„Friedliche Weihnachten“: Schmalz, lass nach! – Review

Amazons Versuch, den Zuschauenden Sternanis in die Augen zu streuen, schlägt fehl

Gregor Löcher
Rezension von Gregor Löcher – 09.12.2022, 12:00 Uhr

Anton (Timur Bartels) und Johanna (Valerie Huber) versuchen, „Friedliche Weihnachten“ miteinander zu verbringen. – Bild: Amazon
Anton (Timur Bartels) und Johanna (Valerie Huber) versuchen, „Friedliche Weihnachten“ miteinander zu verbringen.

Das Genre Weihnachtsserie dürften wohl die wenigsten Zuschauenden mit anspruchsvoller Fernsehware, also kontroversen Themen oder komplizierten Handlungssträngen, assoziieren. Stattdessen erwartet man eher Unterhaltung Marke Wohlfühlfernsehen für die ganze Familie. In Amazons diesjährigem deutschen Beitrag „Friedliche Weihnachten“ ist Wayne Carpendales beeindruckende Haarpracht nicht das Einzige, das zu viel Schmalz abbekommen zu haben scheint. Tranig dümpelt auch die Handlung vor sich hin – unterbrochen von Schießereien, geworfenen Äxten und einer zu tötenden Gans. Romantisch? Eher nicht so. Lustig? Auch nicht wirklich. Doch worauf will der Weihnachtsschmaus denn dann eigentlich hinaus?

Das Hauptthema in „Friedliche Weihnachten“ lässt sich problemlos in einem Wort zusammenfassen: Familie. Genauer gesagt Familien – Plural -, denn hier treffen zwei Familien zum ersten Mal aufeinander, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Die von Johanna (Valerie Huber, „Das Netz“) – Akademiker*innen und leicht abgehoben – sowie die von Anton (Timur Bartels, „Club der roten Bänder“) – Arbeiter*innen, einfacher gestrickt und bodenständig. Culture Clash also – den einen kann alles gar nicht vornehm und edel genug sein, die anderen liegen zum ersten Mal in ihrem Leben auf einer Federkernmatratze. Das alles wäre zunächst noch annehmbar und dem feiertäglichen TV-Anspruch angemessen, jedoch vermag der Rhythmus, mit dem zwischen fröhlich und besinnlich, Klamauk und ernsten Tönen hin- und hergewechselt wird, nicht zu überzeugen. Wenn dann noch Humor daraus geschöpft wird, dass jemand mit polnischem Akzent spricht, wähnt man sich eher in einer RTL- denn einer Amazon-Produktion – und ahnt möglicherweise, dass der Zenit der sogenannten Qualitäts-Streamingserien bereits vor längerem überschritten wurde.

Die Handlung hinkt! Perfekter Halt: Drei Wetter Taft Oliver (Wayne Carpendale) Amazon

Anton will Johanna einen Antrag machen – an Weihnachten, denn das christliche Fest ist ihr gemeinsamer Jahrestag und bedeutet den beiden viel. Wie das aber so ist, wollen auch ihre jeweiligen Familien mit ihnen Weihnachten feiern. Sodass die Lösung auf der Hand zu liegen scheint, dass sie alle zusammen die Feiertage verbingen – in einem Haus in den Bergen. Leider hat Johanna ihrem Vater in einer Notlüge erzählt, dass Anton Arzt ist, obwohl dieser in der Realität in einem Gebrauchtplattenladen arbeitet. Und so entstehen allerlei Missverständnisse und weitere Ausflüchte, in die nicht nur das junge Paar, sondern auch deren jeweilige Eltern mit hineingezogen werden.

Jedoch auch innerhalb der Familien gibt es jede Menge Geheimnisse – Johannas Mutter Ursula (Esther Schweins, „RTL Samstag Nacht“) geht der Reinlichkeitsfimmel ihres Ehemannes Dietrich (Uwe Ochsenknecht, „Der Bulle und das Landei“) so auf die Nerven, dass sie in seiner Abwesenheit absichtlich den Inhalt des Staubsaugers auf dem Fußboden entleert, um sich wieder ein bisschen „normal“ zu fühlen. Dietrich wiederum verschweigt dem Rest der Familie, dass er keinen Beruf mehr hat, weil er durch einen Roboter ersetzt wurde. Johannas Schwester Ella (Lena Meckel, „Start the fck up“) will sich von ihrem Ehemann Oliver (Wayne Carpendale, „Der Landarzt“) scheiden lassen, stellt jedoch fest, dass sie schwanger ist – von einem anderen Mann. Und versucht nun, das Liebesleben mit Oliver wieder aufleben zu lassen, um ihm das Kind unterschieben zu können.

Tiefgründige Männergespräche in der Sauna: Kalli (Matthias Komm, l.) und Dietrich (Uwe Ochsenknecht) Amazon

Bei Antons Eltern (Elena Uhlig, Matthias Komm) hingegen scheint weniger schief zu gehen – außer, dass diese die im Rollstuhl sitzende Großmutter (Doris Plenert) im Laderaum eines Transporters zusammen mit der Weihnachtsgans in spe verstauen, was Oma so missmutig werden lässt, dass sie zunächst mit einer Axt nach Johannas Großvater (Horst Janson, „Der Bastian“) wirft und sich anschließend auch ein Schießgewehr aus dem Waffenschrank besorgt, um es gegen die „gegnerische“ Familie einzusetzen. Diese Art von Humor verfängt jedoch nicht mehr. In den 80er Jahren fand man es als Zuschauender noch lustig, wenn Leute im Streit aufeinander schießen – in der aktuell aufgeladenen gesellschaftlichen Situation mit explosiven Konflikten allerorts kann so einem Charakter aber leider nur wenig Sympathie entgegengebracht werden. Somit wirkt auch der Hinweis im Abspann, dass bei der Produktion keine Tiere oder Menschen zu Schaden gekommen seien, eher irritierend als beruhigend.

In den Kontrast zu derlei Waffenklamauk geraten allzu romantische Zwischensequenzen, in denen sich das glückliche Paar turtelnd im Schnee wälzt – die Szenen wirken im Gesamtwerk der Dramaturgie so fehlplatziert, dass man den Eindruck gewinnen kann, sie wären ohnehin schon abgedreht gewesen und sollten nun irgendwo mit reingenommen werden, damit sich der Aufwand auch gelohnt hat. Ansonsten wurde wohl viel Wert auf Slapstick-Elemente gelegt, das zeigt sich bereits in der Eingangssequenz, die qua Zusammenschnitt sozusagen als „Best of“ einen Einblick in die zu erwartenden Szenen gibt und die Zuschauenden direkt vor den Bildschirm fesseln soll. Einen Eimer Wasser ins Gesicht, einen Vorschlaghammer in die Wand, einmal übergeben in die Kloschüssel. Gleichwohl singt Hauptdarsteller Bartels den Abspann-Song in deutscher Betroffenheitspop-Manie – eine homogene Richtung, wie man sich beim Ansehen denn nun fühlen soll, vermag sich leider nicht einzustellen.

Wie aus einem Wham!- bzw. Mariah-Carey-Weihnachtsmusikvideo: Anton und Johanna turteln im Schnee Amazon

Die Darstellenden versuchen allesamt, etwas aus ihren eindimensionalen Rollenprofilen zu machen, aber ein gutes Drehbuch herbeizuspielen gelingt ihnen leider nicht. Wie egal es einem ist, was eigentlich passiert, wird schmerzlich erkennbar, als in einer Szene Ursula bekifft ihrer Tochter Johanna ein paar Lebensweisheiten zukommen lassen will und – wegen ihres Zustands – kaum ein Wort verständlich ist – und es einem völlig gleich bzw. sogar recht ist, dass man nicht mal mehr den Dialogen folgen kann bzw. muss. Denn wirklich Sympathie geschweige denn Nähe lässt keiner der Charaktere aufkommen, namentlich das Hauptpaar – und so hofft man bereits ab der zweiten der sechs Folgen, dass man diese Weihnachtsidylle alsbald wieder verlassen kann. Als Zuschauendem steht einem diese Option glücklicherweise jederzeit offen. Vielleicht lohnt sich da eher ein Rewatch der gar nicht mal so unanspruchsvollen Weihnachts-Soap „Zeit der Geheimnisse“ des Mitbewerbers Netflix aus dem Jahre 2019. Auch da ging es um Familie und Geheimnisse – jedoch trachtete niemand mit einer Axt einer Gans nach dem Leben. Und das macht das Anschauen dann doch etwas unbeschwerter.

Dieser Text beruht auf der Sichtung von drei Episoden der sechsteiligen Staffel von „Friedliche Weihnachten“.

Meine Wertung: 2/​5

Die Serie „Friedliche Weihnachten“ ist seit dem 9. Dezember komplett bei Amazon Prime Video abrufbar.

Über den Autor

Gregor Löcher wurde in den späten 70er-Jahren in Nürnberg geboren und entdeckte seine Leidenschaft für Fernsehserien aller Art in den 80er-Jahren, dem Jahrzehnt der Primetime-Soaps wie dem Denver Clan und Falcon Crest, was ihn prägte. Seitdem sind Faibles für viele weitere Serien und Seriengenres hinzugekommen, namentlich das der Comedyserie. Seit 2008 ist er als Webentwickler für fernsehserien.de tätig und hat zum Glück nach wie vor die Zeit, sich die eine oder andere Serie anzusehen.

Lieblingsserien: UFOs, Die Brücke, Will & Grace

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • am

    Das mag ja alles angehen, wobei die Geschmäcker, was Humor angeht, ja bekanntlich weit auseinander gehen. Aber deshalb gleich alles über einen Kamm zu scheren, indem man sagt, ich zitiere: "und ahnt möglicherweise, dass der Zenit der sogenannten Qualitäts-Streamingserien bereits vor längerem überschritten wurde", finde ich doch stark übertrieben. Ich, für meinen Teil, finde auch heutzutage noch jede Menge anspruchsvolle Streamingserien bei TV-Wunschliste aber auch da kann man natürlich unterschiedlicher Meinung sein.
    • am

      Finde es auch etwas weit hergeholt den "State of Streaming" an einer Serie wie "Friedliche Weihnachten" festzumachen. Das ist doch der gleiche 0815 Feiertage Filler der jedes Jahr zu der Zeit produziert wird. Eine Auswahl an anspruchsvollen oder auch nur qualitativ hochwertige Serien gibt es aktuell mehr als jemals zuvor.

weitere Meldungen