„Schnee“: Der Berg ruft auch in Zeiten des Klimawandels – Review

Mystery-Miniserie bei arte überzeugt visuell stärker als erzählerisch

Marcus Kirzynowski
Rezension von Marcus Kirzynowski – 08.11.2023, 17:30 Uhr

„Schnee“ mit (v. l.) Laeni Geiseler, Brigitte Hobmeier und Marie-Luise Stockinger – Bild: X-Filme Produktion/Oliver Opitz
„Schnee“ mit (v. l.) Laeni Geiseler, Brigitte Hobmeier und Marie-Luise Stockinger

Wenn ein Dorf schon Rotten heißt, ist von seinem gesellschaftlichen Zustand nicht viel zu erwarten. Und wenn eine uralte Einwohnerin den Namen Aurelia trägt, einer uralten Legende anhängt und sich selbst als Wächterin bezeichnet, lässt das nicht unbedingt Gutes über die Qualität des Drehbuchs erwarten. Sprechende Namen sind aber eher noch das kleinste Problem der Mystery-Miniserie „Schnee“.

In sechs Episoden erzählt die österreichisch-deutsche Produktion, die in Deutschland zuerst bei arte und etwas später im Ersten zu sehen ist, von einer jungen Familie, die (zurück) in das Tiroler Alpendorf zieht und bald auf merkwürdige Vorkommnisse und dunkle Geheimnisse stößt. Die von Michaela Taschek kreierte Serie ist irgendwo zwischen Naturmystik und klassischem Gruseldrama angesiedelt, bei der eine zunächst ahnungslose Kleinfamilie im Mittelpunkt der Ereignisse steht und schließlich um ihre Leben fürchten muss. Die ORF/​ARD-Produktion setzt dabei auf bekannte Gesichter wie die von Robert Stadlober (jung bekannt geworden durch „Crazy“), Stipe Erceg („Die fetten Jahre sind vorbei“) und die österreichischen Altstars Maria Hofstätter („Braunschlag“) und Karl Fischer („Donna Leon“).

Der junge Familienvater Matthi Hofer (Stadlober) stammt aus Rotten, ist vor vielen Jahren in die Großstadt gezogen und kehrt nun mit Ehefrau Lucia (Brigitte Hobmeier, „Souls“) und den gemeinsamen Kindern Alma (Laeni Geiseler) und Jonas (Paolo di Sapia) zurück, weil Alma Asthma hat und die klare Bergluft ihr gut tun würde. Doch das Dorf, das vom Skitourismus lebt, steckt in einer ökonomischen Krise, weil der Schnee immer öfter ausbleibt und bei zunehmend steigenden Temperaturen auch die Schneekanonen nicht mehr helfen. Trotzdem will Matthis Vater Bruno (Fischer) eine neue Bergstation für die Seilbahn bauen, inklusive Gastronomie und Disko. Nicht nur er hält das für die einzige Rettung. Die junge Valentina (Marie-Luise Stockinger), die den Dorfladen übernommen hat, wirkt mit ihren Einwänden, dass die dafür notwendige Sprengung eines Berggipfels ökologischer Wahnsinn und der Klimawandel eh nicht umkehrbar sei, wie die sprichwörtliche Ruferin in der (Schnee-)Wüste: Kritische Einwände sind in dieser Dorfgemeinschaft unerwünscht.

Versuchen, sich im Dorf einzurichten: Matthi Hofer (Robert Stadlober) und seine Ehefrau Lucia (Brigitte Hobmeier) X-Filme Produktion/​Oliver Oppitz

Während sich Matthi zunächst scheinbar problemlos wieder in sein altes Dorf integriert, sieht Lucia schon bald überall mysteriöse Dinge: Ihre kleine Tochter Alma erzählt, nachts einen Ring von einer jungen Frau mit roten Haaren bekommen zu haben. Eine Frau, auf die diese Beschreibung passt, wird kurz darauf tot in einem tauenden Gletscher gefunden. Es ist Marianne (Matilda Cunietti), die vor 40 Jahren bisher spurlos verschwand. Die Obduktion ergibt, dass sie erschlagen wurde. Im Leichenschauhaus trifft Lucia einen Mann, der sich von der Toten verabschieden will – er sei ihr damaliger Freund Jakob (Anton Algrang). Aber von Matthi erfährt Lucia, dass der vor Jahrzehnten bei einem Unfall gestorben sei. Seltsam ist auch, dass die schwangere Marianne – die damals als Einzige schon gegen die Umweltzerstörung protestierte – am selben Tag verschwand, an dem Lucia geboren wurde. Und der (un-)tote Jacob offenbart ihr, dass sie ihre gemeinsame Tochter Lucia nennen wollten.

Das klingt alles nach herkömmlichen Mystery-Tropen – und sonderlich originell ist „Schnee“ auch wirklich nicht, zumindest nicht, was die Geschichte angeht. Zu den genreüblichen Geheimnissen und rational unerklärlichen Geschehnissen kommen die Konflikte innerhalb der Familie Hofer, die sich in den letzten Folgen bis ins Unglaubwürdige steigern. Spätestens, wenn dann die wie eine nette spießige Oma wirkende Maria (Hofstätter) mit Gewehr auf Menschenjagd geht, erscheint das eher lächerlich als folgerichtig.

Die mit dem Wolf spricht: Alma (Laeni Geiseler) X-Filme Produktion/​Oliver Oppitz

Kreativer und auch stimmiger ist die visuelle Ebene der Miniserie. Ähnlich wie in der seinerzeit ersten deutschen Pay-TV-Dramaserie „Weinberg“ wird auch hier die Natur selbst nicht nur als Schauplatz, sondern wie ein eigener Protagonist inszeniert: die ebenso majestätischen wie lebensfeindlichen Berggipfel, die Schneewüsten, in denen erst Alma verloren geht und dann auch Matthi, Lucia und Valentina auf der Suche nach ihr Gefahr laufen zu erfrieren. Leah Striker holt hier auf der Bildebene sehr viel aus dem Sujet heraus, was das Drehbuch mit seinen oft eher hölzernen Dialogen und zu formelhaften Mysterien nicht so recht vermag.

Atmosphärischen Mehrwert schafft auch die akustische Gestaltung mit der Filmmusik von Giorgio Giampà und passend eingesetzten Popsongs. Und dann ist da noch der Wolf, der die Berge durchstreift und immer wieder wie eine Märchenfigur ins Geschehen eingreift, mal als Retter, mal als Rächer. In solchen Momenten geht das visuelle und erzählerische Konzept unter der Regie von Catalina Molina und Esther Rauch voll auf, aber eben leider nicht in den meisten eher dialoglastigen Szenen.

Auf der Suche nach der Wahrheit: Kommissar Prochazka (Stipe Erceg, r.) verhört Matthis Mutter Maria (Maria Hofstätter).X-Filme Produktion/​Oliver Oppitz

Schauspielerisch lässt sich an der Miniserie wenig kritisieren, außer dass man nicht allen den ja sehr eigenen Tiroler Akzent abnimmt (der für Nicht-Österreicher eher wie Schweizerdeutsch klingt). Sowohl die älteren als auch die jüngeren DarstellerInnen holen ansonsten das Beste aus ihren Rollen heraus. Insbesondere ist aber die kleine Alma, die einen besonderen Draht sowohl zur Natur als auch zur ermordeten Marianne zu haben scheint, mit Laeni Geiseler sehr gut besetzt – ein dicker Pluspunkt, stehen und fallen Serien doch oft mit ihren zentralen Kinderrollen.

Trotz des starken Ensembles und der überzeugenden Bildgestaltung kann „Schnee“ aber leider nicht durchgehend überzeugen. Denn letztlich bleibt das Drehbuch doch das Wichtigste. Und das hat zwar mit der Verflechtung alter Mythen mit aktuellen Themen wie Klimawandel und Umweltsünden durchaus interessante Ansätze, schafft es aber nicht, über die gesamte Laufzeit der Miniserie gleichermaßen glaubwürdig und spannend zu bleiben. Zwischendurch wirkt das Ganze dann doch öfter mal wie eine etwas disparate Mischung aus „Weinberg“, Alpenhorror à la „Blutgletscher“ und einem beliebigen Bergsteigerdrama.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der kompletten Miniserie „Schnee“.

Meine Wertung: 3,5/​5

Die sechsteilige Miniserie ist ab dem 9. November komplett in der arte-Mediathek abrufbar. Die lineare Ausstrahlung erfolgt am 16. und 23. November jeweils ab 20:15 Uhr mit je drei Episoden bei arte. Im Ersten sind dann jeweils drei Folgen am 29. November ab 20:15 Uhr sowie am 1. Dezember ab 22:20 Uhr zu sehen.

Über den Autor

Marcus Kirzynowski ist Düsseldorfer Journalist und Serienfreund; wuchs mit „Ein Colt für alle Fälle“, „Dallas“ und „L.A. Law“ auf; Traumarbeitgeber: Fisher & Sons, County General Notaufnahme; die Jobs auf dem Battlestar Galactica und im West Wing wären ihm hingegen zu stressig; Wunschwohnort: Cicely, Alaska. Schreibt über amerikanische und europäische TV-Serien sowie andere Kultur- und Medienthemen, u.a. für fernsehserien.de und sein eigenes Online-Magazin Fortsetzung.tv.

Lieblingsserien: Six Feet Under, Emergency Room, The West Wing

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • am

    Was mich unter vielen anderen Fehlern der Serie gestört hat, war das sinnlose herumschreien vom Vater. Wo man doch weiß, dass das Schreiben Lawinen auslösen können - was man dann am Schluss der letzten Folge sieht.

    Dann die Bekleidung der Personen. Sie gehen auf dem Berg wo es kalt ist, Schnee liegt, gerade so als ob sie zu Hause, in der geheizten Stube sein würden.

    Auf den Berg in der Dämmerung gehen. Wer schreibt so einen Blödsinn und welcher Regisseur setzt diesen Schwachsinn um.

    Selten eine so fehlerhafte mit schwachsinnigen Dialogen versehene Serie gesehen und gehört zu haben. Ich schätze das die Kosten für diese Produktion sicher zu hoch waren, wenn man bedenkt was für einen Schwachsinn man produziert hat. Und an den Klimawandel erinnert mi diese Serie überhaupt nicht.
    • am via tvforen.de

      Was mir beim Ansehen der Serie aufgefallen ist: Die Protagonisten stapfen in den schneebedeckten Bergen herum, aber tragen ihre Jacken und Mäntel alle geöffnet. Also ich würde meine Jacke dicht zumachen, wenn ich mich dort aufhalten würde...

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