„The Franchise“: Alles super? Zu selten! – Review

Satire über Dreh einer fiktiven Comic-Produktion könnte lustiger sein

Christopher Diekhaus
Rezension von Christopher Diekhaus – 05.12.2024, 17:30 Uhr

Probleme im Minutentakt muss Daniel (Himseh Patel), der erste Regieassistent beim Dreh von „Tecto: Eye of the Storm“, lösen – Bild: Colin Hutton/HBO
Probleme im Minutentakt muss Daniel (Himseh Patel), der erste Regieassistent beim Dreh von „Tecto: Eye of the Storm“, lösen

Niemand weiß irgendetwas! Mit diesem legendären Satz beschrieb der preisgekrönte Drehbuchautor William Goldman („Zwei Banditen“, „Die Unbestechlichen“) einst die Hollywood-Industrie auf denkbar prägnante Weise. Was er damit sagen wollte? Keiner im Filmgeschäft hat ein Patent auf Erfolg. Einiges hängt von glücklichen Faktoren ab. Selbst die Besten greifen mal daneben. Seine Sicht auf die Kinomaschinerie könnte auch als Überschrift über der von Jon Brown („Succession“) kreierten Satire „The Franchise“ stehen, die hinter die Kulissen einer im Chaos versinkenden Superheldenproduktion blickt. Mit Sam Mendes („James Bond 007: Spectre“) und Armando Iannucci („Veep“) sind an der achtteiligen HBO-Serie kreative Hochkaräter beteiligt. Rundum überzeugen können die ersten vier Episoden jedoch nicht – auch wenn es immer wieder gelungene Momente gibt.

Dass es bei Filmdrehs manchmal turbulenter zugeht, als es die Aussagen von Beteiligten in Promotouren nahelegen, sickert hier und da in Medienberichten durch. Eigentlich ist es aber auch nur logisch. Denn am Set sind viele unterschiedliche Gewerke involviert, müssen unzählige Rädchen ineinandergreifen. Ständig gilt es, Informationen über mehrere Ecken zu kommunizieren. Andauernd stellen sich unter Zeitdruck technische und logistische Herausforderungen. Und dann sind da noch die Egos einiger Filmemacher, Schauspieler und Produzenten, die ebenfalls den Ablauf massiv durcheinanderbringen können. Großprojekte wie Superheldenfilme kurbelt man nicht einfach so herunter. Vielmehr entpuppen sie sich oft als gewaltige Kraftakte – für alle Mitwirkenden.

Was es heißt, einen solchen Film zu organisieren, führt uns der in der Auftaktepisode regieführende Sam Mendes gleich zu Beginn in einer amüsanten Plansequenz, also einer längeren Einstellung ohne Schnitt, vor Augen. Dag (Lolly Adefope) tritt am 34. Drehtag des fiktiven Comic-Franchise-Beitrags „Tecto: Eye of the Storm“ ihren Dienst als dritte Regieassistentin an und eilt mit Daniel (Himesh Patel), dem ersten Regieassistenten, durch die wuselige Produktionshalle, in der die Kameras in Kürze laufen sollen. Zeit für ein paar ruhige Worte bleibt dabei nicht. Denn kontinuierlich prasseln Informationen und schlechte Nachrichten auf Daniel ein. Zuhören, einen kühlen Kopf bewahren und in Sekundenschnelle Entscheidungen treffen – darauf ist der junge Mann geeicht. Selbst die verrücktesten Dinge müssen geklärt werden, damit der Dreh vernünftig über die Bühne gehen kann.

Regisseur Eric (Daniel Brühl, vorne links) und seine persönliche Assistentin Steph (Jessica Hynes, vorne rechts) haben alle Hände voll zu tun, den Film auf Kurs zu halten.Colin Hutton/​HBO

Der Einstieg macht Lust auf mehr und gibt nicht nur durch die kontinuierliche Bewegung und die wummernde Musikuntermalung ein gutes Tempo vor. Auch die Dialoge sind und bleiben im Folgen meistens schmissig. Will man alle Anspielungen erfassen, ist erhöhte Aufmerksamkeit gefragt. Denn wie es sich für eine Satire auf das Filmgeschäft gehört, fallen regelmäßig bekannte Namen, wobei sich „The Franchise“ zuweilen recht naheliegende Ziele aussucht. Beispielsweise wird Ron Howards Image als zuverlässiger Hollywood-Handwerker ohne große visionäre Kraft erwähnt. Weil mit Eric (Daniel Brühl, der in den Marvel-Titeln „The First Avenger: Civil War“ und „The Falcon and the Winter Soldier“ selbst Erfahrungen mit Superheldenproduktionen sammelte) ein deutscher Autorenfilmer bei „Tecto: Eye of the Storm“ das Zepter schwingt, gibt es mehrere Verweise auf Regieexzentriker Werner Herzog, der vor allem in den USA Kultstatus genießt.

Die „The Franchise“-Macher haben sich sich allerhand Katastrophen ausgedacht, die den fortlaufend rotierenden, erstaunlicherweise fast nie aus der Haut fahrenden Daniel vor immer neue Probleme stellen. Das Studio findet bisher gedrehtes Material zu düster, drückt Eric zusätzliche Lichtquellen aufs Auge, was den Schauspielern allerdings schlecht bekommt. Nebenfiguren müssen urplötzlich aus dem Film verschwinden, da sie in einem anderen Beitrag der Comic-Reihe, der vor „Tecto: Eye of the Storm“ starten wird, bereits ihr Leben lassen. Eric möchte unbedingt ambitionierte Themen wie Fracking in sein Werk einarbeiten und tut sich schwer, in entscheidenden Momenten durchzugreifen. Theatermime Peter (geht seine Over-the-top-Rolle genüsslich an: Richard E. Grant) wiederum lässt keine Gelegenheit aus, den unsicheren Hauptdarsteller Adam (Billy Magnussen) aus der Fassung zu bringen. Zu allem Überfluss wird auch noch der Produzent gefeuert und durch Daniels Ex-Freundin Anita (Aya Cash) ersetzt, die wenig für den Superheldendreh übrig hat, ihn nur als Sprungbrett nutzen will, um richtige Filme zu machen. Martin Scorseses vor einigen Jahren geäußerte Kritik am Marvel-Universum, das seiner Meinung mehr Freizeitpark als Kino sei, scheint da ein wenig durch.

Handfester Leerlauf stellt sich in den ersten vier Episoden (Laufzeit: unter 30 Minuten) nicht ein. Die Macher schütteln durchaus gelungene Pointen aus dem Ärmel, zeigen auf, welche Absurditäten eine Filmproduktion aus der Bahn werfen können, und ziehen die Formeln der großen Franchise-Projekte mit ihren zusammenhängenden, irgendwann beliebig werdenden Erzähluniversen lustvoll durch den Kakao. Wirklich witzig ist etwa die Idee, ständig die Wünsche von Studioboss Shane zu betonen, ohne dass wir diesen zu Gesicht bekommen. Wie eine unsichtbare Gottheit schwebt er über „Tecto: Eye of the Storm“ und glaubt, selbst Dinge besser zu wissen, die sich andere ausgedacht haben.

Schauspielveteran Peter (Richard E. Grant, rechts) spielt mit dem mangelnden Selbstvertrauen von Hauptdarsteller Adam (Billy Magnussen, links).Colin Hutton/​HBO

Daneben gibt es leider aber auch diverse Gags und Situationen, die zu durchschaubar oder platt sind, um laute Lacher zu produzieren. In einer Szene etwa läuft der Studioabgesandte Pat (Darren Goldstein) neben der auf ihn einredenden dritten Regieassistentin Dag her und hat deutlich sichtbar Kopfhörer in den Ohren. Dass seine kurzen Antworten nicht ihr gelten, sondern seinem Gesprächspartner am Handy und er Dag deshalb irgendwann anraunzt, die Klappe zu halten, ist alles andere als überraschend.

Trotz der Kuriositäten, die „The Franchise“ auffährt, wird man das Gefühl nicht los, dass man die Konflikte und Probleme noch mehr eskalieren lassen, den Episodenplots einen noch wilderen Dreh geben könnte. Manche Aspekte, unter anderem die frühere Beziehung von Daniel und Anita, reizt die Serie zudem nur halbherzig aus. Gerade hier bestünde die Möglichkeit, den Figuren zusätzliches Profil zu verleihen.

Was ebenfalls zu beachten ist: Filme und Serien über die Kino- und Fernsehbranche gibt es schon viele. Und demzufolge sind auch die Abgründe und Skurrilitäten des Geschäfts gut erforscht. Dass einige Leinwandstars gewaltige Egoprobleme haben und in den Studios so mancher profitgierige, sexistische Zyniker sitzt, dem Kunst nichts bedeutet und der sein Fähnchen bloß nach dem Wind dreht, sind keine neuen Erkenntnisse. Im konkreten Fall darf man auch die Frage stellen, ob „The Franchise“ in Zeiten zunehmender Superheldenmüdigkeit nicht ein bisschen spät kommt. Andere Leinwand- und TV-Werke – man denke an „Birdman oder (die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)“ und „The Boys“ – haben in den letzten Jahren nämlich bereits das Comic-Franchise-Kino kommentiert und persifliert. Wenig verwunderlich also, dass manche Witze in der nun bei Sky startenden HBO-Produktion etwas abgestanden riechen.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten vier von insgesamt acht Folgen der Serie „The Franchise“.

Meine Wertung: 3/​5

Die ersten vier Episoden von „The Franchise“ sind am 6. Dezember ab 20:15 Uhr auf Sky Atlantic zu sehen. Eine Woche später erscheinen dort, ebenfalls um 20:15 Uhr, die restlichen vier Folgen. Die gesamte Serie ist außerdem ab dem 6. Dezember über WOW abrufbar.

Über den Autor

Christopher Diekhaus, Jahrgang 1985, erlebte seine TV-Sozialisation in den 1990er-Jahren. Seine echte Liebe für den Flimmerkasten entbrannte allerdings erst gegen Ende der Schulzeit. Nach seinem Studium landete er zunächst in einer Film- und Fernsehproduktionsfirma. Seit 2013 schreibt Christopher als Freiberufler Film- und Serienkritiken. Das Portal fernsehserien.de unterstützt er seit Ende 2019. Im Meer der Veröffentlichungen die Perlen zu entdecken – diese Aussicht spornt ihn immer wieder an. Insgeheim hofft er, irgendwann eines seiner in der Schublade liegenden Drehbücher zu verkaufen. Bis er den Oscar in Händen hält, sichtet und rezensiert er aber weiter fleißig die neuesten Serien.

Lieblingsserien: Devs, Lass es, Larry!, Severance

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