Birdman oder (die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)

Riggan Thompson war ein Kinoidol. Als er es trotz Millionengagen nicht mehr über sich bringen konnte, ein viertes Mal für die Rolle des «Birdman» ins Superheldenkostüm zu schlüpfen, und ihn in einer anderen Rolle niemand sehen wollte, war es mit Riggans Hollywood-Karriere schnell vorbei.

Nun setzt der in die Jahre gekommene Schauspieler alles auf eine Karte, um als Künstler endlich Anerkennung zu bekommen. Er adaptiert ein Theaterstück von Raymond Carver und bringt es zugleich als Regisseur und Hauptdarsteller amtend am Broadway auf die Bühne. Mit Mike stösst zuletzt ein Ko-Star zur Truppe, der dem Stück bei der Kritik und an der Kasse zu Erfolg verhelfen dürfte. Doch der arrivierte Bühnenschauspieler erweist sich nicht nur im zwischenmenschlichen Umgang als exzentrisch, sondern macht Riggan auch unverhohlen das Rampenlicht streitig.

Riggan entgleitet wenige Tage vor der Premiere die Kontrolle über das Stück, seine Besetzung sowie seine Tochter , die sich frisch vom Drogenentzug als Assistentin versucht. Verlass ist nicht mal auf Riggan Thompsons Verbündeten, der ihm als Stimme im Kopf und in Halluzinationen all die Jahre die Treue hielt und sich auch nun wieder in sein Bewusstsein drängt: Birdman.

Die Geschichte Riggan Thompsons von Aufstieg und Fall in Hollywood ist ein Stück weit auch jene von «Birdman»-Hauptdarsteller Michael Keaton, der als maskierter Rächer in Tim Burtons «Batman» Ende der Achtzigerjahre die derzeitige Superheldenmanie vorwegnahm und nach «Batman Returns» von der Bildfläche verschwand. Aus dieser Parallele schlägt der ambitionierte Filmemacher Alejandro González Iñárritu maximales Potenzial, er zwingt Keaton bei dieser Nabelschau zu einer schauspielerischen Höchstleistung.

Der mexikanische Regisseur mutet sich und seinem nicht weniger talentierten Kameramann Emmanuel Lubezki ebenfalls eine Tour de Force zu, indem er den fast zweistündigen Film vermeintlich in einer einzigen Einstellung inszeniert und die spärlichen Schnitte kaum zu erkennen sind. Das Resultat ist ein fiebriges Erlebnis vor, hinter und hoch in den Lüften über der Bühne am Broadway, eine zitaten- und pointenreiche Auseinandersetzung mit dem dramatischen Kulturbetrieb und eine Abrechnung mit dem aktuellen Superheldenkino. (Text: SRF)