Love – Review
Judd Apatow macht mit seinem Stil generisches Thema sehenswert – von Marcus Kirzynowski
Rezension von Marcus Kirzynowski – 07.03.2016, 13:25 Uhr
Die trägt den ziemlich generischen Titel „Love“ und handelt von dem, was Apatow schon immer am meisten interessiert hat: zwischenmenschlichen Beziehungen mit all ihren Tücken. In der knapp 40-minütigen Pilotfolge lernen wir zunächst unabhängig voneinander die beiden Protagonisten kennen: Gus (Paul Rust, neben Apatow und Lesley Arfin auch einer der Serienschöpfer und Autoren) ist 31, arbeitet als Tutor für die schulpflichtigen Darsteller einer Fantasyserie während der Dreharbeiten und macht mit seiner Freundin Schluss, nachdem die ihm einen Seitensprung gestanden hat. Daraufhin zieht er in einen Apartment-Komplex in Los Angeles, der wie eine Mischung aus Studentenwohnheim und betreutem Wohnen wirkt, mit ständig feiernden Nachbarn jedes Alters (darunter die „Freaks and Geeks“-Veteranen Dave „Gruber“ Allen und Steve Bannos als seltsames gealtertes Freundespaar). Ein Jahr älter als Gus ist Mickey (Gillian Jacobs, „Community“), die ebenfalls einen eher schrägen Medienjob hat (als Programmmanagerin einer Lebensberatungssendung bei einem Satellitenradio) und es irgendwie nicht schafft, mit ihrem koksenden Freund Schluss zu machen.
Nach einer Reihe witziger (für die Zuschauer) bis peinlicher (für die Beteiligten) sexueller Begegnungen treffen sich Mickey und Gus am Ende der Pilotepisode erstmals zufällig in einem Lebensmittelladen. Anschließend (in der zweiten Folge) irren sie zusammen einen Tag lang durch L.A., wobei sie unter anderem Gus’ Ex einen Besuch abstatten, um dessen BluRay-Sammlung abzuholen (die dann aber aus dem Autofenster fliegt, weil all diese Liebesfilme so verlogen sind). Auch die anderen Folgen setzen zeitlich meist unmittelbar da an, wo die vorherige aufgehört hat. So entsteht fast der Eindruck, in Echtzeit mitzuerleben, wie sich die junge Beziehung zwischen Gus und Mickey entwickelt, wie sie sich kennen-, zwischendurch lieben lernen und doch immer wieder gegenseitig vor den Kopf stoßen. Das ist alles andere als spektakulär erzählt, auch alles andere als originell, aber gerade von dieser Variation vertrauter Muster geht ein gewisser Sog aus, der sich nach einigen Folgen einstellt – wenn man sich denn darauf einlassen kann.
Wie immer bei Apatow gruppiert sich um die Hauptfiguren ein ganzes soziales Umfeld von Freunden, Arbeitskollegen und Mitbewohnern. Es sind diese platonischen Beziehungen, die den Protagonisten Halt geben und bei Apatow oft wichtiger zu sein scheinen als die Liebesverhältnisse, die doch eigentlich im Mittelpunkt stehen sollen. So pflegt etwa Gus mit seinem Freundeskreis das merkwürdige, aber verbindende Ritual, gemeinsam Titellieder für Filme zu erfinden, die kein Titellied haben. Mickey findet ihrerseits gleich in der ersten Folge eine neue Mitbewohnerin, die offenherzige Australierin Bertie (Claudia O’Doherty), die zwischendurch auch einmal ein schmerzhaftes Date mit Gus durchlebt.
Wie die anderen Serien, an denen Apatow beteiligt war, ist auch „Love“ keine, die regelmäßig für Schenkelklopfer sorgt. Eher bringt sie einen ab und zu zum Schmunzeln und fassungslosen Staunen darüber, wie tief sich die Figuren immer wieder selbst blamieren. Dabei werden die anfangs nicht gerade zugänglichen Charaktere zunehmend sympathischer, verbirgt sich doch hinter ihrem großmäuligen Auftreten eine zutiefst menschliche Unsicherheit. Insbesondere Gillian Jacobs, die schon in der vierten „Girls“-Staffel Adams kurzzeitige Freundin Mimi-Rose spielte, überzeugt als junge Frau zwischen Attraktivität und Wahnsinn. Ebenfalls Apatow-typisch ist, dass mit Gags unter der Gürtellinie nicht gespart wird. Wie in seinen Filmen setzen die Autoren gerne immer noch einen drauf, steigern die peinlichen Situationen oft so lange, bis das Zuschauen fast schmerzhaft wird. Das muss man sicherlich mögen (oder zumindest akzeptieren), sonst wird man mit der Serie keinen Spaß haben.
Die einzelnen Folgen, teils von namhaften, auch als Schauspieler bekannten Regisseuren wie John Slattery („Mad Men“), Steve Buscemi („Boardwalk Empire“) und Michael Showalter („Wet Hot American Summer“) inszeniert, wirken eher wie Teile eines langen Independentfilms als wie herkömmliche Comedy-Episoden. Eine Geschichte im engeren Sinn gibt es meist nicht, stattdessen begleiten wir die Figuren in ihrem Alltag in Los Angeles (das hier als zwar sonnige, aber recht unglamouröse Stadt erscheint) zwischen langweiligen Partys, misslungenen Dates und frustrierenden Jobs. Aber seien wir ehrlich – so ist eben oft das Leben. Die Lichtblicke darin gibt es natürlich auch immer wieder. Ob aus der schwierig begonnenen Beziehung zwischen Mickey und Gus doch noch etwas Schönes wird, sehen wir dann in der von Anfang an bestellten zweiten Staffel.
Dieser Text basiert auf Sichtung der kompletten ersten Staffel von „Love“.
Meine Wertung: 4/5
Marcus Kirzynowski
© Alle Bilder: Suzanne Hanover/Netflix
Über den Autor
Marcus Kirzynowski ist Düsseldorfer Journalist und Serienfreund; wuchs mit „Ein Colt für alle Fälle“, „Dallas“ und „L.A. Law“ auf; Traumarbeitgeber: Fisher & Sons, County General Notaufnahme; die Jobs auf dem Battlestar Galactica und im West Wing wären ihm hingegen zu stressig; Wunschwohnort: Cicely, Alaska. Schreibt über amerikanische und europäische TV-Serien sowie andere Kultur- und Medienthemen, u.a. für fernsehserien.de und sein eigenes Online-Magazin Fortsetzung.tv.
Lieblingsserien: Six Feet Under, Emergency Room, The West Wing