„Girlboss“: „Nasty Gal“ vermiest bei Netflix-Comedy den Spaß – Review

Unsympathin mit fragwürdiger Erfolgsgeschichte

Gian-Philip Andreas
Rezension von Gian-Philip Andreas – 25.04.2017, 18:05 Uhr

Britt Robertson als Sophia in „Girlboss“ – Bild: Karen Ballard/Netflix
Britt Robertson als Sophia in „Girlboss“

Das hatten sich die Macher dieser neuen Netflix-Comedy sicher anders vorgestellt: Als sie Anfang letzten Jahres ankündigten, aus Sophia Amorusos Memoiren „#Girlboss“ einen 13-Teiler machen zu wollen, befand sich die Autorin noch auf dem Zenit ihres Schaffens: Als CEO stand sie dem von ihr selbst im zarten Alter von 23 Jahren gegründeten Onlineversand für Vintage-Klamotten namens „Nasty Gal“ vor, der dreistellige Jahresumsätze einfuhr. Das Forbes-Magazin zählte Amoruso, die zehn Jahre zuvor angeblich im Müll nach Nahrung gewühlt hatte, zu den reichsten Selfmade-Frauen der Welt, und ihre Autobiografie (geschrieben mit 30) war mit hipper Ratgeberprosa zum Bestseller einer feministischen Ermächtigungsliteratur geworden. Dann aber mehrten die Berichte über miese Unternehmenskultur und fragwürdiges Geschäftsgebaren. Amoruso, inzwischen 32, trat zurück, „Nasty Gal“ ging bankrott und wurde von einer britischen Firma gekauft.

So schnell kann’s gehen. Als Betrachter der Serie, die diese Entwicklungen nicht berücksichtigt und den Aufstieg einer Widerspenstigen abfeiert, hat man es jetzt deutlich schwerer, mit der Protagonisten mitzufiebern. Denn trennen kann man dieses Vorwissen nicht von der freakigen Empowerment-Story, die die Macher (darunter die Hollywood-Schauspielerin Charlize Theron) hier unter Federführung der „30 Rock“- und „New Girl“-Produzentin Kay Cannon vorlegen – auch wenn sie sich nach Kräften bemühen, die „sehr lose“ Bearbeitung der Vorlage zu betonen.

Cannon, die auch die „Pitch Perfect“-Filme schrieb, konzentriert sich auf die Anfänge von „Nasty Gal“, sie zeigt Sophia als verantwortungslose junge Frau, die sich weigert, erwachsen werden zu wollen. In der ersten Szene sorgt sie für einen Stau auf Friscos abschüssigen Straßen, weil ihr das Auto mangels Sprit mitten auf den Cable-Car-Schienen liegenbleibt, und in der nächsten Szene spricht sie, auf einer Parkbank sitzend, ihr Mantra in die Kamera: „Mit dem Erwachsensein enden alle Träume: Such dir einen Job, werde zur Drohne!“ Der deutsche, inzwischen in den USA arbeitende Regisseur Christian Ditter („How to be Single“) spielt dabei stylish mit der Tiefenschärfe, bis am Ende die große Louise Fletcher ins Bild gerät. Die frühere Schwester Ratched aus „Einer flog über das Kuckucksnest“, heute 82 Jahre alt, sitzt neben Sophia auf der Bank und verpasst ihr eine schallende Ohrfeige – als fällige Replik fürs selbstgefällige Gejammer.

Sophia wird von Britt Robertson gespielt, die mit den CW-Hochglanzserien „Life Unexpected“ und „The Secret Circle“ bekannt wurde und in den letzten Jahren vermehrt im Kino zu sehen war (etwa neben George Clooney in „A World Beyond“). Robertson wirft sich mit beneidenswerter Energie in diese Rolle, hat aber auch das Pech, dass ihr die Drehbücher kaum Platz zum Durchschnaufen geben in den 24- bis 29-minütigen Episoden. Wie aufgedreht und immer ein bisschen zu sehr auf „wild, aber niedlich“ getrimmt manövriert sie sich durch das Chaos ihres abgebrannten Twen-Daseins, nur ein paar Mal darf sie kurz traumverloren in eine imaginäre Ferne blicken: Irgendwo da draußen lauern noch andere Möglichkeiten. Wirkliche Tiefe kann sie der Figur aber nicht verleihen, vieles an Sophia kommt eher enervierend rüber: ihr ständiger Aktionismus, die permanenten Versuche, ihr rücksichtsloses Verhalten anderen Menschen gegenüber als bloße Schrulle zu verkaufen.

Ihr aus dem Ruder gelaufenes Leben wird in vielen Details illustriert: Der Räumungsbescheid wegen Mietrückständen ist schon eingetrudelt, den Job als Verkäuferin in einem Schuhladen verliert sie wenig später wegen offensiver Nachlässigkeit und grober Patzigkeit ihrer Chefin (super: Irene White) gegenüber. Weil kein Geld mehr übrig ist, fischt sie Sandwiches aus Müllcontainern, und auch als Ladendiebin betätigt sie mit einiger Dreistigkeit. Irgendwie kommt sie aber immer damit durch – sie findet sogar einen neuen Aushilfsjob am Empfang einer Kunsthochschule. Doch erst, als sie in einem Second-Hand-Laden eine coole Seventies-Lederjacke für neun Dollar ersteht und sie dann auf eBay für 615 Dollar weiterverkauft, sortieren sich die Dinge. Sophia findet im Weiterverkauf cooler Vintage-Klamotten ihre Berufung: Es ist der Startschuss für eine beispiellose Karriere.

Bleibt Blass: Johnny Simmons als Shane


Umschwirrt wird die Unternehmerin in spe von drei eher eindimensionalen Figuren: Ellie Reed spielt ihre beste Freundin Annie mit viel vocal fry und etwas arg aufdringlicher Flippigkeit, Alphonso McAuley (aus der Fox-Comedy „Breaking In“) gibt deren Liebhaber, den Barkeeper Dax, und Johnny Simmons dessen Mitbewohner, den attraktiven Indie-Band-Manager und Schlagzeuger Shane, der als Sophias netter Lover und Kontrastfigur den undankbarsten Job hat. Spannender sind da die Nebenrollen, auch weil sie eine Ahnung von der queeren Hochburg San Francisco vermitteln: Drag-Queen-Legende RuPaul spielt Sophias Nachbar Lionel, der bei der Flughafen-Security arbeitet und zum Runterkommen abends die Bong anschmeißt. Jim Rash („Community“) hat ein paar witzige Auftritte als arroganter, schwuler Boss eines Second-Hand-Ladens, Ex-Saturday-Night-Live-Comedian Norm MacDonald amüsiert als Portiers-Kollege in der Kunsthochschule, und Kimmy Shields (derzeit auch in „Big Little Lies“) spielt die unausgelastete Theremin-Spielerin in Shanes Band. Dean Norris („Breaking Bad“) verzweifelt derweil als gutmütiger, aber dezent besitzergreifender Vater Sophias an der spätpubertären Unvernunft seiner Tochter.

Regisseur Ditter bemüht sich, das Tempo hochzuhalten, mit entsprechenden musikalischen Rebel Girls auf der Tonspur (von Suzi Quatro über Bikini Kill bis zu den Yeah Yeah Yeahs) Druck zu machen und von Gag zu Derbheit zu springen. Ein wenig erinnert Sophia in ihrem Unvermögen, Struktur und Zuverlässigkeit in ihren Alltag zu bringen, an Ilana und Abby aus „Broad City“, doch vom frei flottierenden Irrwitz der Kolleginnen aus New York bleibt sie weit entfernt, denn anders als dort will hier letztlich eine straighte Erfolgsstory erzählt werden. Dramaturgisch wird nach Lehrbuch zwischen Euphorie und Ernüchterung abgewechselt, denn Sophia muss ihre Lektionen lernen, um sich weniger egoistisch zu verhalten und ein funktionierendes Geschäft aufbauen zu können: Die Pilotepisode endet mit der Begeisterung über das gefundene Business-Modell, die zweite Folge schließt dann entsprechend mit ihren ersten Zweifeln ­-­ nachdem sie sich zuvor mit einer (mangels Krankenversicherung) unbehandelten Hernie über dem Schambein durch den Tag quälte.

Die dritte Episode tut so, als wolle sie das Liebesverhältnis zwischen Sophia und Shane vertiefen, indem sie beide quer durch die Stadt schickt, zu einem Hellseher, ins Museum und in einen Transen-Club, nur um am Ende zu enthüllen, dass der Trip vor allem die Namensfindung ihres Portals inspirieren sollte. Als designierter Versandhaustitel ist schließlich „Nasty Gal“ gefunden – denn was wäre Sophia, wenn nicht ein garstiges nasty girl? Wahrscheinlich ist das aber eher die fetzige Legende, die sich Sophia Amoruso retrospektiv zusammengestrickt hat, um ihre Story zu vermarkten: die Geschichte vom grenz-asozialen, wilden Mädchen, das es zur Top-Unternehmerin bringt. Dass ihr stolz vorgelebter Anarchismus zu diesem Zweck einem lupenrein kapitalistischen Profitstreben weichen muss – das wäre genau die spannende Geschichte, die sich „Girlboss“ nicht zu erzählen anschickt.

Gewiss, witzige Momente hat die Serie immer wieder zu bieten, meist im Zusammenspiel Sophias mit den erwähnten Nebenfiguren. Der Hauptfigur indes kommt man kaum je wirklich nahe, zumal der Schatten des eingangs erwähnten Endes der „Nasty Girl“-Erfolgsgeschichte unwillkürlich über ihr liegt. Auch vertun die Macher – trotz schicker Bilder – die Chance, noch mehr aus dem Schauplatz der Geschichte herauszuholen: Im San Francisco des Jahres 2006, als es MySpace noch gab, aber weder die Finanzkrise noch Smartphones, marodieren schon die „Tech-Arschlöcher“ (Shane) durch die Straßen, die nach seeding money für ihre Start-Ups suchen, doch vom heutigen Status einer komplett durchgentrifizierten Stadt mit astronomischen Immobilienpreisen ist sie damals noch ein Stück weit entfernt. Wie Sophia in der Serie (chronisch abgebrannt, aber mit toller Wohnung mitten in der Stadt) kann in San Francisco heute niemand mehr leben – gerade erfolgreiche Jungunternehmer wie Sophia hatten ihren Anteil daran.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten drei Episoden von „Girlboss“.

Meine Wertung: 3/​5


Gian-Philip Andreas
© Alle Bilder: Netflix

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).

Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • (geb. 1988) am

    Fand die erste Folge auch eher enttäuschend. Manchmal lohnt es ja, sich durch die ersten Folgen zu quälen, weil man doch noch in den Sog der Sympathie gezogen wird (Stichwort Love 2.Staffel, bei der die ganze 1. Staffel eher meh ist).

    Aber hier scheint es tendenziell nicht mehr nach oben zu gehen.

    Irgendwie stark überzogene Hauptfigur, die sich stets assi verhält und nicht nur "noch nicht erwachsen werden will". Es ist sicher auch nicht frech feministisch, wenn man schlichtweg bitchy, verklemmt und zickig ist
    Dann spar ich mir mal gleich den Rest und fang was Anderes an ;)

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