„The Plot Against America“: So relevant ist die Serie für die Gegenwart – Review

David Simon macht Philip Roths Roman zum Statement gegen Populismus

Marcus Kirzynowski
Rezension von Marcus Kirzynowski – 17.03.2020, 19:30 Uhr

„The Plot Against America“ – Bild: HBO
„The Plot Against America“

Bereits 2004 veröffentlichte Bestsellerautor und Literaturnobelpreisanwärter Philip Roth den Roman „The Plot Against America“ (auf Deutsch: „Verschwörung gegen Amerika“). Die in einem alternativen Geschichtsverlauf angesiedelte Handlung passt so perfekt zur derzeitigen Stimmung in den USA unter Donald Trump, dass eine filmische Adaption zum jetzigen Zeitpunkt auf der Hand lag. Weniger naheliegend war, dass ausgerechnet HBOs Vorzeigeautor/​-produzent David Simon sich des Stoffs annehmen würde, ist der doch bislang nur für realitätsgeschwängerte (Großstadt-)Dramen wie „The Wire“ und „The Deuce“ bekannt und hatte mit „Was wäre, wenn …“-Szenarien noch nie etwas zu tun. Nun hat er also Roths Roman gemeinsam mit seinem langjährigen Schreibpartner Edward Burns für seinen Stammsender zur sechsteiligen Miniserie „The Plot Against America“ entwickelt. Durch die Augen einer jüdischen Mittelschichtsfamilie in Newark, New Jersey, erleben wir mit, welchen dramatischen Verlauf die US-Geschichte hätte nehmen können, wenn der Luftfahrtpionier und Volksheld Charles Lindberg 1940 die Präsidentschaftswahl gegen Amtsinhaber Franklin D. Roosevelt gewonnen hätte.

Als Lindberg von den Republikanern für das höchste Staatsamt nominiert wird, wächst die Sorge unter der jüdischen Bevölkerung, da er für seine antisemitischen Ansichten und Nähe zu Nazi-Deutschland bekannt ist. Mit dem Versprechen, die USA aus dem Zweiten Weltkrieg herauszuhalten, punktet der Atlantikflieger jedoch bei der (weißen, protestantischen) Bevölkerungsmehrheit. Seinem Wahlkampf hilft auch, dass sich der Rabbiner Lionel Bengelsdorf (John Turturro, „The Night Of“) für ihn stark macht. Wenn ein jüdischer Geistlicher ihn unterstützt, kann er ja schließlich kein Antisemit sein …

Während sich die wesentlich jüngere Evelyn Finkel (Winona Ryder, „Stranger Things“) in den Rabbiner verliebt und in seiner politischen Arbeit unterstützt, sieht deren Schwester Elizabeth „Beth“ Levin (Zoe Kazan), die mit ihrem Ehemann Herman (Morgan Spector) und den zwei Kindern in einer Vorortidylle lebt, die drohende Gefahr und möchte am liebsten nach Kanada auswandern. Das kommt für Herman, einen erfolgreichen Versicherungsvertreter und stolzen Amerikaner, aber nicht in Frage. Er vertraut auf Recht und Gesetz und die Vernunft seiner weißen Landsleute.

Ungleiche Schwestern: Evelyn Finkel (Winona Ryder) und Elizabeth „Beth“ Levin (Zoe Kazan). HBO

Am Ende der zweiten Episode wird Lindberg tatsächlich gewählt. Rabbi Bengelsdorf wird zum Sonderberater der First Lady und Leiter eines Austauschprogramms, mit dem jüdische Jugendliche die Kultur des amerikanischen Kernlands, also des Mittleren Westens, kennenlernen sollen. Später kommt noch ein Gesetz hinzu, dass private Unternehmen faktisch zwingt, ihre jüdischen Angestellten dauerhaft von der Ostküste in die Provinz zu versetzen. Während Hermann versucht, sich mit allen juristischen Mitteln dagegen zu wehren, verschlechtert sich das gesellschaftliche Klima für Juden zunehmend, bis es schließlich zu ersten Gewalttaten kommt …

Simon und Burns lassen sich viel Zeit, um ihre Geschichte zu entfalten. Die ersten Episoden dienen im Grunde nur dazu, die zentralen Figuren einzuführen und das Setting zu etablieren. Selbst nachdem Lindberg im Amt ist, ändert sich die gesellschaftliche Stimmung nur sehr langsam und zunächst subtil. Während eines Urlaubs in der Hauptstadt Washington werden die Levins erstmals konkret mit Antisemitismus konfrontiert. Richtig dramatisch wird die Handlung erst in der letzten Folge. Simon bleibt hier seinem Erzählstil treu, der ja schon immer mehr Interesse an politischen oder sozialen Diskussionen zwischen den Figuren zeigte als am Weitertreiben einer Handlung im engeren Sinn.

Gibt dem Zuschauer die Perspektive: Philip (Azhy Robertson) HBO

Als cleverer Ansatz, die emotionale Involviertheit der Zuschauer zu erhöhen, erweist sich, dass weite Teile des Geschehens aus der Sicht des jüngsten Sohnes der Levins, des siebenjährigen Philip (Azhy Robertson) – im Roman das Alter Ego von Autor Philip Roth selbst – , erzählt werden. Der ist zwar sehr aufgeweckt, versteht altersbedingt aber trotzdem öfter noch schwerer als die Erwachsenen, was um ihn herum passiert. Eine besondere Rolle spielt auch die schon ganz zu Anfang eingeführte Beziehung Philips zu dem Nachbarjungen Seldon (Jacob Laval). Die zunächst etwas widerwillige Freundschaft zu dem Außenseiter sorgt in der letzten Folge für die emotionalsten Momente der Serie.

Herman (Morgan Spector) ist ein optimistischer Familienvater, der versucht, seine Familie durch schwierige Zeiten zu manövrieren. HBO

Intellektuell betrachtet ist es ohnehin hervorragend, was Roth, Simon und Burns hier auffächern: Fragen nach (vordergründig) pazifistischem Isolationismus versus humanitärem Interventionismus (während sich die USA unter Lindberg aus dem Krieg heraushalten, kämpft Hermans Neffe mit der kanadischen Armee in Europa gegen die Nazis), dem Schüren von Vorurteilen, das gesellschaftlich ohnehin latent vorhandenen Antisemitismus oder Rassismus zum Ausbruch bringt, und danach, wie man sich als Betroffener am besten dagegen verhält, sind heute leider immer noch genauso aktuell wie zur Zeit der Handlung. Natürlich sind besonders die Parallelen zur Präsidentschaft Donald Trumps (Slogan: Make America Great Again) offensichtlich: So war Lindberg tatsächlich Sprecher eines America-First-Kommitees. Und spätestens, wenn eine Hauptfigur über den fiktiven Präsidenten sagt, er sei ungeeignet für dieses Amt, ist klar, wen die Serienautoren mit dieser Feststellung noch meinen.

Der Geistliche im Zentrum der Politik: John Turturro als Rabbi Lionel Bengelsdorf. HBO

Besonders interessant sind auch die Figuren des Rabbiners – den Turturro mit einer fast schmerzenden Mischung aus Überheblichkeit und Naivität spielt – und seiner Ehefrau, die als klassische Kollaborateure erst merken, dass sie gegen die Interessen und die Sicherheit ihrer eigenen Volksgruppe gearbeitet haben, als es zu spät ist. Auch das erinnert an Frauen oder Afro-Amerikaner, die Donald Trump trotz seiner sexistischen und rassistischen Äußerungen verteidigen – schließlich sei er im Grunde doch ein „anständiger Kerl“. So gibt es zu allen Zeiten Menschen, die nicht sehen wollen, was nicht sein darf.

Getragen von einem durchweg hervorragenden Ensemble und stilvoll inszeniert von Minkie Spiro („Downton Abbey“) und Thomas Schlamme („The West Wing“) erzählen Simon und Burns eine wichtige Geschichte, die allerdings zu viel Zeit braucht, um richtig Fahrt aufzunehmen. Es dauert deshalb im Grunde bis zur letzten Folge, bis einen das Gezeigte nicht nur intellektuell, sondern auch emotional bewegt.

Dieser Text basiert auf Sichtung der kompletten Miniserie „The Plot Against America“.

Meine Wertung: 4/​5

HBO zeigt „The Plot Against America“ seit dem 16. März 2020. Sky bietet die Episoden immer am Folgetag im Originalton über seine Digitalkanäle Sky Ticket, Sky Q und Sky Go an. Die lineare Ausstrahlung erfolgt ab dem 13. Mai bei Sky Atlantic HD: Die sechs Episoden der Miniserie werden dann immer in Doppelfolgen mittwochs ab 20:15 Uhr gezeigt.

Über den Autor

Marcus Kirzynowski ist Düsseldorfer Journalist und Serienfreund; wuchs mit „Ein Colt für alle Fälle“, „Dallas“ und „L.A. Law“ auf; Traumarbeitgeber: Fisher & Sons, County General Notaufnahme; die Jobs auf dem Battlestar Galactica und im West Wing wären ihm hingegen zu stressig; Wunschwohnort: Cicely, Alaska. Schreibt über amerikanische und europäische TV-Serien sowie andere Kultur- und Medienthemen, u.a. für fernsehserien.de und sein eigenes Online-Magazin Fortsetzung.tv.

Lieblingsserien: Six Feet Under, Emergency Room, The West Wing

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