vom Cover her wenig Spaß, wenn einen diese drei frustrierten Frauen anschauen. Zum Glück nutze ich eh kaum Disney+.

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