„Lodge 49“: Von der Suche nach Gemeinschaft und der Sehnsucht nach Heimat – Review

Serie über ungewöhnliche Antihelden kommt zu Prime Video

Marcus Kirzynowski
Rezension von Marcus Kirzynowski – 26.08.2018, 19:32 Uhr

Der Cast von „Lodge 49“: Sean „Dud“ Dudley (Wyatt Russell), Ernie Fontaine (Brent Jennings), Connie Wright (Linda Emond), Scott Wright (Eric Allan Kramer) und Blaise St John (David Pasquesi) – Bild: James Minchin III/AMC
Der Cast von „Lodge 49“: Sean „Dud“ Dudley (Wyatt Russell), Ernie Fontaine (Brent Jennings), Connie Wright (Linda Emond), Scott Wright (Eric Allan Kramer) und Blaise St John (David Pasquesi)

AMCs Dramedy „Lodge 49“ ist eine jener Serien, bei der man sich während der Betrachtung der ersten Folgen unwillkürlich fragt, wie die Macher es geschafft haben, für ihr Konzept einen Abnehmer zu finden. Nichts daran klingt so, als könne irgendein Sender an einen großen Publikumserfolg glauben. Vielmehr erinnert die Grundidee an „John from Cincinnati“, David Milchs HBO-Serie nach „Deadwood“, die bereits nach einer Staffel wieder abgesetzt wurde. Hier wie dort befinden wir uns in der kalifornischen Provinz, in einem jener verschlafenen Küstenorte, die nur die Lage am Meer vor der völligen Trostlosigkeit bewahrt, und die Hauptfigur ist wieder ein Ex-Surfer, der seine besten Zeiten hinter sich hat.

Dieser Sean Dudley (Wyatt Russell), von allen nur Dud genannt, hat eine furchtbare Pechsträhne hinter sich: Bei einer Tour durch Nicaragua wurde er von einer Schlange in den Fuß gebissen, was ihn bis heute zum Invaliden macht, kurz nach seiner Rückkehr starb überraschend sein Vater (dessen Leichnam allerdings nie gefunden wurde) und danach stellte sich heraus, dass dieser seinen beiden Kindern nichts als Schulden hinterlassen hatte. Dud und seine Schwester Liz (Sonya Cassidy) verloren also auch noch Haus und Geschäft. Dud, ohnehin schon ein phlegmatischer Typ, ist seitdem endgültig zum Gammler geworden, der illegal in seinem ehemaligen Apartment schläft und seine Tage zu einem großen Teil in einem Donut-Café totschlägt. Liz meistert ihr Leben nach außen hin besser, ohne wesentlich glücklicher zu wirken. Zumindest hat sie ein festes Dach überm Kopf und einen Job als Kellnerin in der örtlichen Filiale eines Irish-Pub-Franchises. Auch der ist natürlich eher Sackgasse als Karrierechance.

Die Hoffnung für Dud, aus der Abwärtsspirale auszubrechen und sein Leben wieder auf die Reihe zu bekommen, tritt in unerwarteter Form auf: Am Strand findet er einen Ring mit einem Luchssymbol. Kurz darauf lässt ihn eine Autopanne genau vor einem Haus liegenbleiben, an dessen Fassade das gleiche Symbol prangt. Wie sich herausstellt, ist das Gebäude das Vereinshaus einer Bruderschaft, einer – allerdings nicht so ganz geheimen – Geheimgesellschaft. Dud begreift die Folge von Zufällen als Wink des Schicksals und setzt alles daran, in die Loge 49 aufgenommen zu werden.

Dud (Wyatt Russell) bewundert sein merkwürdiges Fundstück
Die Bruderschaft selbst scheint ihre glorreichen Zeiten jedoch auch schon länger hinter sich zu haben, ihr Zentrum lässt eher an einen Stadtteiltreff der Caritas denken als an die Freimaurer. Der Klempnerbedarfs-Verkäufer Ernie Fontaine (Brent Jennings) leitet aus seinem Büro die Geschäfte, während der eigentliche Vorsitzende gesundheitlich bedingt meist abwesend ist. Die Aktivitäten der Gesellschaft beschränken sich hauptsächlich auf Wohltätigkeit, Erholung und vor allem gemeinsames Abhängen, wie Ernie dem Anwärter erklärt. Regelmäßig treffen sich die Mitglieder – zu denen neben Frauen auch Schwarze gehören – zum Umtrunk und Würfeln in der Stammkneipe. Daneben könne man den Thronsaal auch für Hochzeiten und Trauerfeiern mieten. Obwohl sich die Mitgliederzahl im Rückgang befindet, ist der hippieeske Slackertyp Dud nicht gerade der Bewerber, auf den Ernie gewartet hätte. Er stellt sich aber als hartnäckiger heraus, als dieser vermutet hat. Die Verbindung mit ihrer Jahrhunderte alten Tradition übt auf den Außenseiter eine Faszination und starke Anziehung aus. Es ist das Versprechen, zu einer Gemeinschaft zu gehören, die mehr ist als eine Ansammlung unbedeutender Individuen.

Nicht ganz so faszinierend stellen sich die Auftaktepisoden der Serie für den Zuschauer dar. Eine Gruppe von Antihelden in einem trostlosen Umfeld, die aus ihrem deprimierenden Alltag ausbrechen wollen – das ist nun nichts Neues in der Serienlandschaft. Zumindest sind Dud und Liz zugänglicher als die Neureichen aus „Flaked“ mit ihren First-World-Problems. Wyatt Russell, Sohn von Kurt Russell und Goldie Hawn und früherer Profi-Eishockeyspieler, schlurft mit Vollbart und Mähne, in Shorts und Sandalen durch sein Leben wie einst der Dude in „The Big Lebowski“, so dass sein Spitzname kein Zufall sein dürfte. Die Geschäftszeile in dem Vorort von Long Beach erinnert an jene, in der Saul Goodman in „Breaking Bad“ seine Dienste anbot. Nicht nur der Titel der Serie, auch die Atmosphäre scheint bei Thomas Pynchon („Die Versteigerung von No. 49“) entlehnt, dessen Romane oft die gleiche Mischung aus skurrilen Geschehnissen und kontemplativem Stillstand vermitteln.

Zunächst ist Ernie Fontaine (Brent Jennings) gegenüber Dud (Wyatt Russell) noch skeptisch
Man muss schon einiges an Geduld aufbringen, um die kleinen absurden Momente genießen zu können, die Serienschöpfer Jim Gavin als Autor der ersten Folgen hier und da einbaut. Etwa wenn Dud auf der Suche nach einer Möglichkeit, in das Logenhaus zu kommen, bei dessen Umrundung eine Tür findet, die sich in drei Metern Höhe über dem Boden befindet. Gelegenheit zum Lachen bietet die Serie eher nicht, dafür zum gelegentlichen Stirnrunzeln. Interessanter als Duds Suche nach Erlösung sind die Szenen mit seiner Schwester Liz, nicht nur, weil Sonya Cassidy höchst sympathisch rüberkommt, sondern auch, weil ihre Probleme alltäglicher sind und die Figur dadurch zugänglicher ist. Etwas mehr Spannung deutet sich gegen Ende der zweiten Folge an, wenn das Hauptquartier der Bruderschaft in London (wie es sich US-Autoren vorstellen, mit Dauerregen vorm Fenster und teetrinkenden Menschen) einen Gesandten nach Kalifornien schickt, der den Nachfolgeprozess an der Spitze der Loge 49 begleiten soll. Denn der scheint vom ausgemachten „Thronfolger“ Ernie wenig zu halten.

Im Kern ist „Lodge 49“ auch eine Serie über Heimat, über die Orte, die man nicht hinter sich lassen kann, obwohl man das Gefühl hat, in ihnen festzustecken. So zieht es Dud immer wieder zurück zu seinem längst von Fremden bewohnten Elternhaus, trotz gerichtlicher Verfügung, sich fernzuhalten. Die Erinnerungen an glücklichere Zeiten wird man halt ebenso schwer los wie die Geister der Vergangenheit. Der Blick vom Hausdach auf die davor liegende, absolut durchschnittliche Vorortstraße zeigt Dud seine ganze Welt. Ob es ihm gelingen wird, diese Welt, wenn schon nicht geografisch, dann zumindest gedanklich zu erweitern, wird trotz des durchaus vorhandenen Charmes der Serie wohl nur eine Minderheit von Zuschauern interessieren.

Dieser Text basiert auf Sichtung der ersten zwei Episoden der Serie „Lodge 49“.

Meine Wertung: 3/​5


Marcus Kirzynowski
© Alle Bilder: Jackson Lee Davis/​AMC


Die Serie „Lodge 49“ wird ab dem 27. August 2018 beim Streamingdienst Prime Video veröffentlicht – an jenem Tag werden die ersten sieben Episoden der Auftaktstaffel freigeschaltet, am 31. August folgen die verbleibenden drei.

basierend auf Sichtung der ersten beiden Episoden der Serie

Über den Autor

Marcus Kirzynowski ist Düsseldorfer Journalist und Serienfreund; wuchs mit „Ein Colt für alle Fälle“, „Dallas“ und „L.A. Law“ auf; Traumarbeitgeber: Fisher & Sons, County General Notaufnahme; die Jobs auf dem Battlestar Galactica und im West Wing wären ihm hingegen zu stressig; Wunschwohnort: Cicely, Alaska. Schreibt über amerikanische und europäische TV-Serien sowie andere Kultur- und Medienthemen, u.a. für fernsehserien.de und sein eigenes Online-Magazin Fortsetzung.tv.

Lieblingsserien: Six Feet Under, Emergency Room, The West Wing

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