„Run“: HBOs Roadmovie-Comedy aus der Schmiede von Phoebe Waller-Bridge fehlt der Biss – Review

Merritt Wever und Domhnall Gleeson als Ex-Paar ohne die nötige Chemie

Marcus Kirzynowski
Rezension von Marcus Kirzynowski – 18.04.2020, 17:53 Uhr

„Run“ – Bild: HBO
„Run“

Die Grundidee ist ebenso simpel wie reizvoll: Eine nicht mehr ganz junge Frau sitzt genervt in ihrem Auto auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums. Gerade hat ihr Ehemann ihr am Handy noch gesagt, was sie ihm unbedingt noch mitbringen soll. Da macht es pling und auf ihrem Display erscheint die Textnachricht Run. Auf ihrem Gesicht macht sich eine Mischung aus freudiger Aufregung und Panik breit. Denn vor 17 Jahren hat sie mit ihrem damaligen Freund vereinbart: Wann immer in Zukunft einer von beiden dem anderen das Wörtchen „Run“ schickt und der andere genauso antwortet, werden sie alles stehen und liegen lassen, sich in New York treffen und zusammen durchbrennen.

Auf dieser Prämisse baut HBO mit der schlicht „Run“ betitelten Serie eine ganze siebenteilige Staffel auf. Trotz einiger (wiederkehrender) Gaststars handelt es sich bei der von Vicky Jones kreierten und gemeinsam mit deren langjähriger Kreativ-Partnerin Phoebe Waller-Bridge („Fleabag“) produzierten Comedy (mit Thrillerelementen) im Kern um ein Zweipersonenstück. Merritt Wever, die als Schwesternschülerin in „Nurse Jackie“ bekannt wurde und neulich mit der Netflix-Miniserie „Unbelievable“ ihren endgültigen Durchbruch hatte, spielt die Ehefrau und Mutter Ruby Richardson. Der Ire Domhnall Gleeson (General Hux aus der jüngsten „Star Wars“-Trilogie) verkörpert ihren Ex-Freund Billy Johnson, einen erfolgreichen Lebensberater.

In der ersten Folge treffen sich die beiden wie vereinbart in der New Yorker Grand Central Station, die zweite spielt dann komplett im Zug nach Chicago. Während der Fahrt tänzeln die Ex-Geliebten verbal und physisch umeinander wie Insekten bei der Annäherung. Von der alten Vertrautheit scheint wenig übrig geblieben zu sein und so erwachen bei Ruby schon bald erste Zweifel, ob es richtig war, Mann und Kinder für die Flucht mit dem Ex sitzen zu lassen. Im Gegensatz zu Billy, der anscheinend nicht viel zu verlieren hat, setzt sie ihr komplettes Leben aufs Spiel – für einen abstrakten Traum, der sich schnell als Albtraum entpuppen könnte.

Billy (Domhall Gleeson) und Ruby (Merritt Wever) sind zwei „nicht ganz Fremde“ in einem Zug. Mal zwischen Unsicherheit … HBO

Im Laufe der zweiten Episode zeigen sich aber leider auch erstmals die Schwächen des Konzepts: Zum einen entsteht zwischen Wever und Domhnall keine richtige Chemie. Was die beiden einmal so aneinander fasziniert hat, dass sie nicht nur ein Paar wurden, sondern auch noch so lange nach ihrer Trennung bereit sind, füreinander alles aufzugeben, bleibt nicht nachvollziehbar. Zum anderen tragen die Dialoge zwischen den beiden Schauspielern einfach nicht eine ganze Serie. Insbesondere für eine Comedy sind sie nicht spritzig genug. So werden die einzelnen Folgen trotz der eigentlich recht geringen Laufzeit von etwa 30 Minuten eine streckenweise sehr zähe Angelegenheit.

Da hilft es auch nicht gerade, dass im Grunde die eigentlichen Motivationen der beiden Hauptfiguren weitgehend unklar bleiben. Ein Rückblick auf Rubys Hochzeitstag deutet an, dass sie schon damals an der Ehe mit Laurence (Rich Sommer aus „Mad Men“ ist während der ersten Folgen nur am Handy zu hören, aber noch nicht zu sehen) zweifelte. Außerdem scheint sie sich in ihrem häuslichen Leben gefangen zu fühlen, nachdem sie ihre hohen beruflichen Ambitionen aufgegeben hatte. Trotzdem ist es nicht gerade glaubwürdig, dass die eben noch „brave“ Ehefrau durch das spontane Ausbrechen aus ihrem Alltag plötzlich so „wild“ wird, dass sie den erstbesten Mitreisenden in ihrer Schlafwagenkabine verführen will. Zumindest gelingt es Wever – allein durch ihr schauspielerisches Können -, Ruby zu einer interessanten Figur zu machen. Dagegen bleibt Gleesons Billy erschreckend blass.

 … und mal in die Sinnfrage ihres spontanen Unternehmens vertieft. HBO

Am Ende der dritten Episode führen die Autoren dann noch eine neue Herausforderung für Billy ein: Seine ehemalige Assistentin Fiona (Archie Panjabi aus „Good Wife“) taucht in Chicago auf und verlangt eine angemessene finanzielle Entschädigung, da sie sein Unternehmen faktisch mitaufgebaut hätte. Diese Figur erscheint ein wenig zu sehr aus dem Nichts und hat dann auch noch eine sehr unglaubwürdige Zufallsbegegnung mit Ruby. Insgesamt wirkt die Handlung der Serie ohnehin zu konstruiert und zugleich seltsam ziellos. Wahrscheinlich wollte HBO einfach mal eine Comedyserie zum Thema Midlife Crisis machen. Wie so oft bei Menschen in dieser Lebensphase geht es um verpasste Chancen und die Frage, ob es möglich ist, noch einmal ganz neu anzufangen, in diesem Fall mit einem Menschen, den man einmal geliebt hat. Also praktisch die Zeit zurückzudrehen und zu versuchen, das nachzuholen, was passiert wäre, wenn man damals einen anderen Weg eingeschlagen hätte. Gerade in Verbindung mit dem Road- (oder Train-)Movie-Setting erinnert das an Richard Linklaters großartige „Before“-Trilogie, insbesondere deren erste beide Teile „Before Sunrise“ und „Before Sunset“. Auch dort passiert ja nichts anderes, als dass ein junger Mann und eine junge Frau miteinander redend herumlaufen (und im Zug fahren), sich verlieben und Jahre später wiedertreffen. Aber leider hat „Run“ weder ein ähnlich charismatisches und zueinander passendes Paar wie Julie Delpy und Ethan Hawke in den Hauptrollen noch deren brillant-alltägliche Dialoge. So bleibt leider das Fazit Idee gut, Umsetzung mau.

Dieser Text basiert auf Sichtung der ersten drei Episoden der Serie „Run“.

Meine Wertung: 3/​5

HBO strahlt die siebteilige Miniserie „Run“ seit Anfang April aus. Über die digitalen Verbreitungswege von Sky – Sky Ticket, Sky Go und Sky Q – sind die Episoden parallel im englischen Originalton zugänglich. Die lineare Ausstrahlung mit deutscher Synchronfassung ist im Sommer 2020 anvisiert.

Über den Autor

Marcus Kirzynowski ist Düsseldorfer Journalist und Serienfreund; wuchs mit „Ein Colt für alle Fälle“, „Dallas“ und „L.A. Law“ auf; Traumarbeitgeber: Fisher & Sons, County General Notaufnahme; die Jobs auf dem Battlestar Galactica und im West Wing wären ihm hingegen zu stressig; Wunschwohnort: Cicely, Alaska. Schreibt über amerikanische und europäische TV-Serien sowie andere Kultur- und Medienthemen, u.a. für fernsehserien.de und sein eigenes Online-Magazin Fortsetzung.tv.

Lieblingsserien: Six Feet Under, Emergency Room, The West Wing

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • am

    Ähnlich ging es mir bei "Divorce" mit S.J.Parker.
    Auch da war der männliche Partner so, dass man nicht eine Sekunde gedacht hat, die beiden wären einmal glücklich verheiratet gewesen und es würde sich überhaupt eine Frau wegen dieses Mannes auch nur umdrehen. Ich verstehe nicht, warum darauf scheinbar so wenig geachtet wird, denn wenn man als erstes den Eindruck hat, in einer Beziehungsgeschichte würde die Chemie zwischen den Hauptdarstellern nicht stimmen, ist die ganze Story bereits am Beginn "gestorben" und hat die restlichen Folgen über keinerlei Glaubwürdigkeit mehr.

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