„Guerrilla“: Gut gemeint, doch leider nicht gut – Review

Historien-Drama von Idris Elba ist schulbuchhaft statt mitreißend

Marcus Kirzynowski
Rezension von Marcus Kirzynowski – 29.05.2017, 12:00 Uhr

Die Protagonisten von „Guerrilla“: (v.l..) Idris Elba, Babou Ceesay, Freida Pinto, Nathaniel Martello-White, Rory Kinnear – Bild: Showtime
Die Protagonisten von „Guerrilla“: (v.l..) Idris Elba, Babou Ceesay, Freida Pinto, Nathaniel Martello-White, Rory Kinnear

Manchmal ergeben sich im internationalen Seriengeschäft interessante Parallelen zwischen Produktionen, die innerhalb eines kurzen Zeitraums völlig unabhängig voneinander für verschiedene Anbieter, manchmal sogar in unterschiedlichen Ländern, entstehen. Es scheint dann so, als lägen bestimmte Themen einfach in der Luft, als müssten sie als Reaktion auf ein gesellschaftliches Klima quasi zwingend in fiktionalisierter Form aufgegriffen werden. Zurzeit herrscht in den USA wie in Europa wieder einmal ein solches Klima, worauf Serienmacher auf beiden Seiten des Atlantiks reagieren. Fast zeitgleich mit der Veröffentlichung der gelungenen Dramedy „Dear White People“ über die Konflikte zwischen schwarzen und weißen Studierenden an einer US-Eliteuni bei Netflix startete bei Sky Atlantic im Vereinigten Königreich und bei Showtime in den USA die sechsteilige Miniserie „Guerrilla“ über die britische Black-Power-Bewegung der frühen 1970er Jahre. Hier wie dort geht es um die Benachteiligung von Bürgern mit schwarzer Hautfarbe durch die Mehrheitsgesellschaft und um Akten des Widerstands und der Selbtbehauptung. Letztere fallen in „Guerrilla“ allerdings wesentlich radikaler aus.

1971 haben die gesellschaftlichen Spannungen zwischen Schwarzen und Weißen in London ihren Höhepunkt erreicht. Schuld daran sind ein verschärftes Einwanderungsgesetz sowie das brutale Vorgehen der Polizei gegen überwiegend schwarze Demonstranten. Zu den politisch Aktiven gehört auch das Liebespaar Jas Mitra (Freida Pinto, „Slumdog Millionaire“) und Marcus Hill (Babou Ceesay). Letzterer muss täglich am eigenen Leib erfahren, was systemimmanente Diskriminierung bedeutet. Als Akademiker sucht er eine Anstellung als Lehrer, bekommt beim Arbeitsamt aber nur Jobs als Fahrer oder Lagerarbeiter angeboten. Die persönliche Situation des Paars eskaliert, als ein Freund bei einer Demo vor ihren Augen – und denen seiner Freundin – von Polizisten totgeprügelt wird. Auch durch Kent Abbasi (Idris Elba), einen alten Freund, schlittern Marcus und Jas in den militanten Kampf gegen „das System“ hinein. Zunächst bekommen sie von einer Untergrundzelle den Auftrag, einen Inhaftierten zu befreien. Spätestens als Jas ihre Waffe benutzen muss, gibt es trotz aller Zweifel der beiden kein Zurück mehr.

Es ist ohne Zweifel nicht nur ein hoch aktuelles, sondern auch ein wichtiges Thema, das uns Autor und Regisseur John Ridley (oscarprämiert für sein Drehbuch zu „12 Years a Slave“) in seiner Miniserie präsentiert. Die Diskriminierung ethnischer Minderheiten, insbesondere der Schwarzen, mag heute nicht mehr so offensichtlich gesetzlich legitimiert sein wie in den 70ern, ist aber mehr oder weniger latent immer noch vorhanden. Durch die Wahl Donald Trumps verschärft sie sich in den USA derzeit sogar wieder. Es kann also eigentlich gar nicht genügend Serien geben, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen. Nur sollte es dann eben auch gut gemacht sein, Betroffenheit alleine reicht nicht, um die Zuschauer bei der Stange zu halten und für die Aussage zu sensibilisieren. Genau hier liegt das Problem von „Guerrilla“: Über weite Strecken sind die ersten beiden Folgen leider einfach langweilig. Wie von vielen aktuellen Qualitätsserien gewohnt – allerdings selten solchen des Bezahlsenders Showtime -, entwickelt „Guerrilla“ seine Geschichte extrem langsam. Zwar kommt es mehrfach zu plötzlichen Gewaltausbrüchen, die dann auch entsprechend schockieren. Dazwischen gibt es aber immer wieder quälend lange und recht formelhaft klingende Dialoge.

Da sitzen etwa in einer Szene der Chefinspektor Pence (Rory Kinnear, „Penny Dreadful“, aber auch unvergessen als fiktiver Premierminister in der ersten Folge von „Black Mirror“) und sein Mitarbeiter Cullen (Daniel Mays, „Outcasts“), die gegen die Aktivisten ermitteln, spätabends im Büro und Cullen liest aus einer Broschüre vor, die jene zur politischen Agitation verbreiten. In typisch marxistischem Duktus wird darin die Notwendigkeit des Klassenkampfs begründet. „Schon gut geschrieben“, resümiert Cullen, während sein Vorgesetzter erwidert, das sei doch alles Quatsch. Woraufhin der irischstämmige Cullen erklärt, auch sein Volk sei bis vor wenigen Jahren in Großbritannien ja noch ähnlich diskriminiert worden wie jetzt die Schwarzen. Der ganze Dialog wirkt weniger authentisch als vielmehr wie für ein Politik-Schulbuch verfasst. Über das Niveau eines Sachtextes kommt das Drehbuch leider auch sonst an kaum einer Stelle hinaus.

Zudem wirken die meisten Figuren nicht allzu gut entwickelt. Die „Helden“ der Erzählung, mit denen sich die Zuschauer eigentlich identifizieren können müssten, bleiben letztlich ebenso formelhaft wie der „böse“ Polizeiinspektor Pence als prototypischer Antagonist. Das liegt weniger an den Schauspielern als an dem Material, das sie zu spielen bekommen. Insbesondere Idris Elba, der seine Brillanz nicht nur in „The Wire“ und als „Luther“ schon oft bewiesen hat, bleibt hier erstaunlich blass, hat aber auch nur wenig Screentime. Richtig schlecht wird es übrigens auch schauspielerisch, wenn in einer Überfallszene in der zweiten Folge die Statisten dermaßen übertrieben agieren, dass ihre Grimassen eher in ein Kirmes-Spiegelkabinett passen würden als zu Menschen, die gerade um ihr Leben fürchten.

Inszenatorisch bleibt „Guerrilla“ weitgehend einem Standardstil verhaftet und kann auch hier kaum besondere Akzente setzen. Nur an einigen Stellen weicht John Ridley, der bei beiden Auftaktepisoden (und dem Serienfinale) auch selbst Regie geführt hat, davon ab. So etwa, wenn Marcus kurz nach einer Gewalttat unter Flashbacks leidet und der Ton dazu passend mehrmals kurz penetrant hochgefahren wird, um dann – wenn Marcus selbst im Bild ist – wieder schlagartig zu verstummen. Solche inszenatorischen Mittel hätten gerne öfter eingesetzt werden können, um die inneren Konflikte der Protagonisten emotional nachvollziehbar zu machen.

So bleibt diese Miniserie letztlich ein wenig fesselndes Werk, das hauptsächlich für Menschen interessant sein dürfte, die sich bereits mit den schwarzen Widerstandsbewegungen in Großbritannien beschäftigt haben. Alle anderen wären wahrscheinlich mit einem gut geschriebenen Artikel oder Sachbuch zum Thema besser bedient. Gut gemeint alleine reicht bei fiktionalen Serien eben nicht, auch wenn es darin um die Bearbeitung tatsächlicher Ereignisse geht.

Dieser Text basiert auf Sichtung der ersten beiden Episoden der Miniserie.

Meine Wertung: 3/​5


Marcus Kirzynowski
© Alle Bilder: Showtime


„Guerrilla“ ist eine Ko-Produktion des amerikanischen Pay-TV-Senders Showtime und des britischen Sky, die Miniserie umfasst sechs Folgen. Eine deutsche Heimat wurde noch nicht bestätigt, wobei sich Sky anbieten würde.

Über den Autor

Marcus Kirzynowski ist Düsseldorfer Journalist und Serienfreund; wuchs mit „Ein Colt für alle Fälle“, „Dallas“ und „L.A. Law“ auf; Traumarbeitgeber: Fisher & Sons, County General Notaufnahme; die Jobs auf dem Battlestar Galactica und im West Wing wären ihm hingegen zu stressig; Wunschwohnort: Cicely, Alaska. Schreibt über amerikanische und europäische TV-Serien sowie andere Kultur- und Medienthemen, u.a. für fernsehserien.de und sein eigenes Online-Magazin Fortsetzung.tv.

Lieblingsserien: Six Feet Under, Emergency Room, The West Wing

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